Deister- und Weserzeitung ,
09.05.2005 :
Gefangenschaft in Frankreich und am Ural / Günther Schmidt und Gert Ottermann berichten / Die Letzten holte Adenauer 1955 zurück
Von Wolfhard F. Truchseß
Hameln. Die wenigsten deutschen Soldaten entkamen zum Kriegsende dem Schicksal der Gefangenschaft, sei es unter der Aufsicht der westlichen Alliierten oder in den Weiten der Sowjetunion. Erst im Jahr 1955 erreichte Konrad Adenauer die Heimkehr der letzten zehntausend Kriegsgefangenen aus der UdSSR. Etwa ein Drittel der in sowjetischen Arbeitslagern festgehaltenen Deutschen überlebte die Strapazen nicht. Anders als in den westlichen Lagern, wo es um die reine Internierung ging, mussten die deutschen Kriegsgefangenen im Osten teilweise und härtesten Bedingungen arbeiten. Zwei Hamelner, die ihre Gefangenschaft überlebt haben, der eine in Frankreich, der andere am Ural, haben berichtet, wie es ihnen ergangen ist.
Günther Schmidt, vielen Hamelner bekannt als langjähriger Innungsmeister des Malerhandwerks, hatte viele Kriegseinsätze mit noch mehr Glück überlebt. Im Winter 1944/45 war er als Offizier im Abwehrkampf gegen die Alliierten in den Bunkern am Westwall in der Eifel eingesetzt und geriet am 6. Februar 1945 in Kriegsgefangenschaft.
Schmidt landete nach mehreren Zwischenstationen in einem großen Gefangenenlager auf einem Flugplatz in Frankreich. Es war "ein berüchtigtes Schlammlager", wie er in seinen für seine Kinder und Enkelkinder verfassten Erinnerungen schreibt. "In den Zelten nasses Stroh" - und dies bei wenigen Graden über Null. Nach etlichen Tagen wird ein Teil der Gefangenen nach Cherbourg verlegt. Mitte März sollen sie in die USA verschifft werden. Am Kai - der Transporter wartet schon - dann die Nachricht: "Keine Gefangenenverlegung mehr nach Amerika!" Schmidt heilt eine Gelbsucht aus und kommt schließlich in ein riesiges Gefangenenlager in der Normandie, in dem 50.000 Offiziere untergebracht sind.
Hier trifft Schmidt auf Mitgefangene aus Hameln. In seinen Erinnerungen nennt er die Namen Wegener, Kaiser, Tutas, Gutberlet, Helmann und Alfred Rissenpart. Von Kaiser berichtet er eine bewegende Episode. Der Hamelner war als Kriegsgefangener mit einem Lkw über die Oster- und Bäckerstraße durch die Weserstadt transportiert worden, und konnte den anderen so einen Eindruck von den Zerstörungen übermitteln. Als der Lkw die Harrison-Bridge überquert hatte, fuhr Kaiser an seiner Wohnung im Breiten Weg vorbei, wo seine Frau just in diesem Moment das Fenster öffnete und ihren Mann auf dem Transport davonfahren sah.
Ein Schock trifft die Hamelner Gefangenen, als sie aus einer amerikanischen Zeitung entnehmen, die Weser werde zur Demarkationslinie zwischen Russen und Westalliierten und der am Ostufer gelegene Hauptteil Hamelns falle damit unter sowjetische Kontrolle. Eine Woche später gibt es dann eine größere Karte in der Zeitung - die Grenzlinie zwischen Ost und West verläuft am Harz. Schmidt: "Unter den Hamelnern herrschte große Erleichterung."
Schmidt selbst arbeitete unterdessen freiwillig in einem Steinbruch, um etwas mehr Verpflegung zu erhalten. Mitte September 1945 ging es plötzlich auf Heimreise im offenen, ungereinigten Kohlewaggon, später per Lkw bis nach Hannover, wo die Engländer Schmidt am 14. September die Entlassungspapiere ausstellten.
Ganz anders erging es Gert Ottermann, dem späteren technischen Leiter von ABG. Er hatte seit Januar 1944 ein Jahr die so genannten Kurlandschlachten und den Rückzug Richtung Deutschland erlebt. Die letzten Reste seiner Truppe hatten es am 7. Mai 1945 bis zum Weichselhafen Schevenhorst geschafft, wo sie auf ein Schiff warteten, das sie nach Hela nördlich von Danzig bringen sollte. Von dort sollte es weiter Richtung Heimat gehen. Dann morgens um 3 Uhr am 8. Mai plötzlich eine Lautsprecherdurchsage der aufmarschierten russischen Truppen: "Deutschland hat kapituliert, der Krieg ist zu Ende." Von Rückkehr in die Heimat keine Rede mehr.
Ottermann und die anderen deutschen Soldaten werden von den Russen eingesammelt und abtransportiert. Endstation ist nach ein paar Wochen der Ort Schernikowska bei Ufa im Ural. Ottermann hat damit noch Glück, denn wer in Sibirien in ein Arbeitslager kam, hatte weitaus geringere Überlebenschancen. Und: Ottermann hatte ab 1946/47 bereits Kontakt mit der Heimat. Die Karten, die er damals nach Hause schreiben durfte, besitzt er noch heute.
In Schernikowska erlebt Ottermann eine für sowjetische Gefangenenlager erstaunliche "Karriere". Er wird zunächst in einem Stahlbaubetrieb eingesetzt, schafft es dann aber nach einer Erkrankung eine "Stelle" als Landarbeiter und Kutscher des örtlichen Krankenhauses zu ergattern. Als Ottermann mehrfach Blut spendet, darunter für einen kranken Mitgefangenen, wird dies von den Russen sogar beurkundet und von Ottermann dafür in Ufa ein Passfoto gemacht.
Einige Monate arbeitet der technisch begabte Kriegsgefangene 1947 in einer Flugzeugmotorenfabrik, bis eine Abmachung der Alliierten den Einsatz von Kriegsgefangenen in der Industrie untersagt. Aber Ottermann gilt inzwischen als Spezialist und wird Schlosser in einer Fernheizungsanlage. Und - kaum zu glauben, aber schriftlich bestätigt - in den beiden letzten Jahren seiner Zeit in dem sowjetischen Arbeitslager erhält er für seine Dienste monatlich rund 150 Rubel Lohn, was für die damaligen Verhältnisse eine erstaunlich hohe Summe war. 1949 ist die Zeit seiner Zwangsarbeit in der Sowjetunion vorüber. Ottermann kehrt imApril 1949 in die Heimat zurück und nimmt im Herbst ein Techniker-Studium auf. Als er später bei ABG landet und dort zum Technischen Leiter aufsteigt, wird der ehemalige Obergefreite Vorgesetzter seines früheren Kommandeurs, des Generals Erdmann.
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