Neue Westfälische ,
08.04.2005 :
60 Jahre Kriegsende / 8. Mai 1945 / Dem Rad in die Speichen fallen / Der Theologe und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 hingerichtet
Von Matthias Gans
Gütersloh. Als 1948 Bielefelder Straßen nach Widerstandskampfern benannt werden sollten, wurde neben dem Pfarrer Paul Schneider, der wegen Gehorsamsverweigerung von der Gestapo erschlagen wurde, auch der Name Dietrich Bonhoeffers genannt. Da erhob sich Protest: "Wir Pfarrer unserer Stadt haben gegen beide Benennungen ernste Bedenken, weil wir die Namen unserer Amtsbrüder, die um ihres Glaubens gestorben sind, nicht in eine Reihe mit politischen Märtyrern gestellt wissen mochten."
Die Geistlichen konnten den Widerstand ihres Kollegen Bonhoeffer gegen die Nazis nicht begreifen. Widerstand bedeutete der evangelischen Kirche im NS-Staat vor allem Karnpf gegen Einmischung von staatlicher Seite. Otto Dibelius, Berliner Superintendent, sagte nach dem Reichstagsbrand 1933: "Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, dass die Kirche der rechtmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet."
Bonhoeffer, der morgen vor 60 Jahren auf Befehl Hitlers ermordet wurde, sah das anders. Zwei Wochen nach Dibelius' Worten brachte er seine Ansicht zum Verhältnis von Kirche und Staat auf den Punkt. Aufgabe der Kirche sei, "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen".
Dem Rad in die Speichen zu fallen, ist Bonhoeffer nicht an der Wiege gesungen worden. Er stammte aus einer Familie, die zur Elite des Reiches gehörte, christlich-protestantisch gestimmt, ohne besonders religiös zu sein. Vater Karl war Neurologe und Klinikchef in Breslau, später in Berlin. Seine Mutter Paula von Hase, Tochter des Hofpredigers von Kaiser Wilhelm II., kümmerte sich um die christliche Erziehung der acht Kinder.
Die Entscheidung Dietrichs für die Theologie war desungeachtet eine Überraschung für die Familie. Über Aufenthalte als Vikar in Barcelona lernte er die Bedeutung von Gemeindearbeit kennen; die "Negerfrage" in den USA schärfte sein politisches Bewusstsein. Ihm wurde bewusst, dass Christsein Engagement in der Welt bedeutet. lm Auftrag der Bekennenden Kirche, die sich in Opposition zu den rechten Deutschen Christen bildete, leitete er Predigerseminare, die von der Gestapo aufgelöst wurden. Eine Gastdozentur in New York trat er nicht an. Es drängte ihn nach Hause.
1940 schloss er sich der Widerstandsgruppe seines Schwagers Hans von Dohnanyi an, der unter Oberst Wilhelm Canaris das Spionageamt der Wehrmacht leitete. Zwei Bombenanschläge auf Hitler scheiterten. Seine Arbeit führte Bonhoeffer zu neuen Überlegungen; er fühlte sich stärker in der Welt verankert und wunderte sich, "dass ich tagelang ohne Bibel lebe und leben kann". Und der 36-Jährige verliebte sich in die halb so alte Maria von Wedemeyer.
Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens
Zur Heirat kam es nicht. Die Gruppe flog auf, Bonhoeffer und seine Mitstreiter wurden verhaftet. In der Haft in Tegel setzte er seine theologischen Arbeiten fort. Zunächst sah die Beweislage für die Angeklagten vielversprechend aus. Doch nach dem Attentat am 20. Juli war die Hoffnung auf Freiheit dahin. Am 9. April wurde Bonhoeffer mit fünf Widerstandskämpfern auf Geheiß Hitlers erhängt.
Bonhoeffers letzte überlieferte Worte an den befreundeten Londoner Bischof George Bell, der in seiner Predigt sagte, dass Bonhoeffers Bekenntnis zu Gott mit dem Kampf gegen das Unrecht verbunden gewesen sei, lauten: "Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens. Ich glaube an die universale christliche Brüderlichkeit über alle nationalen Interessen hinweg, und ich glaube, dass uns der Sieg sicher ist."
Das Gesamtwerk Dietrich Bonhoeffers sowie umfangreiche Sekundärliteratur sind im Gutersloher Verlagshaus erschienen.
www. guetersloher-verlagshaus.de
Lebenslauf Dietrich Bonhoeffer
1906: 4. Februar: Geburt Dietrich Bonhoeffers in Breslau
1923: Beginn des Theologiestudiums in Tübingen
1927: Promotion
1928: Erstes theologisches Examen, Vikariatsantritt in Barcelona
1930: Zweites theologisches Examen, Habilitation, Studienaufenthalt in New York
1931: Privatdozent an der Berliner theologischen Fakultät, Ordination
1933: Machtantritt Hitlers, Bonhoeffer beteiligt sich am Widerstand gegen Hitlers Gleichschaltung der evangelischen Kirche, Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage"
1935: Predigerseminar der Bekennenden Kirche
1936: Entzug der Lehrerlaubnis
1937: Gestapo schließt Predigerseminar
1938: Ausweisung aus Berlin
1939: Abreise in die USA zur Übernahme einer Gastdozentur, drei Wochen später Rückkehr nach Deutschland
1940: Beginn der Arbeit im Widerstand, Redeverbot und polizeiliche Meldepflicht
1941: Druck- und Veröffentlichungsverbot
1943: Verlobung mit Maria von Wedemeyer, Verhaftung, Einlieferung ins Gefängnis Tegel
1944: Erster theologischer Brief, Anklage auf unbestimmte Zeit aufgeschoben
1945: 7. Februar: Verlegung ins KZ Buchenwald, 5. April: Hitler befiehlt Bonhoeffers Tötung, 8. April: Verlegung ins KZ Flossenbürg, nächtliches Standgericht, 9. April: Hinrichtung Bonhoeffers
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