Tageblatt für Enger und Spenge / Neue Westfälische ,
07.05.2005 :
Begegnungen mit dem Fremden / NW-Serie zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges: Emmi Gößling erinnert sich
Enger (uki). Die Begegnung mit Fremden am Ende des zweiten Weltkrieges lässt sich mit Hilfe der Engeranerin Emmi Gößling aus zwei völlig gegensätzlichen Perspektiven beleuchten. Neben eigenen Eindrücken hat sie ein eng beschriebenes Heftchen mit Gedichten ihres Schwiegervaters Heinrich Gößling aus der Gefangenschaft "konserviert".
Emmi Gößling stammt aus Besenkamp und wohnt jetzt in Belke-Steinbeck. In ihrem Elternhaus erlebte sie als 11-Jährige das Kriegsende und sah zum ersten Mal einen "Neger".
"Die Amerikaner kamen ja immer zu zweit in jedes Haus", erzählt Emmi Gößling, "um alles zu kontrollieren. Mein Großvater stand in der Tür, und wir sechs Enkelkinder haben uns hinter ihm versteckt, weil so ein schwarzer Mann für uns natürlich unheimlich war. Der Soldat war aber sehr nett, und da verschwand auch unsere Angst. In den nächsten Tagen wurden wir dann mutiger und liefen auch mal hinter den Panzern her."
Auch an ihr erstes Kaugummi kann sich die Engeranerin genau erinnern: "Meine Schwester war zu der Zeit im Pflichtjahr beim Bauern. Abends um 8 Uhr musste sie von dort nach Hause und war ängstlich, denn da war schon Sperrstunde. Mein Cousin und ich haben sie deshalb dort abgeholt. Wir hatten alle Angst, als ein Jeep auf uns zukam, aber die Soldaten winkten und warfen uns Kaugummi zu." Später hat sich Emmi Gößling über ihre Unerfahrenheit mit der englischen Sprache amüsiert: "Wir haben `chewing gum` von der Packung buchstabiert und es deutsch ausgesprochen."
In Gefangenschaft auf Kreta und in Ägypten
Viel weniger lustig erging es 1945 ihrem späteren Schwiegervater. Der gebürtige Herringhauser war in Gefangenschaft geraten – zunächst auf Kreta und dann in Ägypten. Zwei Feldpostkarten kamen im November 1944 und im Januar 1945 von ihm in der Heimat an. Darauf teilte er mit, es gehe ihm gut.
Der Krieg war zwar zu Ende, aber was aus seiner Familie geworden war, wusste der damals 40-Jährige nicht. Er harrte als Fremder in der ägyptischen Wüste aus.
Seine Gedanken hielt er in dem Heftchen fest, das seine Schwiegertochter bis heute aufbewahrt hat. Er hat darin überwiegend gereimte Gedichte notiert, in denen "Heimat" ein immer wiederkehrendes Thema ist. Manchmal schreibt er einem Familienmitglied etwas Gereimtes zum Geburtstag. Mehrfach kreisen seine Gedanken um sein Elternhaus. Am 30. November 1945 schreibt er:
"Oft denk ich an das Elternhaus / wie mag es da wohl sehen aus? / Ob sie auch wohl noch leben? ... Wird es auch wohl noch stehen? / Ob es den Bomben und Granaten, / die da so gewütet haben, / treulich standgehalten hat? / Oder ist es zerschunden, / vom Erdboden so ganz verschwunden? / Ist es nur ein haufen Schutt und Trümmer? / Stehn die alten Giebel nimmer, / die mit ihren alten Tagen / das Heiligtum der Eltern waren, / das mühsam sie sich aufgebaut. / Hat manchen Sturm gehalten aus – / ist es nun wohl zertrümmert? / Oder hat so über Nacht / eine Bombe es angekracht / und schlug es in Trümmer? / Kamen noch die Eltern raus / aus dem heißgeliebten Haus? / Oder lagen sie unter den Trümmern / begraben da für lange Zeit, / bis von Trümmern sie befreit, / begraben dann für immer? / Kehre ich mal später heim, / wie wird mein erster Anblick sein? / Woran ich denke immer: / treffe ich sie lebend noch? / Steht das Elternhäuschen noch? / Das sind Sorgen, die mir macht / sehr schwer die Gefangenschaft."
Ein andermal beschreibt Heinrich Gößling einen Wüstensturm:
"Wenn ein starker Nordostwind weht / der Sand sich von der Erde hebt / das ist Wüstensturm. / Wenn man dann ins Freie geht / nicht eine Hand vor Augen sieht / dann ist Wüstensturm. / Wenn die Augen ganz voll Sand / einem fast der Atem stand / dann war Wüstensturm. / Wenn die Zeltbalken sich biegen / von dem Zelt die Fetzen fliegen / dann ist Wüstensturm ... ".
Bis 1948 habe Heinrich Gößling noch durchhalten müssen, berichtet seine Schwiegertochter heute, "dann kam er in Tropenuniform nach Hause – genau zwei Tage vor der Währungsreform."
07./08.05.2005
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