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Deister- und Weserzeitung , 10.05.2005 :

Lynden-Bell stellte den Stadtrat zusammen / Bei der ersten freien Gemeinderatswahl im Oktober 1946 holte die SPD 18 von 30 Sitzen

Von Bernhard Gelderblom

Hameln. Für die Besatzungsmacht bestand bei Kriegsende die dringendste Aufgabe darin, Struktur in das Chaos zu bringen und den Alltag zu organisieren. Die Briten griffen zunächst auf vorhandene Verwaltungskräfte zurück, nämlich die Verwaltungsdirektoren Max Röthig und Wilhelm Grote. Zur "Säuberung" der Verwaltung kam es in Hameln erst am 4. Juni 1945, als mit Dr. Walter Harm (SPD) ein Mann Oberbürgermeister wurde, den die Nationalsozialisten 1933 aus dem Amt gejagt hatten. 34 Beamte und 28 Angestellte der Stadt sowie 14 Polizisten mussten aufgrund ihrer NS-Vergangenheit ihre Stühle räumen, unter ihnen zunächst auch Grote und Röthig.

Über seinen politischen Spielraum äußerte sich der neu ernannte Oberbürgermeister im Juli gegenüber der Presse: "Auf Veranlassung der Militärregierung wird nochmals ausdrücklich festgestellt, dass die Militärregierung regiert, die deutsche Verwaltung aber verwaltet."

Wann sich in Hameln die ersten Parteien bildeten, liegt im Dunkel. Noch vor den Parteien entstanden die Gewerkschaften. Die frühesten Aktivitäten zur Gründung von Parteien entfalteten jene Gruppen, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, also Sozialdemokraten und Kommunisten. Es ist davon auszugehen, dass SPD und KPD schon im Sommer Gründungsanträge gestellt haben. Seit dem 15. September 1945 erlaubte die Militärregierung formell die Gründung von Parteien.

Am 20. Oktober 1945 beauftragte Stadtkommandant Major Lynden-Bell Oberbürgermeister Harm, Vertreter für einen Stadtrat zu suchen. Harm machte sich auf die Suche nach unbelasteten Hamelner Bürgern. Lynden-Bell, der sich die Entscheidung über die Zusammensetzung des Rates vorbehielt, sagte anlässlich der Eröffnung des ersten Rates: "Als ich Sie wählte, zog ich viele Eigenschaften in Betracht, aber die hauptsächliche war Rechtschaffenheit. In meiner Auswahl habe ich versucht, alle sozialen, religiösen, politischen und beruflichen Klassen von Hameln mit einzubeziehen. Ich habe auch die Vertretung der verschiedenen Stadtteile in Betracht gezogen."

Das SPD-Mitglied Josef Urbaniak, der für die Gewerkschaften im Rat saß, schildert die Auswahl aus seiner Sicht: "Nach 1945 bin ich vom englischen Kommandeur berufen worden in den Rat der Stadt Hameln. In den Rat kamen rein: Gewerkschaft, Kirchen, Handel, Banken, alle möglichen, damit die Wirtschaft wieder angekurbelt werden sollte."

Die Stadtvertretung bestand aus Oberbürgermeister Harm und 28, später 30 Mitgliedern. Elf waren Mitglieder der Rechtsparteien, acht Mitglieder der Linksparteien, zwölf parteilose Bürger. Die SPD verfügte über sieben von 31 Sitzen. Weil ihr aber mehrere der parteilosen Mitglieder nahe standen, bildete sie die stärkste Fraktion.

Drei Flüchtlinge und nur vier Frauen waren im Rat vertreten. Das Wort von der "Stunde der Frauen" galt also nicht auf politischem Gebiet.

Das prominenteste Mitglied war ohne Zweifel die Sozialpolitikerin Rosa Helfers von der SPD. Vor 1933 war sie Mitglied des Preußischen Landtages und Direktorin eines Berliner Frauengefängnisses gewesen. In der NS-Zeit wurde sie jahrelang in einem Arbeitserziehungslager festgehalten, wo sie ihre Gesundheit ruinierte. In Hameln beteiligte sie sich am Aufbau der SPD.

Am 1. Dezember 1945 trat der Rat zu seiner ersten öffentlichen Sitzung in der Garnisonskirche zusammen. Es waren dafür besondere Eintrittskarten an die Bevölkerung ausgegeben worden. Zu Beginn der Sitzung sprachen der Militärkommandant und der Oberbürgermeister. Dann wurde der Opfer des Krieges gedacht. Anschließend wurde die neue Stadtsatzung genehmigt. Im Zuge der Entpolitisierung der Beamtenschaft führte der Rat die Zweigleisigkeit der Verwaltung ein; die Ämter des Oberbürgermeisters und des Oberstadtdirektors wurden nach britischem Vorbild streng getrennt.

Mit der Bildung der ersten Stadtvertretung war ein entscheidender Schritt auf dem Wege zur Demokratie in Hameln getan. Der Spielraum des Rates war zunächst minimal. Er hatte den Mangel zu verwalten. Das Ratsmitglied Josef Urbaniak berichtet über die ersten Sitzungen: "Viele Leute haben große Anliegen gehabt, die wir nicht erfüllen konnten. Die Stadt Hameln hatte weder Geld noch sonst was. Da war zum Beispiel das Baugewerbe. Wir - die Stadt Hameln - bekamen im Monat eine Tonne Zement und 300 Backsteine. Und Anträge waren wer weiß wie viele. Da haben wir beschlossen: Schornsteinreparaturen unbedingt wegen Feuersicherheit, auch andere Reparaturen, wo ein Schornstein neu aufgebaut werden musste. Da mussten wir sogar Backsteine verteilen. Es war zum Piepen. Bis dann nach und nach die Wirtschaft wieder angelaufen ist und uns davon befreit hat."

Am 22. Juni 1946 teilte die Militärregierung dem Oberbürgermeister ihre Prioritäten bei der Zuteilung von Lampen und Glühbirnen mit. Auf Platz eins standen die Krankenhäuser, gefolgt von den Kinos; an dritter Stelle folgten die Gaswerke und erst an vierter Stelle die Schulen. So groß war der Mangel.

Zum 1. April 1946 änderten die Briten die Gemeindeordnung. In Abkehr vom Führerprinzip wurde die Selbstverwaltung der Gemeinden zur Norm. Verwaltet wurde - im Auftrag des Rates - durch den nach englischen Vorbild eingeführten unpolitischen Hauptbeamten, den Oberstadtdirektor. Am 1. April 1946 wurde der Leiter desWohnungs- und Flüchtlingsamtes, Stadtverwaltungsdirektor Georg Wilke, zum ersten Oberstadtdirektor der Hamelner Nachkriegszeit ernannt. Wilke wird das Amt bis zum 31. Dezember 1964 ausüben.

Erst seit Frühjahr 1946 regten sich die örtlichen Parteien. Am 27. März 1946 fand die erste Mitgliederversammlung der SPD nach dem Krieg statt. Die CDU hielt am 14. Mai eine öffentliche Kundgebung ab. Am 2. April fand sich im Anzeigen-Aushang ein Hinweis auf die Geschäftsstelle der FDP. Die KPD hielt eine öffentliche Versammlung am 14. April, die NLP am 12. Mai ab. Die NLP (Niedersächsische Landespartei, seit 1947 DP) war eine national-konservative Partei. Innerhalb des bürgerlichen Lagers bedeutete sie lange eine schwere Konkurrenz für die CDU.

Nach dem Weggang von Harm wählte am 7. Juni 1946 der Hamelner Rat Heinrich Löffler (SPD) zum Oberbürgermeister. Der aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangene Löffler war damit der erste in freier und geheimer Wahl gewählte Oberbürgermeister Hamelns.

Ab Juli 1946 hielten die Parteien Wahlveranstaltungen ab, denn am 13. Oktober 1946 sollten die ersten Wahlen zur Stadtvertretung stattfinden. Aufgrund britischer Auflagen waren Bürger mit NS-Vergangenheit aus dem Wahlregister gestrichen worden. Von den 30 Ratssitzen entfielen auf die SPD 18, die NLP 9, die CDU 2, die FDP 1, während die KPD keinen Sitz erhielt. Damit besaß die SPD mit 18 von 30 Sitzen mehr Sitze als das bürgerliche Lager zusammen. Die Wahlbeteiligung lag bei 74,7 Prozent.

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