Lippische Landes-Zeitung ,
04.04.2019 :
Leserbriefe / Tadellos und integer
Eine Replik auf den Leserbrief in der LZ vom 30. März, "Es ging auch anders".
Es ist löblich, dass die Mutter der Leserbriefschreiberin Ulrike von der Linden nicht dem NS-Bund Deutscher Mädchen (BDM) beigetreten ist. Es kann aber nicht sein, dass die Mutter deswegen bei Frau Dr. Hildegard Sauerbier vom Gymnasium abgemeldet worden ist.
Frau Dr. Sauberbier war bis 1945 Studienrätin in Berlin und wurde erst ab 1946 in Detmold als Studienrätin tätig, ehe sie 1950 als erste Frau Direktorin des damaligen Mädchengymnasiums wurde. Als entschiedene Frauenrechtlerin, die sich für die Bildung von Mädchen einsetzte, stand sie dem Nationalsozialismus mit Sicherheit fern.
Da ich Frau Dr. Sauerbier als tadellose integere Persönlichkeit kennen gelernt habe, möchte ich dem Eindruck entgegenwirken, sie habe irgendetwas mit dem Nationalsozialismus gemein. Wikipedia gibt nähere Auskunft.
Bernd Stoyke, Detmold
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Lippische Landes-Zeitung, 30./31.03.2019:
Leserbriefe / Es ging auch anders
Zum Bericht "Er teilt das Schicksal einer ganzen Generation" zum Buch über Prof. Martin Stephani, LZ vom 23. / 24. März.
Ich konnte leider an der Veranstaltung zu der Buchpublikation über Prof. Martin Stephani im Gartensaal des Literaturbüros OWL nicht teilnehmen, habe aber das Buch gelesen. Auch in Ihrem Bericht nehmen Sie Bezug zu dem Beitritt Stephanis zur Hitlerjugend, um sein Reifezeugnis zu bekommen. Nicht alle Menschen haben "das Schicksal einer ganzen Generation" geteilt. Meine Mutter, Elisabeth von der Linden, geb. Thörner, hat 1939 den Beitritt zum Bund Deutscher Mädchen verweigert. Sie wusste, dass sie dann das bald bevorstehende Abitur nicht machen konnte. Ihr Vater, mein Großvater, der damalige Direktor der Lippischen Landesbank in Detmold, Otto Thörner, hat sie darin unterstützt und sie bei der Direktorin Frau Dr. Sauerbier persönlich mit Nennung des Grundes abgemeldet, ohne Rücksicht auf seine Position. Es ging also auch anders, und ich bin sehr stolz auf den Mut meiner Mutter und meines Großvaters.
Ulrike von der Linden, Detmold
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Lippische Landes-Zeitung, 28.03.2019:
Leserbriefe / Stephani war ein willfähriger Diener am "gesunden deutschen Volkskörper"
Zum Bericht über die Vorstellung des Buches über Martin Stephani, den früheren Direktor der HfM Detmold, LZ vom 23. / 24. März.
"Er teilt das Schicksal einer ganzen Generation" lautet die Überschrift Ihres Berichts über die Buchvorstellung zu Martin Stephani, dem ehemaligen Direktor der Hochschule für Musik. Der in OWL legendäre Musiker hat auch heute noch ein großes Netzwerk von Bewunderern, denen die "erste musikalische Karriere" Stephanis, die diesen - durch eigene zielstrebige Mitwirkung - ins Führungshauptamt der Waffen-SS und zum Rang eines Obersturmführers führten, offenbar als unbedeutend oder sogar sakrosankt erscheint.
Etliche Vertreter dieser Sichtweise waren an diesem Abend anwesend und durch Diskussionsbeiträge sehr präsent. Die Überschrift dürfte ihnen gefallen haben - vernebelt doch der Begriff "Schicksal" einen Hinweis auf individuelle Täterschaft, gerade auch in Verbindung mit "einer ganzen Generation".
Zugegeben: Eine ganze Generation, nämlich die unserer Eltern und Großeltern (sofern nicht verfolgt und oppositionell) teilte das "Schicksal", schuldig geworden zu sein - an ihrem jeweiligen Platz im totalitären Mahlwerk des mörderischen NS-Systems. Trotzdem ist die Frage individueller Schuld zu stellen, denn "wo alle schuld sind, ist es keiner" (Hannah Arendt). Die an dieser Stelle gern herangezogene relativierende Bemerkung Helmut Kohls von der "Gnade der späten Geburt" gilt nicht, wenn sie legitimatorischen Absichten dient: Sicher, kein Nachgeborener kann behaupten, er wäre schuldig geworden - das ist statistisch gesehen eher unwahrscheinlich. Dies darf aber nicht dazu führen, nicht öffentlich und deutlich historische Schuld zu benennen und zu bewerten.
Zu Letzterem: Stephani war, wie sein berühmter Kollege Karajan, kein mordender Täter in der Todesmaschinerie der SS, aber ein willfähriger Diener am "gesunden deutschen Volkskörper" und dessen kultureller Zurichtung, an deren ideologischer und praktischer Entwicklung er zum Teil führend beteiligt war.
Während Stephani den Aufbau eines eigenen "Musikwesens" der Waffen-SS betrieb, wozu (1942) zum Beispiel die Kategorisierung musikalischer Werke in a) jüdische, b) unerwünschte und c) für die Waffen-SS geeignete gehörte, wurden Künstler und Werke jüdischer, oppositioneller oder "fremdartiger" Herkunft verfolgt, verboten, eliminiert.
"Kunst ist immer die Schöpfung eines bestimmten Blutes, und das formgebundene Wesen wird nur von Geschöpfen des gleichen Blutes verstanden" formulierte der NS-Ideologe Alfred Rosenberg schon 1930. Dieser rassistischen Mördersprache ordnete auch ein Stephani sein künstlerisches Tun in der Nazi-Zeit unter. Dass er dabei keineswegs seine Position zu "teilnehmendem Widerstand" nutzte, wie vom ihm später behauptet wurde, sondern ein bekennender Nazi war, zeigt seine von ihm öffentlich ausgerichtete Hochzeitsfeier nach SS-Ritus noch am 28. Dez. 1944 (!).
Die Sprache der Musik ist universell, aber genau wie ihre Künstler auch politisch zu pervertieren. Musiker wie Stephani und Karajan haben am rassistischen Konzept "entarteter Musik und Kultur" ihren Anteil, welches für andere lebensbedrohlich wurde. In solchen Verhältnissen ist Musik nie harmlos und unschuldig, und ein Konzert vor SS-Granden und eines des Mädchenorchesters von Auschwitz ist nicht dasselbe, sondern das Gegenteil.
Die Haltung Stephanis, wie vieler anderer Täter aus allen Teilen der Gesellschaft, nach dem Sieg über den Faschismus keine individuelle Schuld bei sich erkennen zu können, war leider nur zu gewöhnlich. Sie war nützlich, wie es vorher nützlich war, Unrecht zu tun statt zu erleiden.
Erschreckend sind für mich heutige schuldnivellierenden Haltungen aus Teilen des Stephani-geprägten Hochschulmilieus, die noch 80 Jahre "danach" Stephanis "Hundertsten" in einem großen Festakt feiern wollten und über die Weigerung des neuen Rektors Prof. Dr. Grosse, dies umzusetzen und stattdessen die vorliegende Forschungsarbeit zu initiieren, bis heute empört sind.
Albert Lange, Detmold
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Lippische Landes-Zeitung, 28.03.2019:
Leserbriefe / Stephanie war aktiv an der Ausgrenzung beteiligt
Ebenfalls zur Buchvorstellung über Stephani "Er teilt das Schicksal einer ganzen Generation", 23. / 24. März, schreibt diese Leserin.
Der Bericht enthält zwei gravierende Fehler, die so nicht stehen bleiben können.
1. Martin Stephani hat nicht am "Lexikon der Juden in der Musik" mitgearbeitet. Dieses von Herbert Gerigk und Theo Stengel verfasste Werk war längst veröffentlicht, als Stephani im Sommer 1941 seinen Dienst im Musikreferat des SS-Führungshauptamts antrat. In dieser Funktion hat er wahrscheinlich an einem Erlass zu "Werken jüdischer, unerwünschter und empfohlener Komponisten" mitgewirkt. Diese Erkenntnis gehört zu den wichtigen Ergebnissen der Quellenrecherche von Hans-Walter Schmuhl, und sie belegt, dass Stephani aktiv an der Ausgrenzung von Menschen jüdischer Herkunft oder jüdischen Glaubens beigetragen hat.
2. Dass Stephani, wie im LZ-Bericht zu lesen, "durch die Rahmenbedingungen in den Nationalsozialismus hineingezwungen" sei, verkehrt die Aussagen von Herrn Schmuhl ins Gegenteil. Vielmehr gehörte es gerade zu den zentralen Aussagen seines Buches, dass Stephani durchaus Handlungsfreiheit besaß. Die Vorstellung, irgendwelche anonymen Mächte - eben "Rahmenbedingungen" - hätten die Menschen "gezwungen", sich an den nationalsozialistischen Verbrechen zu beteiligen, und dies auch noch als "Schicksal" darzustellen, macht Täter zu Opfern.
Prof. Dr. Rebecca Grotjahn, Detmold
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Lippische Landes-Zeitung, 23./24.03.2019:
"Er teilt das Schicksal einer ganzen Generation"
Historie: Prof. Hans-Walter Schmuhl stellt Buch über früheren Musikhochschul-Direktor Martin Stephani vor / Es geht um dessen SS-Vergangenheit und die Aufarbeitung
Detmold (rb). Mit seiner Arbeit wolle er dazu beitragen, das Vergangene besser zu verstehen. "Die Wahrheit liegt in der Nuance", sagte der Historiker und Autor Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl den knapp 100 Gästen im Gartensaal des Literaturbüros OWL. Unter dem Titel "Zwischen Göttern und Dämonen - Martin Stephani und der Nationalsozialismus" stellte er dort sein wissenschaftliches Werk über das Leben und Wirken von Martin Stephani vor.
Stephani ist einstiger Dirigent des Sinfonieorchesters der Waffen-SS und späterer Direktor der Hochschule für Musik in Detmold. Initiiert wurde der Vortrag von der Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Rebecca Grotjahn von der Universität Paderborn sowie der Buchhandlung Kafka & Co. und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Schmuhl informierte die Zuhörer über den Werdegang Stephanis, der erstmals mit dem Nationalsozialismus in Kontakt kam, als er während seiner Schulzeit der Hitlerjugend beitrat, um sein Reifezeugnis erhalten zu können und später für ein Studium zugelassen zu werden.
Nach seinem Studium an der Hochschule für Musik in Berlin wurde er 1941 zur Leibstandarte von Adolf Hitler abgeordnet. Kurze Zeit später wechselte er zum Führungshauptamt der Waffen-SS, wo er bis 1944 im Stabsmusikchor aktiv war. Während dieser Zeit prägte Stephani das Musikwesen der Waffen-SS. So wirkte er unter anderem am "Lexikon der Juden in der Musik" mit, einem Schwarzbuch, das eine Liste aller nichtarischen Musiker führte. Stephani wurde am 18. Juni 1945 verhaftet und saß bis 1947 in verschiedenen Internierungslagern ein, unter anderem in Eselheide in der Senne.
Im Rahmen seines Entnazifizierungsprozesses in 1948 wurde Stephani freigesprochen und für unbelastet erklärt. "Die Gesamtbeurteilung dieses Urteils fällt schwer. Das große Manko in Stephanis Lebenslauf ist, dass es von ihm nach Kriegsende keinerlei Reflexion über sein Handeln gegeben hat", erklärte Schmuhl. Stattdessen habe er sich sofort vom Nationalsozialismus distanziert, dabei habe er sich einst willentlich für den Übertritt ins Führungshauptamt der Waffen-SS entschieden und war bei der Verfolgung jüdischer Musiker involviert.
Dies würden Briefwechsel zwischen Stephani und seinen Eltern sowie seinem Bruder belegen, die der Historiker während seiner Arbeit an dem Buch ausfindig machen konnte. Schmuhl: "Es ist nicht vorstellbar, dass sich Stephani seiner Verbrechen nicht bewusst war." Martin Christian Vogel, Besucher und Ex-Rektor der Hochschule für Musik (2001 bis 2014) lobte Schmuhls Arbeit und bedauerte zugleich, dass die Hochschule von einer Jubilarfeier zu Stephanis 100. Geburtstag Abstand nahm, da sich Stephani trotz seiner Vergangenheit große Verdienste erworben habe. Für Schmuhl stand indes fest: Stephani sei durch die Rahmenbedingungen in den Nationalsozialismus hineingezwungen worden, da ihm seine musikalische Karriere am Herzen lag. Somit teilte er das Schicksal einer ganzen Generation.
Das Buch
Vor drei Jahren hatte die Hochschule für Musik Detmold eine historische Aufarbeitung über ihren früheren Direktor Prof. Martin Stephani in Auftrag gegeben. Das Ergebnis liegt in Form einer 356-seitigen Buchpublikation vor. Der Titel: "Zwischen Göttern und Dämonen - Martin Stephani und der Nationalsozialismus" in der von Rebecca Grotjahn herausgegebenen Schriftenreihe "Beiträge zur Kulturgeschichte der Musik, Band 12" beim Münchner Allitera Verlag. Autor ist Hans-Walter Schmuhl.
Bildunterschrift: Stellen das Buch vor: Herausgeberin Prof. Dr. Rebecca Grotjahn und Autor Hans-Walter Schmuhl.
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- Dienstag, 19. März 2019 um 19.30 Uhr -
Vortrag von Prof. Hans-Walter Schmuhl: Zwischen Göttern und Dämonen - Martin Stephani und der Nationalsozialismus
Veranstaltungsort:
Haus Münsterberg
Hornsche Straße 38
32756 Detmold
www.gfcjz-lippe.de
Martin Stephani war von 1959 bis 1982 Direktor der damaligen Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold. Im Zweiten Weltkrieg war er in unterschiedlichen Positionen im Musikwesen der Waffen-SS tätig. Eingesetzt war er seit 1941 zunächst bei der "Leibstandarte SS Adolf Hitler" und anschließend im SS-Führungshauptamt.
Das Rektorat der Hochschule hatte anlässlich von Stephanis 100. Geburtstag entschieden, sein Leben historisch aufarbeiten zu lassen. Der ausgewiesene Kenner der NS-Zeit, Prof. Schmuhl, legt nun 2019 ein differenziertes Bild über die Tätigkeiten Stephanis im Dritten Reich und nach 1945 vor:
Am 7. Januar 2019 veröffentlichte der "Allitera Verlag" das Buch: "Zwischen Göttern und Dämonen - Martin Stephani und der Nationalsozialismus" des Historikers Hans-Walter Schmuhl (ISBN-13: 978-3962330545).
Der Historiker Hans-Walter Schmuhl ist überwiegend freiberuflich an der Universität Bielefeld tätig. Er hat zahlreiche Bücher und Beiträge zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem zur Geschichte der Euthanasie und zur Geschichte verschiedener Institutionen, vorgelegt und herausgegeben.
Eine Veranstaltung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lippe e.V. in Kooperation mit der Buchhandlung "Kafka & Co.".
www.kafka-detmold.de
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Westfalen-Blatt, 15.12.2016:
"Mit Zielen der Nazis identifiziert"
Musikhochschule hat Vergangenheit des Ex-Rektors Martin Stephani aufarbeiten lassen
Von Bernd Bexte
Detmold (WB). Weil ihr ehemaliger Rektor Prof. Martin Stephani (1915 - 1983) eine unrühmliche NS-Vergangenheit hatte, lässt die Hochschule für Musik in Detmold seinen Werdegang aufarbeiten. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor. Die Hochschulleitung sieht sich in ihrer kritischen Haltung bestärkt.
Intern war es immer bekannt, wurde meist jedoch verschwiegen: Der spätere Rektor - er hatte dieses Amt von 1959 bis 1982 inne, so lange wie niemand vor und nach ihm - hatte zuvor leitende Funktionen im Musikzug der Leibstandarte SS Adolf Hitler. Als die Hochschulleitung vor gut einem Jahr auf ein ansonsten übliches Ehrenkonzert anlässlich des 100. Geburtstages Stephanis verzichtete und die Aufarbeitung seiner braunen Vergangenheit ankündigte, machte dies Schlagzeilen. Der Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl wurde mit einer Untersuchung zur Rolle Stephanis in der NS-Zeit beauftragt. Die Hochschulleitung hat jetzt Zwischenergebnisse präsentiert.
Aus den Recherchen Schmuhls gehe hervor, dass sich Stephani der Versetzung von der Wehrmacht zur Leibstandarte Adolf Hitler der Waffen-SS im Mai 1941 nur widerstrebend gefügt habe. "Willkommen war ihm dagegen die Möglichkeit eines Wechsels in das Musikreferat im SS-Führungshauptamt", zitiert die Hochschulleitung aus den Recherchen. Stephani war zuletzt im Rang eines SS-Obersturmführers Musikreferent im SS-Führungshauptamt. Der privaten Korrespondenz aus dieser Zeit sei zu entnehmen, dass Stephani sich mit den Herrschaftszielen der Nazis - vor allem auch mit dem Weltanschauungs-, Lebensraum- und Rassenkrieg im Osten - identifiziert habe. Die künstlerische Tätigkeit mit dem Symphonieorchester der Waffen-SS sei für ihn ein Beitrag zur Erziehung zu einer "wahrhaft nationalsozialistischen Weltanschauung" gewesen. Der Hochschulsenat erkenne die großen Verdienste Stephanis für die Hochschule an. Der Senat sehe jedoch kritisch, "wie Ideologien im Hinblick auf kulturelles Denken und Handeln auf Lebensentwürfe Einfluss nehmen können".
Die komplette Aufarbeitung Schmuhls wird im Frühjahr vorgelegt. In seiner Zeit in OWL leitete Stephani auch den Musikverein Bielefeld und dirigierte das Landesjugend-Orchester NRW. 1980 erhielt er den Kulturpreis der Stadt Bielefeld. 1987 erschien eine Doppel-LP mit dem Titel "Hommage für Martin Stephani".
Bildunterschrift: Martin Stephani (1915 - 1983).
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Stellungnahme des Senats der Hochschule für Musik Detmold zum vorläufigen Bericht "Martin Stephani (1915 - 1983) und seine Rolle im Nationalsozialismus"
Der Senat der Hochschule für Musik Detmold hat sich in seiner Sitzung am 13. Dezember 2016 mit den Ergebnissen der vom Rektorat in Auftrag gegebenen und von apl. Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl (Universität Bielefeld) durchgeführten Untersuchung zur Rolle des langjährigen Direktors der Hochschule Prof. Martin Stephani (1915 - 1983) in der Waffen-SS befasst.
Wie der von Prof. Dr. Schmuhl vorgelegte vorläufige Bericht belegt, erfolgte die Versetzung Martin Stephanis von der Wehrmacht zur Leibstandarte Adolf Hitler der Waffen-SS im Mai 1941 auf Initiative des Kommandeurs der Leibstandarte, SS-Obergruppenführer Sepp Dietrich. Stephani fügte sich dieser Entwicklung eher widerstrebend. Die Abkommandierung zum Stabsmusikkorps der Waffen-SS beim SS-Führungshauptamt im Juli 1941 war dagegen ganz im Sinne Martin Stephanis. Bis Kriegsende war er, zuletzt im Rang eines SS-Obersturmführers, als Musikreferent im SS-Führungshauptamt tätig. Der privaten Korrespondenz aus dieser Zeit ist zu entnehmen, dass Stephani sich mit den Herrschaftszielen des nationalsozialistischen Deutschlands - vor allem auch mit dem Weltanschauungs-, Lebensraum- und Rassenkrieg im Osten - identifizierte und das elitäre Selbstverständnis der SS als Avantgarde des Nationalsozialismus zu eigen machte. Als Musikreferent arbeitete er an der Formulierung der Musikpolitik der SS mit. Seine künstlerische Tätigkeit mit dem Symphonieorchester der Waffen-SS verstand er - ebenso wie seine Unterrichtstätigkeit im Rahmen der Ausbildung von SS-Musikführern am Konservatorium der Reichshauptstadt Berlin - als Beitrag zur Erziehung zu einer wahrhaft "nationalsozialistischen Weltanschauung". Dass er - etwa durch sein Eintreten für Paul Hindemith, mit der Werkauswahl für die Konzerte des SS-Symphonieorchesters oder mit seinen Ambitionen zur Übernahme der Leitung des Berliner Staats- und Domchors - wiederholt mit anderen Instanzen der NS-Musikpolitik, namentlich mit der Musikabteilung des Reichsministeriums für Propaganda und Volksaufklärung, in Konflikt geriet, kann nicht - wie Martin Stephani es in seinem Entnazifizierungsverfahren nach 1945 darstellte - als Opposition gegen den nationalsozialistischen Staat interpretiert werden.
Der Senat dankt dem Verfasser des Berichtes Prof. Dr. Schmuhl für seine umfangreiche und ausgezeichnet aufbereitete Recherche und stellt fest, dass viele offene Fragen und damit verbundene Spekulationen nun durch Fakten ersetzt worden sind.
Aus Sicht des Senates bildet der Bericht eine geeignete Grundlage, sich eigenständig mit der Thematik auseinanderzusetzen. Eine größere Detailtiefe wird sich aus der für das Frühjahr 2017 geplanten Monographie ergeben, die in der von Frau Prof. Dr. Rebecca Grotjahn herausgegebenen Reihe "Beiträge zur Kulturgeschichte der Musik" im Allitera-Verlag München erscheinen soll.
Der Senat erkennt die großen Verdienste Prof. Stephanis für die Hochschule und die bis heute andauernde Bedeutung seines Wirkens an. Der Senat sieht jedoch kritisch, wie Ideologien und Weltanschauungen - auch und gerade im Hinblick auf kulturelles Denken und Handeln - auf Lebensentwürfe Einfluss nehmen können. Die Causa Martin Stephani zeigt erneut, dass Musik nicht unabhängig von Gesellschaft und Politik besteht. Die Hochschule für Musik Detmold stellt sich der Verantwortung, diesem Aspekt der Kunstausübung gerecht zu werden.
Diese Stellungnahme wurde vom Senat in der Sitzung vom 13.12.2016 verabschiedet.
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Westfalen-Blatt, 28.10.2015:
Rektor mit NS-Vergangenheit: kein Ehrenkonzert zum 100.
Musikhochschule lässt Rolle von Martin Stephani (1915 - 1983) in der Nazi-Zeit aufarbeiten
Von Bernd Bexte
Detmold (WB). Intern war es bekannt, wurde meist jedoch verschwiegen: Der langjährige Rektor der Detmolder Musikhochschule, Martin Stephani (1915 - 1983), hatte leitende Funktionen im Musikzug der Leibstandarte SS Adolf Hitler. Die Hochschule lässt seine Biografie jetzt erforschen.
Der renommierte Musiker lehrte von 1957 an in Detmold und war von 1959 bis 1982 Rektor der Hochschule. Nach Angaben des derzeitigen Rektors Thomas Grosse belegen Quellen, dass Stephani zunächst als Musikreferent zur Leibstandarte Adolf Hitler abgeordnet wurde. In der Folge sei er als SS-Obersturmführer offenbar am Aufbau und der Leitung des Symphonieorchesters der Waffen-SS beteiligt gewesen. "Dieser Tatsache darf sich die Hochschule nicht verschließen. Im Wissen um die gesellschaftliche Wirkung von Musik sehen wir es als unsere Pflicht an, den Blick auch darauf zu richten", erklärt Grosse anlässlich des 100. Geburtstags des Altrektors am kommenden Montag. Grosse kündigte an, dass es nicht, wie bei solchen Jahrestagen üblich, ein ehrendes Konzert gebe, sondern dass die Hochschule einen Historiker mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Stephanis beauftragen werde.
Die Ergebnisse sollen als Publikation veröffentlicht werden. Den Auftrag erteilte die Hochschule Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl (58) von der Universität Bielefeld. Er ist Experte für die Zeit des Nationalsozialismus.
Mit Martin Stephani wird er sich einem bedeutenden Musiker und Hochschulrektor widmen: Der gebürtige Eislebener war der am längsten amtierende Leiter der Detmolder Hochschule. "Die Verdienste von Altrektor Stephani für unsere Hochschule sind von großer Bedeutung. Doch wollen wir den ganzen Menschen betrachten und deshalb nicht verschweigen, dass er auch vor 1945 in sichtbarer Position als Musiker tätig gewesen ist", sagt Grosse (50), seit einem Jahr Rektor in Detmold. "Zugleich möchten wir Annahmen und Gerüchte über Martin Stephani durch Fakten ersetzen." In die Amtszeit von Stephani fiel unter anderem der Beschluss, gemeinsam mit der Universität Paderborn das Musikwissenschaftliche Seminar zu gründen. Stephani hatte an der Berliner Musikhochschule studiert. In seiner Zeit in OWL leitete er auch den Musikverein Bielefeld und dirigierte das Landesjugend-Orchester NRW (LJO). 1980 bekam er den Kulturpreis der Stadt Bielefeld verliehen. 1987 erschien eine Doppel-LP mit dem Titel "Hommage für Martin Stephani".
Noch anlässlich der Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen des LJO im Jahre 2010 wurden Stephani und sein Wirken auf zwei Seiten einer Festschrift ausführlich gewürdigt - die NS-Zeit in seiner Biographie blieb jedoch ausgespart. "Er machte halt eine typische Nachkriegskarriere, über das, was vorher war, sprach man nicht", sagt Friedrich von Plettenberg, Sprecher der Musikhochschule. Das soll sich nun ändern.
Bildunterschrift: Die Hochschule für Musik in Detmold (etwa 750 Studenten) ist das Aushängeschild für die Musikerausbildung in der Region. Martin Stephani leitete sie von 1959 bis 1982, so lange wie kein anderer. Stephanis Rolle in der NS-Zeit wird jetzt wissenschaftlich untersucht.
Bildunterschrift: Hochschulrektor Martin Stephani (1915 - 1983).
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