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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land , 26.01.2021 :

Danebengegriffen

Bei der Auswahl von Straßennamen kam eine Leiterin der weiblichen Polizei in Minden auf die Vorschlagsliste / In der NS-Zeit hatte sie ein Konzentrationslager geleitet

Stefan Koch

Kreis Minden-Lübbecke. Peinliche Personalie: Als sich der Ausschuss für Frauen- und Gleichstellungsangelegenheiten in seiner Sitzung im Herbst mit dem Antrag von Grünen, der Sozialliberalen Fraktion Minden und Wir für Minden zur Benennung von Straßen beschäftigte, kam auch der Name der stellvertretenden Leiterin des Jugendkonzentrationslagers Uckermark auf die Vorschlagsliste für prominente Frauen. Die damals genannte Johanna Braach lebte nach ihrer Karriere in der NS-Zeit in Minden, wo sie im ehemaligen Regierungsbezirk die weibliche Polizei leitete. Mitte Januar wurde der Missgriff öffentlich.

In der Ausschusssitzung am 28. Oktober vergangenen Jahres hatte sich das Gremium darauf verständigt, dass bei weiteren Benennungen von Straßen Frauen berücksichtigt werden sollen, die einen Bezug zu Minden haben. Neben anderen Anregungen schlug die damalige Stadtverordnete Edith von Wrisberg (Mindener Initiative) die Glasmalerin Edeltraud Troost und die Kriminalobersekretärin Johanna Braach vor. Die Sammlung geeigneter Frauennamen im Gleichstellungsausschuss solle als Empfehlung an den Bauausschuss und die Stadtverordnetenversammlung ergehen, so von Wrisberg.

"Nur mal zur Erinnerung wer Johanna Braach war: Sie war die stellvertretende Leiterin des KZ Uckermark. So weit sind wir schon", postete Mitte Januar Fatma Daldal (Wir für Minden) auf Facebook und kritisierte die Auswahl, deren Tragweite auch ihr erst später bekannt wurde. Sie selbst hatte während der Ausschusssitzung als Sachkundige Bürgerin Namen von Migrantinnen ohne Mindener Bezug vorgeschlagen, die Opfer von Tötungsdelikten wurden.

Auf Anfrage erklärte Edith von Wrisberg, dass sie den Namen von Johanna Braach "auf einer Liste" gefunden und in ihrem Vorschlag übernommen habe. Noch im vergangenen Jahr habe sie diesen Fehler bemerkt und bei der Stadtverwaltung darauf gedrungen, dass der Name entfernt werde.

Tatsächlich ist die umstrittene Person auch im Wikipedia-Artikel zur Stadt Minden unter der Rubrik "Weitere Persönlichkeiten, die mit der Stadt in Verbindung stehen oder standen" aufgeführt und mit dem Zusatz "Kriminalobersekretärin, leitete die Mädchenpolizei in Minden" versehen. Ein Link weist darüber hinaus auf einen weiteren Wikipedia-Artikel hin, der sich vor allem mit der Rolle Braachs in der NS-Zeit auseinandersetzt.

Für Historiker, die sich mit der Aufarbeitung von Verbrechen in der NS-Zeit auseinandersetzen, ist nämlich Johanna Braach kein unbeschriebenes Blatt. Die im Jahr 1907 geborene Polizeibeamtin arbeitete in der "Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität" in Berlin und leitete stellvertretend von Mitte 1942 bis in den April 1945 das Jugendkonzentrationslager Uckermark, wo 1.000 Mädchen und junge Frauen interniert waren. Zusammen mit ihrer Vorgesetzten und drei weiteren Angehörigen des SS-Gefolges musste sie sich im dritten Ravensbrücker Prozess wegen der Misshandlung von Häftlingen und der Teilnahme an Selektionen für die Tötung in der Gaskammer vor einem britischen Militärgericht verantworten. Da die Briten mit den Prozessen lediglich Straftaten an alliierten Häftlingen ahndeten, endete das Verfahren gegen Braach 1948 aus Mangel an Beweisen mit einem Freispruch.

Wie aus der Einwohnermeldekartei des Kommunalarchivs Minden hervorgeht, war Johanna Braach vom 6. Juni 1946 bis 16. Mai 1957 in Minden gemeldet.

Susann Lewerenz, Pressesprecherin der Stadt Minden, bestätig, dass sich die Mindener Initiative nach weiteren Erkenntnissen über Johanna Braach von dem Vorschlag distanziert habe. Da die komplette Liste für Frauennamen noch nicht erstellt sei, sei der Name auch noch nicht an den Bereich Geoservice weitergeleitet worden, so Susann Lewerenz.

Bildunterschrift: Auch in der Dokumentation der Gedenkstätte Ravensbrück spielt Johanna Braach eine Rolle.

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Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier, 02.08.2017:

SS-Aufseherin macht auch nach dem Krieg Karriere

Bad Oeynhausen vor 70 Jahren: Die Freie Presse berichtet vom Prozess gegen Johanna Braach, die ehemalige Chefin der weiblichen Polizei im Regierungsbezirk Minden-Lippe

Von Stefanie Hillebrand

Bad Oeynhausen. Seit Wochen begleitet die Freie Presse den Prozess gegen Johanna Braach, die ehemalige Chefin der weiblichen Polizei im Regierungsbezirk Minden-Lippe. Immer wieder sagen neue Zeugen gegen sie aus. Das Belastungsmaterial ist erdrückend und offenbart sowohl ihren wahren Charakter als auch den des Jugenderziehungslagers Uckermark. Nur vorgeblich betrieb dieses Jugendfürsorge zur Vorbeugung von Jugendkriminalität.

Ehemalige Häftlinge berichten Erschütterndes: "Bei meinem Eintreffen in dem Lager war die Aufseherin Braach schon anwesend. Bekleidet war sie mit der üblichen SS-Uniform, umgeschnallt einen Revolver tragend, in der Hand eine Hundepeitsche und einen Hund bei sich führend. Von anderen Kameradinnen wurde sie als die brutalste Aufseherin in diesem Lager geschildert. Deshalb hatte sie auch häufig den Strafblock unter ihrer Gewalt. In den Jahren 1942/43 habe ich gesehen, wie sie meine Kameradinnen ganz brutal mit der Faust ins Gesicht schlug oder mit ihren schweren Stiefeln auf die Opfer eintrat. Bis Ende 1943 habe ich sie bei meinen Transportarbeiten auch im Konzentrationslager Ravensbrück. gesehen. Kranke kamen von dort nach Uckermark mit der Maßgabe, dass sie "in Erholung" sollen. Ich habe schon damals gewusst, dass diese mit einer roten Karte versehenen Menschen, vergast worden sind. Beim Aufladen wehrten sie sich in ihrer Todesangst, weil sie wussten, was mit ihnen geschehen sollte." Im letzten Kriegsjahr wurden für die Frauen aus dem KZ Ravensbrück Vergasungskammern in der Turnhalle des Jugendlagers Uckermark eingerichtet. Ein Vater klagt an, dass seine damals 17-jährige Tochter auf Grund des Vorwurfs der angeblich "böswilligen Nachlässigkeit" beim Verpacken der Munition in einer Munitionsfabrik in das Jugendlager verschleppt wurde. Er hat nie wieder von ihr gehört. Alle Entlastungsgesuche des Vaters hat die damalige Lagerleiterin Toberenz, die nach 1945 als Polizeichefin in Arnsberg eingesetzt wurde, abgelehnt.

Für den Reporter der Freien Presse ist es unbegreiflich, dass Braach und Toberenz - als die für die dort geschehenen Greuel direkt Verantwortlichen - nach dem Krieg im leitenden Polizeidienst eingesetzt wurden.

Gleiches Unverständnis kommt in einem Artikel über brutale Ausschreitungen eines Neesener SA-Mannes gegen Juden und Kriegsgefangene in Hausberge und Petershagen zum Ausdruck. Der Kommentator prangert an, dass der Mann, der wegen seiner Gewalttätigkeiten bei den Häftlingen gefürchtet und sich auf Grund seiner korrupten Beziehungen zum SS-Baustab Porta vermögensrechtliche Vorteile zu verschaffen wusste, "unbehelligt in Lippe herumläuft, während jeder kleine Mitläufer scharf unter die Lupe genommen wird".

Die Überlebende einer jüdischen Familie aus Hausberge berichtet, wie derselbe ihre Eltern und Geschwister in der Pogromnacht getreten, mit Stöcken geschlagen und die gesamte Wohnung demoliert habe. Über die Tätlichkeiten, die er am 9. November 1938 beging, liegen den amtlichen Stellen weitere durch Zeugenaussagen bekräftigte Schilderungen zugrunde. So soll er einen Mittäter aufgefordert haben, die auf dem Bett sitzenden weinenden Kinder der Familie mit einem Gummihammer aus dem Schlachthaus zu erschlagen, was dieser allerdings verweigerte. Mehrere Zeugen bestätigen, dass besagter SA-Mann ebenfalls an den Pogromen in Petershagen beteiligt war. Die Berichterstattung offenbart die Unzulänglichkeiten der Entnazifizierungsmaßnahmen im lokalen Bereich wie in der großen Politik.

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Am 26. April 1948 wurde Johanna Braach ("Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität") sowie stellvertretende Leiterin Mädchenkonzentrationslager Uckermark, im "Uckermark-Prozess" freigesprochen.

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www.gedenkort-kz-uckermark.de/info/chronik1-kz.htm


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