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Westfalen-Blatt , 07.05.2005 :

Leitartikel / Proletarisierung der Rede / Menschen, Mächte, Krawalleros

Von Rolf Dressler

Die gütige Macht hoch über uns bewahre uns davor: Kein Mensch, absolut niemand sollte je dazu ermuntert werden, Gift zu nehmen. Das kann, wenn es denn einfach nicht anders zu gehen scheint, vereinzelten Ausreißern wie etwa dem SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement vorbehalten bleiben. Er verstieg sich zu der tollkühn-"giftigen" Prophezeiung, fortan und für alle absehbare Zukunft werde Deutschlands Arbeitslosen-Pegel nie wieder die magische Schreckensmarke "5 Millionen" erreichen, geschweige gar überspringen.

Auch diese Einlassung freilich dürfte wohl kaum als pfleglicher Beitrag zur politischen Kultur der Redlichkeit und Rechtschaffenheit in die (Welt-)Geschichte eingehen.

Ein schräger Fußballschiedsrichter namens Robert Hoyzer brachte, wie bekannt, vor kurzem die schillernde Sportwetten-Branche gehörig ins Zwielicht. Nun aber hauen nicht wenige hoch- und höchstrangige Polit-, Gewerkschafts- und Interessenverbandsfunktionäre dermaßen schrill auf den Putz, dass mancher Bürger, ob Nicht-, Vielleicht- oder Auf-jeden-Fall-Wähler, von einer frischen Geschäftsidee träumt: von der Pionier-Gründung flächendeckender Polit-Wettagenturen, natürlich lupenrein marktwirtschaftlich, sprich: umsatz- und gewinnorientiert organisiert.

Das ist überaus verlockend. Denn immer mehr Volksvertreter poltern wie die sprichwörtlichen Elefanten durch den Porzellanladen, so dass Wahlausgänge weniger denn je verlässlich vorauszusagen sind. Auf geht`s also in die Etablissements von Polit-"Wetten, dass". Schon weil es unvergleichlich gesünder ist als der Griff zur Giftampulle!

"Moral ist gut, Wahlsieg ist besser."
Bürger-Sinnspruch 2005, frei nach Theodor Fontane

Gegen gekonnt zubereitete, auch deftigere Wahlkampf-Kost ist nichts einzuwenden. Aber wie stets im Leben macht letztlich doch wieder der Ton die Musik.

Dann und nur dann hätte gerade auch SPD-Chef Franz Müntefering mit seiner Kritik an real durchaus existierenden Auswüchsen allzu freier "turbo"-kapitalistischer Marktwirtschaft eine seriöse Erörterung auslösen können. So aber wurde auch diese Chance verwirkt, weil Müntefering - im Auftrage seines Kanzlers Gerhard Schröder? - Unternehmer und Unternehmen als übelste, beinahe halbkriminelle "Plattmacher" brandmarkt und sein Krawallgenosse und Partei-"General" Ludwig Stiegler obendrein auch noch extra-patzig zwischen "Heuschrecken"-Allesvernichtern und "Nutztieren" unterscheidet.

Zugleich versohlt Guido Westerwelle nach Strich und Faden die Gewerkschaften, woraufhin die DGB-Führer den FDP-Vormann sogleich als "Gefahr für die Demokratie" geißeln, dass es nur so raucht. Das Vokabular proletarisiert sich zusehends. Krawall hat Konjunktur in deutschen Landen, während die Konjunktur dahindümpelt und der Problemthemen-Stau wächst und wächst.

Wetten, dass sich daran auch nach dem NRW-Urnengang am 22. Mai nichts ändern wird?

Schon anderthalb Jahre später ist ja Bundestagswahl. Frage: Leider oder Gott sei Dank ... ?

07./08.05.2005
wb@westfalen-blatt.de

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