Höxtersche Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
11.05.2005 :
Die Namen kehren zurück / "Stolpersteine" erinnern an das Schicksal der einstigen jüdischen Mitbürger
Höxter. "In den Wohnungen und Häusern begann das Unfassbare, das Grauen", erläutert der Kölner Künstler Gunter Demnig ein Motiv seiner Erinnerungsarbeit. "Hier wohnte ... ", lautet die stets gleiche Überschrift auf den glänzenden Metallplatten. Rund 5.000 dieser zehn mal zehn Zentimeter großen "Stolpersteine" aus Beton mit Messingauflage hat Demnig seit 1993 bereits in seinem Atelier hergestellt. Seit gestern erinnern zwei dieser unscheinbaren Gedenksteine, in das Pflaster des Gehweges vor dem Haus Nummer 5 in der Corveyer Allee eingefügt, an das Schicksal der einstigen jüdischen Mitbürger Dr. Richard Frankenberg und seiner Frau Anna.
Bereits in 70 Städten liegen "Stolpersteine". Finanziert wird das Projekt durch Spenden und Sponsoren. In Höxter waren es Karl-Heinz Kraft und seine Ehefrau Susanne, beide Tierärzte, die die Initiative ergriffen. Karl-Heinz Krafts Großvater war befreundet mit Dr. Frankenberg, dem ehemals angesehenen und sich durch großes Engagement für seine Patienten auszeichnenden Arzt. Ein Artikel in einer Zeitschrift weckte in Karl-Heinz und Susanne Kraft den Wunsch, dass auch in Höxter "Stolpersteine" das Gedenken wachhalten an die einstigen Mitbürger, die dem mörderischen Naziregime zum Opfer fielen.
In Berlin wurde gestern das Holocaust-Mahnmal eingeweiht, in Höxter wurden die ersten "Stolpersteine" verlegt. Demnig empfindet, wie er sagt, ein "gewisses Unbehagen" gegenüber zentralen Gedenkstätten: "Man kann einen Bogen darum machen." Für ihn ist es "spannend, dass die Namen dorthin zurückkehren, wo sie einst ihre Heimat hatten".
Nicht nur Vertreter des Rates und der Verwaltung der Stadt Höxter, darunter auch Bürgermeister Hermann Hecker, sowie Mitglieder der Jacob-Pins-Gesellschaft hatten sich gestern eingefunden, um dem Akt der Verlegung der Steine beizuwohnen. Aus Holland angereist war Louis Frankenberg, dessen Großvater, ein Bruder Richard Frankenbergs, 1902 nach Holland emigrierte und dort 1936 starb.
Zur Geburt des heute 68-jährigen Stammhalters Louis wollte Großonkel Richard nach Holland reisen, was ihm jedoch auf Grund der damaligen bedrohlichen Zeitumstände nicht möglich war. Er gratulierte in einem Brief vom 13. Oktober 1936 mit den Worten: "Ich wünsche Euch allen, dass Euer Sohn gut gedeiht und gesund bleibt und einmal bessere Zeiten erleben wird als wir sie durchmachen." Fast den gesamten engeren Familienkreis verlor Louis Frankenberg in der Zeit des Naziregimes - Vater und Mutter, die Schwester des Vaters, deren Mann und Kinder.
Als die Steine in den Bürgersteig eingelassen waren, legte Ratsmitglied Martina Fahlbusch eine weiße Rose daneben. Es sollen nicht die letzten "Stolpersteine" in Höxter bleiben. Nach Auskunft von Bärbel Werzmirzowsky sind etliche Bürger bereit, Steine zu stiften, die von der Idee bis zum Einlassen ins Trottoir 95 Euro kosten. Bereits gestern überreichte das Ehepaar Kraft dem ersten Beigeordneten der Stadt Höxter, Klaus Schumacher, einen Antrag, weitere Steine für drei Familien und vier Einzelpersonen zu verlegen. Wie Schumacher sagte, habe der Rat zunächst die Verlegung der ersten Steine abwarten wollen, bevor er über weitere Anträge berate und entscheide.
Für Demnich sind die Steine "ein Denkmal von unten": "Wenn du den Stein lesen willst, musst du eine kleine Verbeugung machen. Dann verbeugst du dich vor dem Opfer." Kein Problem sieht der Künstler darin, dass auf den Steinen auch ganz normal gegangen wird. Je mehr darauf träten, desto blanker bleibe der Stein und desto besser bleibe die Inschrift lesbar. Jeder einzelne Stein stehe symbolisch für alle Opfer: Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, aus Gründen der "Euthanasie" Getötete.
Die Aktion findet enorme Resonanz. Demnigs Terminkalender ist bis in das Jahr 2006 hinaus ausgebucht, auch aus dem Ausland liegen bereits Anfragen vor. "Je mehr Steine verlegt und zu sehen sind", sagt Demnig, "umso größer wird das Interesse - auch wenn es schmerzhaft sein kann, Geschichte nicht dem Vergessen anheim zu geben."
"Paten und Sponsoren", geben Demnig, wie er sagt, "die Kraft weiterzumachen. Trotzdem könne es "nur eine symbolische Arbeit bleiben."
lok-red.hoexter@neue-westfaelische.de
|