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Neue Westfälische , 02.04.2005 :

Befreiung des Konzentrationslagers Niederhagen vor 60 Jahren / "Da werden aller Schüler ganz still" / Wulf E. Brebeck wirbt seit 25 Jahren im Kreismuseum Wewelsburg

Von Hubertus Gärtner

Büren-Wewelsburg. Die meisten Dinge im Leben hängen vermutlich mit dem Zufall zusammen. Wulff Eberhard Brebeck (58) beispielsweise wollte eigentlich Lehrer an einem Gymnasium werden. Er hatte Politik, Geschichte und russische Philologie studiert, aber nach seinem erfolgreich absolvierten Examen wurden Lehrer hier zu Lande plötzlich nicht mehr gebraucht. Da hat der "leidenschaftliche Museumsbesucher" Brebeck dann aus seinem Hobby "einen Beruf gemacht", wie er sagt. Zunächst arbeitete Brebeck anderthalb Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Museum in Unna, dann wurde er Leiter des Kreismuseums im Wewelsburg.

Hier ist der Name Wulff Eberhard Brebeck nun seit zweieinhalb Jahrzehnten mit der Ausstellung über die SS-Kult- und Terrorstätte verbunden. Doch Brebeck wirkt nicht nur im Hochstift, sondern er setzt sich in vielen Ländern dafür ein, dass die Opfer von staatlichen und gesellschaftlichen Gewaltverbrechen Gedenkstätten erhalten und nicht aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden.

Die Gesellschaft leugnet bisweilen ihre Gesamtverantwortung für das Vergangene. Das hat Brebeck auch in Wewelsburg erfahren. An diesem Ort, den der Reichsführer SS Heinrich Himmler einst zu einem kulturellen und weltanschaulichen Zentrum der Nazi-Diktatur ausbauen wollte, starben mindestens 1.285 Menschen in einen Konzentrationslager. Und dennoch gab es noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen heftigen und langen Streit uber die Frage, ob ein Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des KZ Niederhagen aufgestellt werden darf. Damals seien die SS-Gräueltaten in Wewelsburg für die meisten Menschen noch "ein schwarzes Loch" gewesen, sagt Brebeck. Der Kreis Paderborn habe ihm "alle Chancen gegeben, um hier erfolgreich zu arbeiten", er habe ihm auch zugetraut, den erbitterten Meinungsstreit zu schlichten.

Von 1980 bis 1982 realisierte Brebeck die Ausstellung "Wewelsburg SS-Kult- und Terrorstätte von 1933 - 45", deren Konzept der Historiker Professor Karl Hüser damals bereits erarbeitet hatte. Von Anfang an war die moderne, bis dahin in Deutschland eher unbekannte "Museumspädagogik" Brebecks Ziel. Er wollte aus der Wewelsburg einen "aktiven Lern- und Gedenkort" und einen "dauerhaften Unruhepunkt" machen. Das ist ihm gemeinsam mit etwa 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch gegen manch retardierende Kräfte gelungen.

Heute wird die Wewelsburg mit ihren Ausstellungen von zahlreichen Schulklassen besucht. "Jedes Jahr bringen wir 35.000 Menschen mit der Vergangenheit zusammen", sagt Brebeck. Die Führungen, das Projektlernen und die Quellenarbeit seien nur möglich, weil zahlreiche freie Mitarbeiter, zumeist Pädagogen und Studenten, das Konzept der Museumspädagogik unterstützen.

Die Schüler seien "deutlich anders als vor 25 Jahren", sagt Brebeck. lm Umgang mit dem Nationalsozialismus seien sie heute "wesentlich unbefangener", manche seien aber auch nur "unverfrorener". Museumsleiter Brebeck sieht das vor allem darin begründet, dass die Schülerinnen und Schüler heute zur NS-Zeit "keine lebensgeschichtlichen Beziehungen mehr haben". In vielen Familien gibt es keine Zeitzeugen mehr.

Brebeck und seine Mitarbeiter haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten intensiv darum bemüht, Überlebende des Konzentrationslagers Niederhagen ausfindig zu machen. Das sei manchmal "eine sehr mühsame Puzzlearbeit" gewesen, sagt Brebeck. Aber sie habe sich gelohnt. 1992 konnte das erste Treffen von 18 Überlebenden des KZ Niederhagen stattfinden. Es war auch für Brebeck ein sehr bewegender Moment. Die Opfer von einst sind in die Schulen gegangen und haben von ihren Erfahrungen mit dem NS-Terror berichtet. Während der Monologe dieser alten Leute werden auch "die unruhigsten Schüler-Typen plötzlich ganz still und ruhig", sagt Brebeck.

Hoffnung auf einen weiteren Quantensprung

Bereits seit einem Vierteljahrhundert wirkt Brebeck maßgeblich in einem bundesweiten Netzwerk der Gedenkstättenbewegung mit. Zwar treffe er dort "immer dieselben Leute". Doch diese Aktivisten haben es geschafft, internationale Kontakte zu knüpfen. Das war notwendig. Aus Sicht vieler Wissenschaftler sind die Gedenkstätten sehr stark auf Deutschland konzentriert. Auch in unseren Nachbarländern existierten noch viele "schwarze Löcher" und Debatten iiber die dunkle Vergangenheit, sagt Brebeck. lm Jahr 2001 hat sich deshalb in Barcelona das "Internationale Komitee der Gedenkstätten für Opfer von staatlichen und gesellschaftlichen Gewaltverbrechen" gegründet. Wulff Eberhard Brebeck ist sein 1. Vorsitzender. Das 20. Jahrhundert sei vor allem durch Kriege und Gewaltverbrechen "geschichtlich wirksam geworden", sagt Brebeck. Das Komitee unterstützt alle Initiativen, die beispielsweise an Pogrome erinnern.

Wulff Eberhard Brebeck ist noch längst nicht am Ziel. Sein nächstes Großprojekt ist eine neue Konzeption der Dokumentation in Wewelsburg. Wie berichtet, soll dieses Projekt inklusive baulicher Maßnahmen 6,7 Millionen Euro kosten. Der Bund, das Land, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Kreis Paderborn werden sich daran beteiligen. Die "weichen Felder der NS-Ideologie" wie beispielsweise Mythologie, Okkultismus und Esoterik, sollen in die Ausstellung einbezogen und museumspädagogisch umgesetzt werden. Brebeck erhofft sich einen weiteren "Quantensprung" für seine Einrichtung. Der rastlose Museumsleiter hat schon die nächste "ausstellungsdidaktische Tagung" im Kopf. Sie soll im Jahr 2006 stattfinden.

Mit KZ-Überlebenden gedenken

Mit einer Gedenkfeier am kommenden Samstag um 14 Uhr am Mahnmal auf dem ehemaligen Appellplatz erinnern der Verein “Gedenktag 2. April in Wewelsburg - Verein wider das Vergessen und für Demokratie" und die Stadt Büren an die Opfer des Dritten Reichs.

Als Hauptredner der Feierstunde, die von der Hauptschule Westenholz gestaltet wird, hat Regierungspräsident Andreas Wiebe zugesagt. Auch nach sechs Jahrzehnten werden wieder Überlebende des KZ in Wewelsburg zu Gast sein. Neben Alexandre Schtscherbinin, Valentin Perow und Jurij Zawadski aus der Ukraine sowie Leopold Engleitner aus Österreich, der im Juli seinen 100. Geburtstag feiern will und der älteste Überlebende des KZ Niederhagen ist, kommen in diesem Jahr Wladimir Perfilow und Iwan Baglikow aus Russland zum ersten Mal nach Wewelsburg zurück.

lm Rahmen des Überlebendentreffens sind Besuche in Wewelsburger Familien und Gespräche mit Schülern vom Liebfrauengymnasium, der Hauptschule Niederntudorf und der Gesamtschule Elsen jeweils am 4. April ab 9.30 Uhr sowie am 5. April ab 9.30 Uhr in der Hauptschule Westenholz geplant. Bei einer öffentlichen Gesprächsrunde im Burgsaal der Wewelsburg am Sonntag, 3. April, um 19.30 Uhr werden die ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers über ihre individuellen Erlebnisse und Schicksale berichten.

02./03.04.2005
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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