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Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische , 09.05.2005 :

Lethargie nach den Schrecken / 60. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands: Vortrag, Diskussion und Gottesdienst

Bielefeld (mönt). Gestern vor 60 Jahren war Schluss mit der NS-Diktatur in Deutschland. Amerikanische und britische Truppen hatten zuvor schon die Nazis in Bielefeld besiegt und entmachtet. Mit der so genannten Stunde Null in der Stadt und im Land beschäftigten sich am Wochenende zahlreiche Veranstaltungen.

Während es am Samstagabend während eines Vortrags von Hans Jörg Kühne in der Altstädter Nicolaikirche vor allem um Lebensgeschichten von Flüchtlingen und Vertriebenen ging, thematisierte der Friedensgottesdienst am Sonntagmorgen den Genozid an den Juden durch die Nationalsozialisten "Wir haben uns während des Gottesdienstes dem Phänomen des Krieges mit all seinen Schrecken genähert", fasste Pfarrer Armin Piepenbrink-Rademacher zusammen.

Superintendentin Regine Burg, Oberbürgermeister Eberhard David und Brunhilde Wiedemann vom der Kreisvereinigung der Ostdeutschen Landsmannschaften beteiligten sich mit Beiträgen am Gottesdienst, musikalisch begleitet vom Altstädter Bläserchor unter der Leitung von Hartmut Sturm.

Anschließend analysierten Historiker die Lage im Land und in der Stadt nach der Kapitulation Deutschlands. Dr. Reinhard Vogelsang konstatierte bei der Besatzerarmee in Bielefeld Pragmatismus. "Die Briten haben die Deutschen nicht als Feinde gesehen, an denen sie Rache verüben. Sie waren bestrebt, den Menschen schnell ein einfaches und funktionierendes Leben zu ermöglichen und das Land zu demokratisieren."

Die Verwaltung überließ man deswegen weiter vornehmlich den Einheimischen, führte aber demokratische Strukturen ein. "Das ist gelungen", sagt Vogelsang. Im Januar 1946 konstituierte sich der erste Rat der Stadt, im Herbst wurden die ersten Wahlen abgehalten. "Die Nazizeit aber wurde nicht aufgearbeitet, dass kam später."

Dieser Analyse stimmten die anderen Experten zu. Dr. Bernd Hey erläutere die Situation in der Evangelischen Kirche von Westfalen: "Man hat sich zur Schuld bekannt mit deutlichen Worten, es allerdings dabei auch belassen." Mit ihrer Rolle als Täter, Helfer der Täter und Mitläufer mussten sich viele erst später befassen: Die Menschen hatten andere Sorgen: Essen und ein Dach über den Kopf. "Die Lethargie und Verzweiflung war groß", berichtete Dr. Martin Münzel. Viele Verbrechen wurden so zunächst verdrängt.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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