Neue Westfälische ,
07.05.2005 :
Kriegsende in OWL
Am 8. Mai 1945 endete mit der Kapitulation Deutschlands offiziell der Zweite Weltkrieg. In Ostwestfalen-Lippe waren die Kampfhandlungen schon rund vier Wochen zuvor beendet worden, zum Teil mit besonders großen Zerstörungen gerade in den letzten Tagen und Stunden des Krieges. In unseren Lokalausgaben haben wir in den vergangenen Wochen in Form von einzelnen Artikeln, Serien und Beilagen über diese historischen Ereignisse berichtet. Zum Gedenken an das Kriegsende vor 60 Jahren fassen wir auf dieser Seite persönliche Erlebnisse und Situationen in den Städten und Dörfern Ostwestfalen-Lippes zusammen.
Die Toten von der Vlothoer Steinegge / Letztes Gefecht am 3. April im Kreis Herford
Von Hartmut Braun
Herford. Die erste und letzte Schlacht des Zweiten Weltkriegs im Kreis Herford fand am Morgen des 3. April 1945 auf der Steinegge in Vlotho statt. US-Einheiten der 5. Panzerdivision rollten auf Autobahn und Bundesstraße 61 in Richtung Berlin. Am 2. April hatten sie den Teutoburger Wald überquert. Herford ließen sie links liegen.
Doch jetzt stießen sie auf unerwarteten Widerstand. Granaten flogen durch die Luft. Mehrere Bauernhöfe in Vlotho gingen in Flammen auf. Für kurze Zeit gerieten die Konvois ins Stocken. Auf dem Friedhof in Exter erinnert ein Grabstein an die Ursache. Vier Namen stehen darauf, die Namen der Toten der Flakstellung auf der Steinegge.
Oben auf diesem Hügel, an der Straße Portablick, hatte der Volkssturm einige Monate zuvor zehn 8,8-Zentimeter-Geschütze montiert. Von hier aus sollte die Bad Oeynhauser Weserhütte, der wichtige Löhner Bahnhof und die tief im Jakobsberg an der Porta Westfalica verborgenen Rüstungsbetriebe vor Luftangriffen geschützt werden.
Oberleutnant H. Müller (42) war der Kommandant. Seine Einheit hatte nicht verhindern können, dass die Weserhütte erst wenige Tage zuvor, am Karfreitag, durch britische Bomber zerstört worden war. Als die US-Panzer aus dem Stuckenberg kamen, wollten sie es besser machen und eröffneten das Feuer. Dabei konnten sie selbst ihr Ziel gar nicht sehen. Beobachter mit direkter Sicht versuchten die Flakschützen über Feldtelefone zu dirigieren. Sicher ist, dass mehrere Geschütze Bauernhöfe trafen, deren Bewohner in Todesangst in die Keller flüchteten.
Die US-Panzer erwiderten das Feuer. Nach kurzem intensivem Schusswechsel, bei dem auch mehrere Bauernhöfe getroffen wurden, verstummten die Flaks. Müller und drei seiner Leute waren tot. Sie liegen auf dem Friedhof in Exter. Ihre Kameraden ergaben sich.
Die US-Panzer rollten weiter. Wochen später spielten Kinder mit der herumliegenden Munition. Zwei Flak-Geschützrohre sind noch heute zu sehen. Sie dienen als Torpfosten an der Shell-Tankstelle in Exter.
In Bünde ging es glimpflicher ab. Zeitzeugen berichten, dass der Dorfpolizist Wilhelm Vocke den aus Ahle anrollenden US-Panzern entgegenging und sich für friedliches Verhalten der Bünder verbürgte. Vocke musste sich dann rittlings auf das Geschützrohr eines nach Bünde einrollenden Panzers setzen - als Geisel. Dann konnte die neue Zeit beginnen.
US-Truppen kamen nach Dienstschluss / Der Krieg in Bielefeld war am 4. April vorbei
Von Frank Bell
Bielefeld. In der Stadt am Osning war der Krieg schon am 4. April 1945 beendet. Damals marschierten die Amerikaner aus Richtung Brackwede ein. Die Arbeit im Rathaus verlief normal bis Dienstschluss, denn die US-Truppen kamen erst danach. Sie sahen am Rathaus eine weiße Fahne, von der bis heute niemand weiß, wer sie gehisst hatte.
Die Stadt lag in Schutt und Asche. Die Alliierten hatten sie wegen der kriegswichtigen Betriebe bombardiert. Den verheerenden Angriff am 30. September 1944 dürften die meisten Bielefelder als schlimmste Erfahrung empfunden haben.
Außerdem wollten die Briten den Viadukt bei Schildesche zerstören, um die wichtige Nord-Süd-Verbindung zu kappen, was ihnen am 14. März 1945 gelungen war.
Die Menschen lebten am 8. Mai 1945 in einer Art Ausnahmezustand: Von den 39.000 Wohnungen im Stadtgebiet waren 15.000 zerstört oder beschädigt. 1.349 Menschen waren bei den Bombardierungen ums Leben gekommen, davon 218 Ausländer, zum Beispiel Zwangsarbeiter, denen die Flucht in die Schutzbunker verwehrt worden war.
14.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie etwa 1.000 Kriegsgefangene waren in der Stadt. Von 126.000 Einwohnern waren nur noch 70.000 übrig, viele waren in die Umgebung geflohen. Bis 1950 nahmen die Bielefelder 29.022 Menschen auf - Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten.
Im Dezember 1946 war die Einwohnerzahl schon auf 132.000 angestiegen, ein Zuwachs von fast 50 Prozent. Alle waren mit Lebensmitteln, Kleidung und Wohnraum sowie Plätzen an Schulen zu versorgen.
Die Schau " ... in jenen Tagen" im Stadtarchiv befasst sich mit der damaligen Situation.
Kriegsende zwischen Trümmern / Im fast völlig zerstörten Paderborn herrschten katastrophale Zustände
Von Jutta Steinmetz
Paderborn. Mit unvorstellbarer Härte erreichte in den ersten Monaten des Jahres 1945 der Bombenkrieg auch die alte Bischofsstadt Paderborn. Sie lag so oft unter Alarm, dass kein normales Leben mehr möglich war. Viele, viele Stunden mussten die Menschen in nur unzureichend gesicherten Kellern verbringen.
Als am 8. Mai der Krieg endlich zu Ende ist, liegt Paderborn, wo bereits am Ostersonntag (1. April 1945) die Amerikaner einmarschiert sind, in Schutt und Asche. Fünf schwere Bombardements, vor allem der Angriff vom 27. März, haben die alte Kaiserstadt fast komplett zerstört und mehr als 640 Menschen getötet. Von den insgesamt 10.149 Wohnungen sind 9.699 ganz oder teilweise zerstört. Der Dom, viele Kirchen, das historische Rathaus sowie die Krankenhäuser liegen in Trümmern. Eine Versorgung mit Wasser, Strom und Gas ist unmöglich.
Die Trümmermassen - man schätzt sie auf mehr als 500.000 Kubikmeter - sorgen in der Stadt, in der im April 1945 nur 5.000 Menschen leben - für katastrophale Verhältnisse. Die britische Militärregierung und die Stadtverwaltung befürchten die Ausbreitung von Seuchen.
Nicht minder besorgniserregend ist die Versorgung mit Lebensmitteln. Im brennenden Inferno des 27. März sind die Lebensmittellager nahezu komplett vernichtet worden, Bäckereien und Fleischereiküchen sind nicht funktionsfähig. Die Verkehrswege sind unpassierbar oder gesperrt, Fahrzeuge stehen nicht zur Verfügung, so dass von außerhalb nur mit großen Mühen Lebensmittel herangeschafft werden können. Zwischen dem 3. April und dem 5. Mai lässt die Stadt kostenlos Nahrungsmittel und Gemüsepflanzen verteilen. Ende April ordnet der Bürgermeister an: "Zur Sicherung der Ernährung ist es dringend erforderlich, dass alle Gärten und andere Grundstücke in der Umgebung Paderborns bekannt werden. Bis Donnerstag, den 26.4., muss mit der Bestellung begonnen sein. Grundstücke, die dann noch brachliegen, mögen der Stadtverwaltung sofort am 27.4. schriftlich gemeldet werden."
Und doch brechen sich zwischen den Trümmern der Stadt wieder Lebensmut und Lebenswillen Bahn. Am 2. September 1945 findet vor 500 Zuschauern das erste Fußballspiel nach dem Krieg statt, und im Paderborner Schützenhof wird in den Herbstmonaten wieder getanzt.
Kampflose Übergabe angeboten / Stunde null in Gütersloh
Gütersloh (raho). Die Stunde null schlug in Gütersloh am Ostermontag vor 60 Jahren. Es war der 2. April 1945, gegen 17 Uhr. Kurz zuvor hatte sich Pastor Paul Gronemeyer auf Bitten von Bürgermeister Josef Bauer mit dem Fahrrad Richtung Wasserturm Wiedenbrück aufgemacht, um den bereits bis hierher vorgerückten amerikanischen Truppen die bedingungslose Übergabe der Stadt anzubieten. Wenig später marschierten Soldaten der 9. US-Armee Richtung Rathaus. Gütersloh war nach Bielefeld und Paderborn die am meisten zerstörte Stadt Ostwestfalens. Bei den Luftangriffen zwischen November 1944 und März 1945 waren 2.700 Gebäude beschädigt worden. 40 Prozent aller Wohnungen waren unbrauchbar.
Und es hätte noch viel schlimmer kommen können: Die Amerikaner hatten Ostern 1945 bereits Artillerie in Stellung gegen die Stadt gebracht. Deshalb bemühten sich der Bürgermeister und andere Verantwortliche, die Wehrmacht zum Abrücken zu bewegen. Ostermontag zog sie sich vermutlich auf Befehl der Militärführung zurück, um den Gebirgsabschnitt zwischen Halle und Werther zu verteidigen. Die Amerikaner konnten kampflos vorrücken.
Die Euphorie war einfach groß / Ein Tag ganz persönlicher Befreiung in Minden
Von Hans-Jürgen Amtage
Minden. Den 5. April 1945 wird Hans Bradtmüller nicht vergessen. Es sei der Tag seiner ganz persönlichen Befreiung gewesen, erinnert sich der heute 77-jährige Mindener mit Freude - aber auch mit Trauer über die vielen Menschen, die die Befreiung vom Naziregime nicht mehr erlebten.
Es war Ende 1944, als Hans Bradtmüller, Sohn einer Jüdin und eines Christen, gemeinsam mit seiner Mutter Frieda von den Nationalsozialisten abgeholt und nach Bielefeld in ein Sammellager gebracht wird. Vater Hermann entgeht der Verhaftung.
In Bielefeld angekommen, untersucht ein SS-Arzt Mutter und Sohn, schickt Frieda Bradtmüller zurück nach Minden. Hans Bradtmüller wird in ein Lager nach Thüringen gebracht. Rund drei Wochen später gelingt es ihm, sich abzusetzen und in die Heimat zurückzukehren.
Die Familie findet vor den Verfolgern Unterschlupf bei Sozialdemokraten, die ein kleines Haus in Stemmer haben. Etwa 80 Personen wohnen in der Siedlung. "Ich möchte wetten, dass alle Bescheid gewusst haben, dass wir dort versteckt wurden", blickt Hans Bradtmüller heute zurück: "Aber keiner hat uns verraten."
Bis April bleibt die Familie in ihrem Versteck.
Es ist der 4. April. In den späten Abendstunden spricht sich herum, dass alliierte Streitkräfte in Minden eingedrungen sein sollen. Erste Panzer werden gesehen.
"Und die Eisenbahn-Flak, die die ganze Zeit über auf den Schienen in der Nähe stand, war verschwunden", erinnert sich Hans Bradtmüller. Sein Vater ist angesichts der Entwicklung ganz euphorisch. "Wenn wir durch diesen Krieg kommen, dann ist das wie ein zweites Leben", hatte er einmal sorgenvoll gesagt. Das zweite Leben scheint zum Greifen nahe.
Es ist der 5. April. Hermann Bradtmüllers Euphorie hält an. Gemeinsam mit seinem Sohn wagt er sich in Richtung Innenstadt. "Einzelne weiße Tücher sahen wir unterwegs aus den Fenstern hängen", weiß der damals 17-jährige Hans Bradtmüller noch ganz genau. Sie kommen in Höhe des Kreuzungsbereiches Bierpohlweg/Stiftsallee an und sehen einen kanadischen Panzer die Brücke über den Mittellandkanal sichern. Sie wollten einfach sehen, was los war.
60 Jahre nach diesem Erlebnis sagt Hans Bradtmüller selbst, dass es ungeheuer leichtsinnig gewesen sei, sich angesichts der herrschenden Kriegssituation aus dem Versteck zu wagen und sich auf den Weg in die Innenstadt zu machen. Doch die Euphorie sei einfach groß gewesen an diesem Tag der ganz persönlichen Befreiung.
Glücklich nach Hause durchgeschlagen / Verteidigung war aussichtslos für Lipper
Von Carsten Heil
Bad Salzuflen. Heute lebt Bruno Könemann in Bad Salzuflen. Als Fahnenjunker war er in Russland und zuletzt in Westfalen eingesetzt. So war der heute 82-Jährige einer derjenigen, die in den letzten Kriegstagen tatsächlich ihre Heimat verteidigten, das Gebiet, aus dem sie stammten: zunächst den Raum Paderborn, später Werther im Kreis Gütersloh. In einem Manuskript für ein geplantes Buch berichtet Könemann von seinen Erlebnissen, die ihn durch halb OWL führten. "Uns wurde der Auftrag erteilt, an einer Panzersperre in Werther die feindlichen Truppen aufzuhalten", berichtet Könemann.
Doch schwere Waffen fehlten seiner Truppe. Nur mit Gewehren bewaffnet, versuchte sie, die heranrückenden US-Panzer aufzuhalten, wobei der kommandierende Major lediglich Verwaltungsoffizier ohne Kampferfahrung war. Die Mannschaft geriet in Gefangenschaft. Doch schon in der ersten Nacht in einem Tanzsaal in Werther ergriff Könemann mit drei Kameraden die Gelegenheit zur Flucht. Auf dem Weg nach Norden Richtung Wiehengebirge fanden Könemann und seine Kameraden immer wieder Unterschlupf und wurden auch versorgt.
Eines Nachts schlichen die Flüchtenden am Kraftwerk in Kirchlengern (EMR) vorbei. Wenig später tauschten sie ihre Uniform gegen Zivilkleidung und überquerten bei Bergkirchen das Wiehengebirge. Doch dort wartete eine unangenehme Überraschung auf sie. "Plötzlich und schockiert sahen wir, dass jenseits des Berges Panzer abgestellt waren. Wir konnten über militärische Aktionen dort nichts wissen."
Das sei die gefährlichste Situation auf seiner Flucht gewesen, erinnert er sich. Sie wurde gemeistert, und schließlich erreichte Könemann sein Elternhaus in Hille-Hartum.
Zerstörungen in der Weserstraße / Brückensprengungen in Höxter sollten den Alliierten schaden
Von Holger Kosbab
Höxter. Am Abend des 6. April wurden die Altstadt Höxters und der Bereich zwischen Weserbrücke und Bahnhof erstmals unter Artilleriebeschuss genommen. Um der Stadt ein Schicksal wie dem Paderborns zu ersparen, wurde überlegt, sie den Amerikanern zu übergeben. Gerade in Höxters letzten Kriegsstunden sollte es die stärksten Zerstörungen geben.
Am Himmel flogen alliierte Aufklärer. Um keine intakte Infrastruktur zu hinterlassen, hatte die Pioniergruppe 100 an allen fünf Weserbrücken zwischen Beverungen und Holzminden Sprengladungen angebracht. Die Weserbrücke in Höxter war gegen 16 Uhr die letzte, deren Konstruktion an diesem 7. April 1945 in die Fluten der Weser stürzen würde.
Schon am Morgen des 7. April hatten sich Magdalene Hermes und ihre Mutter Marie wie viele Menschen aus Höxter auf den Weg in den Nachbarort Bödexen gemacht. Mittlerweile hatte sich die beabsichtigte Sprengung in der Bevölkerung herum gesprochen. Das Haus Weserstraße 17, in dem die Familie lebte, war der der Weser nächstgelegene Bau: "Aus einer reinen Vorsichtsmaßnahme sind wir gegangen", erzählt die 85-jährige Hermes. Was kam, sollte ihre Befürchtungen jedoch noch übertreffen.
Wohl erkennend, dass sich deutsche Soldaten an der Brücke zu schaffen machten, habe ein Flugzeug der Alliierten versucht, die Zerstörung zu stoppen, vermutet ihr Mann Karl-Heinz. Er selbst war zu dieser Zeit an der Front bei Magdeburg. Nach der Rückkehr erkannte sie: "Unser Haus war total zerstört. Es war ein glühender Aschehaufen. Ich weiß noch, wie wir an den Bahngleisen standen. Zunächst wollten wir nach Gegenständen suchen. Aber das ging wegen der Hitze nicht."
Ein Flugzeug hatte Bomben auf das Nachbarhaus Weserstraße 15 geworfen, wodurch das Elternhaus in Brand geriet. Durch die Druckwelle der späteren Brückensprengung wurde das Haus komplett zerstört. Da die Familie in Höxter keine Verwandten hatte, kamen sie bei Nachbarn und Bekannten unter. "Gott sei dank war es Sommer", erinnert sich Hermes.
Damals standen sie vor den Ruinen ihrer Existenz. Mit nichts, außer den Kleidern am Körper und wenigen Habseligkeiten, die im Handwagen gerettet wurden, starteten sie in die Zukunft.
07./08.05.2005
redaktion@neue-westfaelische.de
|