Westfalen-Blatt / Espelkamper Zeitung ,
26.02.2020 :
Leserbriefe / Die Spitze des Eisberges
Kritik an der Dr.-Max-Ilgner-Straße
Zum Thema der "Dr.-Max-Ilgner-Straße":
Der Fall Ilgner ist nur die Spitze des Eisberges, denn in Espelkamp sind nach dem Krieg viele Nazis kurzfristig oder auch dauerhaft untergebracht und versorgt worden. Dazu kann man in dem Buch von Herrn Könemann folgendes nachlesen: "Die Behauptung, (… ) Espelkamp sei ein Rehabilitierungszentrum für fanatische Nazis, ist natürlich viel zu überzogen, um richtig sein zu können. Aber unter den Leuten, die am Aufbau Espelkamps mitgearbeitet haben, sind einige mit einer ausgeprägten Vergangenheit."
Sehr wahrscheinlich ist die Unterbringung und Versorgung schon vor Ende der Zweiten Weltkrieges systematisch geplant worden. Und zwar von Dünne aus - sehr wahrscheinlich auch mit dem Wissen von Birger Forell. Und wahrscheinlich ermöglichte es Espelkamp vielen Nazis, einer Bestrafung zu entkommen.
Eine seriöse Geschichtsschreibung heißt, sich auch mit der Vorgeschichte unterschiedlicher Akteure zu beschäftigen, die am Aufbau der Stadt Espelkamp beteiligt waren. In dem Zusammenhang geht es nicht darum, Menschen an den Pranger stellen zu wollen, sondern es geht darum, die Vergangenheit aus der Perspektive der Opfer zu erzählen.
Gemeint sind die Menschen, die keine bekennenden Nazis oder Mitläufer gewesen sind. Und davon hat es in Espelkamp viele gegeben. Vor allem unter den Vertriebenen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen und die nach dem Krieg in ihrer Heimat geblieben sind, weil sie gehofft haben, dort bleiben zu können. Doch aus ihrer alten Heimat sind sie dann vertrieben worden.
Und in ihrer neuen Heimat - wie in Espelkamp - mussten sie dann miterleben, wie die alten Nazis wieder ganz schnell das Sagen und ein gutes Ein- und Auskommen hatten.
Das heißt, wir sind es vor allem den Opfern schuldig, das wir die Geschichte der Stadt Espelkamp auch aus deren Perspektive dokumentieren.
Denn viele von diesen alten Nazis haben sich angeblich noch bis in die 1980-er Jahre in Dünne getroffen, um Hitlers Geburtstag zu feiern und die Opfer zu verhöhnen.
Und auch das gehört zur Geschichte und darf nicht vergessen werden.
Roland Quarder
Lübbecke
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Neue Westfälische Online, 14.02.2020:
Soll nach Nazi-Größe benannte Straße einen neuen Namen bekommen?
14.02.2020 - 13.11 Uhr
Gerhard Pollheide stellte an Rat und Verwaltung einen Bürgerantrag auf Umbenennung der Dr.-Max-Ilgner-Straße in Oskar-Schindler-Straße. Nur eine Partei stimmt bislang vorbehaltlos zu.
Karsten Schulz
Espelkamp. Der Name Max Ilgner, der in Espelkamp den Weg zum Industriegebiet zwischen General-Bishop-Straße und Präses-Ernst-Wilm-Straße weist, stößt manchem Zeitgenossen sauer auf. So gab es bereits Ende der 90er-Jahre den Versuch, die Straße umzubenennen. Jetzt liegt Rat und Verwaltung wieder ein entsprechender Bürgerantrag vor.
Gerhard Pollheide wohnt seit 30 Jahren in Spanien
Gerhard Pollheide, gebürtiger Isenstedter, seit mehr als 30 Jahren in Spanien lebend und mit Zweitwohnsitz in Lübbecke ansässig, schickte ihn jetzt schriftlich an Rat und Verwaltung sowie an die Fraktionsvorsitzenden der im Rat vertretenen Parteien. Er möchte, dass sie in Oskar-Schindler-Straße umbenannt wird. Schindler war ein deutschmährischer Unternehmer, der während des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit seiner Frau etwa 1.200 bei ihm angestellte jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten bewahrte.
"Straßenname ist eine Verhöhnung der Nazi-Opfer"
Als Begründung fügt er an, dass Max Ilgner NSDAP-Mitglied, ein Nazi und wegen Plünderung und Raub verurteilter Kriegsverbrecher war. Außerdem war er Vorstandsmitglied der IG Farben und als Geschäftsführer der Buna-Werke in Schkopau maßgeblich am 1941 durch die I.G. Farben erbauten rund 20 Hektar großen Buna-Werkes beim Konzentrationslager Auschwitz III Monowitz beteiligt.
Pollheide führt in seiner Begründung weiter an, dass in diesem Jahr der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren gedacht wurde. "Auch vor diesem Hintergrund ist es unfassbar und völlig unakzeptabel, dass es in der Stadt Espelkamp immer noch eine Straße gibt, die Ilgners Namen trägt. Es ist wie eine Verhöhnung der vielen Opfer des Holocaust", schreibt Pollheide. Es sei daher "dringend an der Zeit auch in Espelkamp die NS-Geschichte endlich komplett aufzuarbeiten".
Schreiben ging auch ans Bundespräsidialamt
Das Schreiben hat Pollheide auch ans Bundespräsidialamt, Bundeskanzleramt und den Zentralrat der Juden geschickt. Pollheide erinnert in diesem Zusammenhang an die "auch von mir geführten schmerzlichen Diskussionen hierüber". Seinerzeit hätten diese leider nicht zum Ziel der Straßennamenveränderung geführt. "Daher ist dieses jetzt dringend geboten." Auf offene Ohren stößt der in Spanien lebende Künstler vor allem bei den Grünen. "Wir unterstützen den Antrag und finden auch die Vorstellung gut, dass die Straße zukünftig nach Oskar Schindler benannt werden soll", sagt Andreas Sültrup im Gespräch mit nw.de.
Unternehmen müssten viel Geld in die Hand nehmen
Auch Hartmut Stickan (SPD) findet den "Bürgerantrag so in Ordnung". Er stellt allerdings die Frage in den Raum, ob dies eine gute Lösung sei. Er weist darauf hin, dass an dieser Straße mehrere Unternehmen ihren Sitz haben, beispielsweise auch das Weltunternehmen Plümat oder auch die Gebäudereinigung Schulz und viele kleinere Firmen. Sie müssten zum Teil "erhebliche Summen" in die Hand nehmen, um bei einer Umbenennung die Anschrift zu ändern. Stickan machte den Vorschlag, eine zusätzliche Tafel unterhalb der Straßenschilder aufzustellen, um auf die problematische Vergangenheit Ilgners hinzuweisen.
CDU spricht darüber in einer Fraktionssitzung
Noch keine Aussage treffen wollte in diesem Zusammenhang CDU-Fraktionssprecher Wilfried Windhorst. Man werde darüber in der kommenden Fraktionssitzung sprechen und "eine Linie finden". "Im Augenblick habe ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht", so Windhorst. Auch Unabhängigen-Sprecher Paul-Gerhard Seidel wollte sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht dazu äußern, ob seine Fraktion einer Umbenennung zustimmt. "Wir werden darüber in einer Fraktionssitzung beraten und es dann mitteilen", so Seidel.
"Jeder hat die Chance eines Neuanfangs"
Gerhard Könemann vom Espelkamper Geschichtskreis hat sich in einem Schreiben an Unternehmer Roland Quarder, der die Umbenennung ebenfalls unterstützt, zur Person Max Ilgner geäußert. Ilgner habe im Auftrag des Zentralbüros des Evangelischen Hilfswerkes und auf Empfehlung Birger Forells etwa ein Jahr lang das Planungsbüro in der Muna geleitet und dabei eine Industrieplanung entwickelt und Vorverhandlungen mit dem Land NRW geführt.
Dies habe zur Gründung der Aufbaugemeinschaft und damit Espelkamps geführt. Er merkt in diesem Zusammenhang an, dass Ilgner im IG-Farben-Prozess in Nürnberg zu drei Jahren Haft verurteilt worden ist. Er habe diese Strafe abgesessen. Könemann abschließend: "Alle demokratischen Rechtssysteme sehen für solche Leute die Chance eines Neuanfanges vor."
Bildunterschrift: Das Straßenschild mit dem Namen Dr.-Max-Ilgner-Straße leuchtet in der Abenddämmerung. An der Ausfahrt zur General-Bishop-Straße ist im Hintergrund die Gewerbetafel mit den Namen der dort ansässigen Unternehmen zu sehen.
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