Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
07.05.2005 :
Froh, endlich dem Luftkrieg entronnen zu sein / Erinnerung an das Kriegsende in Paderborn: 500.000 Kubikmeter Trümmer mussten beseitigt werden / Nahrungsmittel waren knapp
Von Jutta Steinmetz
Paderborn. Als der Start in den Frieden mit der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht vor den alliierten Siegermächten besiegelt wurde, hatte man in der fast völlig zerstörten Stadt Paderborn einen ganz zarten Vorgeschmack auf bessere Zeiten erfahren - trotz allen Elends und aller Beschwerlichkeiten. In der Stadt sei etwas Ruhe eingekehrt, schreibt Martin Wagner für die ersten Apriltage 1945 in seiner Kriegschronik.
Nachdem bereits am 3. April die britische Militärregierung die Verwaltung übernommen hatte, war die Bevölkerung "froh, dass für sie die Schrecken des Krieges nach fast sechsjährige Dauer endlich vorbei waren, und sie endlich auch den Furchtbarkeiten des Luftkrieges und seiner unausgesetzten Alarmbereitschaft entronnen war", bilanziert er.
Doch trotz dieses Gefühls einer gewissen Erleichterung konnte aber von Normalität nicht die Rede sein. Evakuierten Paderbornern blieb die Heimkehr in die Stadt zunächst versagt. Amerikanische Soldaten hielten die Zugänge der Stadt geschlossen. In den Ruinen selbst waren, wie Wagner beschreibt, das "Organisieren" und Plündern keine Seltenheit.
Vor allem die Versorgung mit Lebensmitteln war nach den Angriffen vom 27. März total zusammengebrochen. Nahezu alle Lebensmittellager waren zerstört, fast alle Lebensmittel verbrannt. Bäckereien waren nicht betriebsfähig, die Verkehrswege teilweise unpassierbar oder gesperrt. Um die größte Not zu lindern, griff die Stadt ein.
"Sie sorgte dafür, dass 125 Gramm Brot pro Kopf und Tag verteilt werden konnten, Butter gab es zunächst nicht, wohl aber eine kleine Fleischration und Magermilch", beschreibt Wagner die Versorgungslage in den April- und Maitagen. Sogleich begannen in der Paderstadt, in der bei den Luftangriffen 9.699 von insgesamt 10.149 Wohnungen zerstört worden waren, die Aufräumarbeiten.
Die Amerikaner bemühten sich, mit Räumwagen und Baggern die völlig verschütteten Durchgangsstraßen von Schutt und Trümmern zu befreien. Am 1. Mai wurden die ersten Hausruinen gesprengt, die einsturzgefährdet waren. Abgestützt wurde hingegen die Front des stark zerstörten Rathauses. "Es stand von Anfang an fest, dass alles versucht werden müsse, den alten historischen Bau zu erhalten", so die Kriegschronik.
In der Paderstadt hatte man mit gewaltigen Trümmerbergen zu kämpfen. Über 500.000 Kubikmeter Schutt galt es zu beseitigen. Trümmerfrauen allerdings gab es in Paderborn nicht. Hier war der Notdienst, der zur Schutträumung verpflichtete, im Gegensatz zu vielen deutschen Städten nicht auf Frauen ausgedehnt. Die "Ernährung, Kleidung etc. lasse eine solche Maßnahme nicht zu", meinten die Paderborner Stadtvertreter.
Hingegen mussten Schuljungen, die über 14 Jahre alt waren, klassenweise zwei Stunden lang pro Monat bei den Aufräumarbeiten, dem so genannten "Steine putzen", helfen. Die systematischen Aufräumarbeiten, bei denen bis 1949 die berühmten Trümmerbahnen im Einsatz waren, begannen allerdings erst im Herbst 1945.
Da lebten in der Stadt laut Wagner schon wieder gut 20.000 Menschen. In Baracken, Behelfsheimen, Kellern und den wenigen noch benutzbaren Wohnungen mussten sie eng zusammenrücken. Am Sonntag nach Pfingsten eroberten sie sich ein Stück Paderborner Normalität zurück. An diesem Tag führte eine Prozession, die auf Anweisung der Militärregierung nicht am Fronleichnamstag, sondern am Oktavsonntag stattfand, durch die Paderstadt.
Zwar, wie Wagner schreibt, "durch ein einziges Trümmerfeld", doch es ist der erste große Umzug am "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" seit 1940. Birkengrün war wenige Wochen nach der Zerstörung der Stadt der einzige Schmuck am Weg und im Dom selbst. Erwin Lutzke und Theo Fockele waren am 8. Mai 1945 weit von Paderborn entfernt.
07./08.05.2005
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