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Der Patriot - Lippstädter Zeitung , 13.04.2005 :

"Von gewaltsamer Besatzung kann keine Rede sein" / Dieter Graewe hat das Ende des Zweiten Weltkrieges bei seiner Großmutter in Stirpe erlebt / Zufluchtsort erwies sich als Gefahrenherd

Stirpe. "Die Amerikaner haben uns gut behandelt. Von einer gewaltsamen Besetzung kann keine Rede sein", erinnert sich Dieter Graewe aus Overhagen an das Kriegsende vor 60 Jahren. Der damals Siebenjährige hat den Einmarsch der US-Truppen in den Altkreis Lippstadt in im Erwitter Ortsteil Stirpe miterlebt.

Bei seiner Oma hat der gebürtige Iserlohner zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges verbracht, während Graewes Vater als Soldat für die deutschen Truppen im Einsatz war. "Kommt zu uns aufs Land", hatte ihnen die Großmutter geraten. Die Familie Graewe hat diesen Rat befolgt, in der Hoffnung, von den flächendeckenden Bombardements der Alliierten in den größeren Städten verschont zu bleiben.

Bis zur Befreiung durch die Amerikaner musste der 67-Jährige allerdings einige bange Stunden durchmachen. Heftige Gefechte lieferten sich die deutschen Streitkräfte in den Morgenstunden des 4. Aprils 1945 mit den US-Truppen. Die Familie Graewe musste trotz der Flucht aufs Land einen Bombenhagel über sich ergehen lassen. Schutz gefunden haben die Graewes im Keller des Hofes Pütter-Sengerling. "Im Fachwerkhaus meiner Oma gab es keinen Keller", begründet Graewe den Wechsel des Zufluchtsortes. Gefahr war aber auch dort im Verzug. Ein Tigerpanzer der SS, so Graewe, habe vor dem Haus Position bezogen. Amerikanische Aufklärer hätten das Fahrzeug schnell ausfindig gemacht und in Beschuss genommen. Eine Granate sei im ersten Stock des Bauernhauses in der Küche eingeschlagen, habe Töpfe und Geschirr durch die Luft gewirbelt, erinnert sich Graewe. Was folgte, waren Momente voller Angst, die der Overhagener auch nach 60 Jahren noch vor Augen hat. "Wir alle" - rund 20 Frauen und Kinder, die sich im Keller befanden - "haben bei jedem Knall gedacht, das Haus stürzt komplett zusammen", schildert er die schlimmsten Stunden seines jungen Lebens.

Der heldenhaften Tat des Bauern Püter und dem einsichtigen deutschen Panzerkommandeur war es zu verdanken, dass Graewe und all die anderen Personen unbeschadet aus dem Keller herausgekommen sind. Ein Gespräch zwischen beiden hat den Panzerkommandeur zur Einsicht gebracht, sein Einsatzfahrzeug aus der Schusslinie des Hofes zu fahren, um nicht weitere Leben aufs Spiel zu setzen. Der Tigerpanzer wurde daraufhin in der Senke Tiweke bei Norddorf abgestellt, von den US-Truppen beschossen, bevor er völlig ausgebrannt noch jahrelang als Mahnmal an diesem Standort verharrte.

Trotz des zähen Widerstandes der deutschen Soldaten dauerte es nach der Heldentat des Bauern Pütter nicht mehr lange, bis die Amerikaner Stirpe einnahmen. "Mit vorgehaltenen Maschinengewehren drangen die Amis in das Haus ein, nachdem der Bauer die weiße Fahne gehisst hatte", erinnert sich Graewe an seine letzten bangen Minuten des Zweiten Weltkrieges. Als die US-Soldaten aber bemerkten, dass keine feindlichen Truppen mehr im Haus waren, beruhigten sich die Gemüter. Die Küche des Bauernhauses wurde zum Hauptquartier umfunktioniert. Pfannengeklapper, der Duft von Schinken, gebratenem Speck und Spiegeleiern zog schnell durch das ganze Gebäude.

Die Angst war gebannt. Gut behandelt worden sind die Graewes von den Amerikanern. "Bauer Pütter durfte als erster das Haus verlassen, um sein Vieh zu füttern. Damit war der Krieg in Stirpe beendet", betont der Overhagener.

Bereits als Siebenjähriger habe er in den folgenden Tagen ein Aufatmen in der Bevölkerung gespürt. "Die Menschen waren überglücklich, dass das Schrecken ein Ende hatte." Graewe ist mit seiner Familie noch einige Monate in Stirpe geblieben, bis sein Vater aus dem Krieg heimkehrte. Nach einer kurzen Stippvisite in seinem Geburtsort Iserlohn ist er mit seiner Familie 1946 nach Overhagen gezogen, wo er in den vergangenen Jahrzehnten als Mitverfasser von Heimatblättern und des Buches "800 Jahre Overhagen" sein Geschichtsbewusstsein zum Ausdruck gebracht hat.


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