Höxtersche Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
07.04.2005 :
In letzter Minute getroffen / Die Sprengung der Weserbrücke am 7. April 1945: Eine Maßnahme und ihre Folgen
Von Holger Kosbab
Höxter. Lange hatte der Krieg Höxter weitgehend ausgespart, ehe am Abend des 6. April vor allem die Altstadt und der Bereich zwischen Weserbrücke und Bahnhof erstmals unter Artilleriebeschuss genommen wurde. Um der Stadt ein ähnliches Schicksal wie Paderborn zu ersparen wurde überlegt, sie den heranrückenden Amerikanern zu übergeben. Doch gerade in diesen für Höxter letzten Kriegsstunden sollte es die stärksten Zerstörungen geben.
Am Himmel über Höxter flogen mehrere alliierte Aufklärer. Um keine intakte Infrastruktur zu hinterlassen, hatte die so genannte Pioniergruppe 100 an allen fünf Weserbrücken zwischen Beverungen und Holzminden Sprengladungen angebracht. Die Weserbrücke in Höxter war gegen 16 Uhr die letzte, deren Konstruktion an diesem 7. April 1945 in die Fluten der Weser stürzen sollte. Gerangel hatte es um die Corveyer Eisenbahnbrücke gegeben, heißt es in Büchern zur damaligen Zeit: Deutsche Offiziere hatten bereits eine Seemine auf der Brücke angebracht. Dann wurde diese in der Weser versenkt und die Brücke ohne Zündung der Miene zerstört. Eine Detonation der später von Alliierten entschärften Miene hätte Corvey erheblich zerstört.
Schon am Morgen des 7. April hatten sich Magdalene Hermes und ihre Mutter Marie wie viele Menschen aus Höxter auf den Weg nach Bödexen gemacht. Ihr Vater Albert Freise "war bei Bekannten geblieben, der wollte nicht weiter weg", schildert Hermes. Mittlerweile hatte sich die beabsichtigte Sprengung in der Bevölkerung herum gesprochen. Das Haus Weserstraße 17, in dem die Familie lebte, war der der Weser nächstgelene Bau: "Aus einer reinen Vorsichtsmaßnahme sind wir nach Bödexen gegangen", erzählt die 85-Jährige: "Das war schwierig, denn es war ungewiss, was kommen würde." Was dann kam, sollte ihre Befürchtungen jedoch noch übertreffen.
Wohl erkennend, dass sich deutsche Soldaten an der Brücke zu schaffen machten, so vermutet ihr Mann Karl-Heinz Hermes, habe ein Flugzeug der Alliierten versucht, dieses Unterfangen zu stoppen. Er selbst war zu dieser Zeit an der Front bei Magdeburg und kehrte erst im August 1945 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Was im Detail am Nachmittag des 7. April passierte, lässt sich nur rekonstruieren. "Gesehen hat das sowieso keiner - die waren alle in den Kellern", sagt Hermes. Ganz genau weiß sie hingegen, welches Bild sich ihr bei der Rückkehr aus Bödexen bot: "Unser Haus war total zerstört. Es war ein glühender Aschehaufen. Ich weiß noch, wie wir an den Bahngleisen standen. Zunächst wollten wir noch nach Gegenständen suchen. Aber das ging wegen der Hitze nicht." Ein Flugzeug hatte mehrere Bomben auf das Nachbarhaus Weserstraße 15 geworfen, wodurch das elterliche Haus in Brand geriet. Durch die Druckwelle der späteren Brückensprengung wurde das Haus komplett zerstört. Das dahinter liegende Backhaus blieb bis auf zerborstene Scheiben und größere Mauerschäden unversehrt.
Ihr Haus lag in Trümmern. Da die Familie in Höxter keine Verwandten hatte, kamen sie bei Nachbarn und Bekannten unter. Doch die Hilfsbereitschaft hielt sich in Grenzen: "Die anderen hatten ja auch so gut wie nichts und wussten nicht, wie sie sich uns gegenüber verhalten sollten." Bis sie ihr Haus im Sommer 1948 wieder beziehen konnten, folgte eine kleine Odyssee: "Wir sind kreuz und quer durch die ganze Stadt gezogen", ruft Hermes dieses Kapitel Vergangenheit ins Gedächtnis zurück. "Gott sei Dank", sagt sie, war es Sommer, als sie vor den Ruinen ihrer Existenz standen. Mit nichts, außer den Kleidern am Körper. Und wenigen Habseligkeiten, die im Handwagen gen Bödexen gerettet wurden. "Aber was wir darin hatten, weiß ich nicht mehr - jedenfalls nichts, was wir nötig gehabt hätten."
Zumindest wurde im Betrieb ihrer Eltern schnell wieder gebacken und die fertigen Waren am Rathaus verkauft: Dafür wurden sämtliche Regale der damaligen Bücherei, in deren Räumen heute die Reaktion dieser Zeitung arbeitet, leer geräumt.
"Man war doch froh, dass der Krieg vorbei war", beschreibt Hermes die Stimmung in den ersten April-Tagen 1945. An Panik erinnert sie sich nicht. Die Menschen seien den Amerikanern entgegen gelaufen, damit keine in Paderborn bereit stehenden Flugzeuge Richtung Höxter starteten - so damalige Gerüchte. Dass es in den letzten Kriegsstunden dennoch die einzigen größeren Zerstörungen geben sollte, findet Magdalene Hermes tragisch: "Ich war tief betroffen, dass es uns auf die letzten Minuten noch getroffen hat."
Normalität kehrte erst 1948 wieder ein. Die Währungsunion war gekommen. Und sie und ihr Mann wohnten wieder in der Weserstraße 17. Die Weserbrücke, der Grund, weshalb sie zu den wenigen Menschen in Höxter gehörten, die im Krieg alles verloren, wurde nach und nach wieder aufgebaut. "Die Leute hatten mit sich selbst genug zu tun", weiß Hermes: "Und es waren ja überall nur Frauen - die Männer kehrten erst allmählich aus der Gefangenschaft heim".
Zunächst wurde eine über die im Wasser liegenden Pfeiler gelegte provisorische Notbrücke errichtet. Eine später gebaute und sich bis 1955 in Betrieb befindliche Behelfsbrücke wurde über eine "Brückengebühr" mitfinanziert. "Jeder musste fünf Pfennig bezahlen", sagt Hermes. Nur wer einen Garten im Brückfeld am anderen Weserufer besaß, durfte gratis hinüber gehen.
"Es heißt immer, dass in Höxter ja nichts passiert ist", sagt der 91-jährige Karl-Heinz Hermes. Diese Geschichte zeigt, dass das so nicht stimmt.
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