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Warburger Zeitung / Neue Westfälische , 07.05.2005 :

Die Erschießung sprach sich wie ein Lauffeuer herum / Weil er kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner eine weiße Flagge ins Fenster hing, wurde in Welda Josef Müller von Nazis hingerichtet

Von Armin Nolzen

Welda. So genannte "Endphase-Verbrechen" ereigneten sich 1944/45 im gesamten Reichsgebiet. Auch Warburg und der Ort Welda war Schauplatz eines solch absurden Verbrechens.

Ende März 1945 hatten die amerikanischen Truppen die Weser überschritten und stießen in drei Panzerkeilen in den Warburger Raum vor. Auf der Straße von Welda nach Volkmarsen war eine Panzersperre errichtet worden, die von einem Dutzend Männern verteidigt werden sollte.

Rittmeister von Pankow der am 27. März 1945 als "Kampfkommandant" mit etwa 50 Mann nach Warburg beordert worden war, hatte von einem General im Oberkommando des Heeres den Auftrag erhalten, den Kreis Warburg auf jeden Fall zu verteidigen.

Von Pankow sollte mit dem Kaufmann Bernhard Stuchtrup kooperieren, der seit Anfang 1944 als Kreisleiter der NSDAP in Warburg amtierte und das Regiment des Warburger Volkssturms kommandierte. Stuchtrup residierte im Gebäude der Kreisleitung der NSDAP im Mönchehof (dem Befehlskeller), und direkt gegenüber, in den Räumlichkeiten des damaligen Finanzamtes (heute Museum im "Stern"), waren von Pankow und seine Mitarbeiter untergebracht.

In den frühen Vormittagsstunden des 30. März 1945 hingen einige Bewohner Weldas weiße Fahne aus ihren Häusern, weil die Amerikaner bereits in Volkmarsen einmarschiert waren und die Eroberung Weldas kurz bevor zu stehen schien.

Von Pankow, der dies vom Leiter der Weldaer Panzersperre erfahren hatte, setzte umgehend Kreisleiter Stuchtrup in Kenntnis. Sofort erkundigte sich Stuchtrup auf telefonischem Wege beim Zellenleiter der NSDAP in Welda, inwieweit dieser Vorwurf, dass die dortige Bevölkerung kapituliere, zutraf. Nachdem ihm dies bestätigt worden war, ließ der Kreisleiter mit L. den Kreisobmann der Deutschen Arbeitsfront zu sich kommen, der Kompanieführer des Warburger Volkssturms war.

Stuchtrup erteilte L. den Befehl, sofort mit einem Volkssturmkommando nach Welda zu fahren und den dortigen Ortsbürgermeister Anton Fecke zu erschießen. Stuchtrup und von Pankow machten Fecke für die weißen Flaggen verantwortlich, weil er angeblich die Verteidigung Weldas als "sinnlos" bezeichnet hatte.

Außerdem sollte L. alle Hauseigentümer erschießen, die weiße Flaggen gehisst hatten. Dabei berief sich der NSDAP-Kreisleiter auf den wenige Wochen zuvor ergangenen Flaggenbefehl des Reichsführers-SS Heinrich Himmler, wonach "aus einem Haus, aus dem eine weiße Fahne erscheint, alle männlichen Personen zu erschießen" seien.

L. wartete nicht ab, bis das ihm zugesagte Volkssturmkommando eintraf, sondern ließ sich vom SA-Obersturmbannführer Löwenich sogleich nach Welda fahren. Dort angekommen, nahmen sie zunächst Ortsbürgermeister Anton Fecke fest. Als sie weiterfuhren, sahen sie, dass an zahlreichen Häusern weiße Flaggen wehten. Sie trafen auf den Bauern Josef Müller, dem ein solches Haus gehörte. L. forderte Müller auf, die weiße Flagge zu entfernen. Müller kam dieser Aufforderung nicht nach. Daraufhin erschoss ihn L. aus nächster Nähe mit einem Karabiner.

Anschließend fuhren L. und Löwenich zur Panzersperre, bei der sich ergab, dass Ortsbürgermeister Fecke die ihm zur Last gelegten Äußerungen nicht getätigt hatte. Daraufhin wurde Fecke entlassen. Mittlerweile war die Mehrzahl der weißen Fahnen auf Grund der Erschießung Josef Müllers, die sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen hatte, eingezogen worden. L. kehrte deshalb zur Warburger Kreisleitung zurück und erstatte seinem Vorgesetzten S. Bericht. Nur einen Tag später, morgens gegen 8.30 Uhr, tauchten die ersten amerikanischen Panzerspitzen in Welda auf.

Es dauerte dann noch einige Jahre, bis die Weldaer Ereignisse vom 30. März 1945 strafrechtlich aufgearbeitet wurden. In den Jahren 1947/48 und 1957/58 fanden zwei getrennte Verfahren gegen L. und Löwenich sowie gegen Stuchtrup vor dem Landgericht Paderborn statt.

Der ehemalige Kreisleiter, der erst Mitte der 50er Jahre aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, wurde der Anstiftung zum Totschlag im Fall des Weldaer Bauern Josef Müller in Tateinheit mit misslungener Anstiftung zum Totschlag in zwei weiteren Fällen angeklagt. In einem Verfahren, das in Revision bis zum Bundesgerichtshof ging, wurde er wegen erfolgloser Anstiftung zum Totschlag zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Das Landgericht sprach ihn also der Anstiftung zum Totschlag im Fall Müller frei.

Dagegen war L. am 6. April 1949 wegen "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" in Tateinheit mit Totschlag zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Das Gericht bezeichnete die Erschießung Müllers als "Affekthandlung". "Mordlust" sei als Tatmotiv nicht festzustellen gewesen, und die Tat sei "weder heimtückisch noch aus gefühlloser unbarmherziger Gesinnung" durchgeführt worden. Insofern sei eine Verurteilung wegen Mordes nicht in Betracht gekommen. Löwenich, der nur der Beihilfe zum Totschlag angeklagt war, wurde freigesprochen.

Die barbarische Erschießung von Josef Müller war ein Gemeinschaftswerk, an dem die Institutionen von Wehrmacht, NSDAP und Volkssturm beteiligt waren. Die Tat wurde von Personen vorbereitet und durchgeführt, die im Nazi-Staat im bürgerlichen Leben als Ehrenmänner galten.

Diese glaubten noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges unerschütterlich ans NS-Regime und den angeblich bevorstehenden "Endsieg".

Auffällig ist, dass die Hauptbeteiligten Stuchtrup und L. nicht aus Warburg oder der Umgebung stammten, sondern aus dem Ruhrgebiet und dem Münsterland. Die örtlichen Gegebenheiten waren ihnen also nicht so sehr vertraut. Möglicher Weise war es einfacher, Todesurteile zu fällen oder Menschen zu ermorden, wenn man sie nicht persönlich kannte.

07./08.05.2005
lok-red.warburg@neue-westfaelische.de

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