Deister- und Weserzeitung ,
07.04.2005 :
Hameln trauert - auch ohne Gedenkstunde / Verwaltungsausschuss billigt Erinnerungstafeln für die vielen Todesopfer der Nazi- und Kriegszeit
Hameln (mafi). "Hameln verloren." Mit diesen dürren Worten registrierte die Wehrmachtsführung am 7. April 1945 das Ende der Kriegshandlungen in der Weserstadt. Hameln hatte sich der US-Übermacht auf Befehl von NSDAP-Gauleiter Hartmann Lauterbacher nicht ergeben dürfen - sie wurde nach zweitägigem Artilleriebeschuss erobert. Hameln verloren? Nach Schilderung von Zeitzeugen waren damals tatsächlich die meisten Bewohner verzweifelt: Die Stadt hatte am Ende des Krieges hunderte Tote zu beklagen, 773 Häuser waren zerstört oder stark beschädigt, die Weserbrücken lagen gesprengt im Fluss, Rathaus und Marktkirche waren Ruinen. Aus Anlass des heutigen 60. Jahrestages erklärt Oberbürgermeister Klaus Arnecke: "Beim Blick zurück empfinden wir Trauer - Trauer um die vielen Opfer der Luftangriffe, um zahlreiche Zuchthausinsassen und um die jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die deportiert und in den Konzentrationslagern umgebrachtwurden. Wir denken mit Schrecken an ein ganz düsteres Kapitel Hamelner Lokalgeschichte."
Aus heutiger Sicht jedoch gilt die Eroberung durch die Amerikaner vor allem als Befreiung von der Nazi-Diktatur und als Beginn einer glücklicheren Ära. Ar necke lobt deshalb: "Wir leben heute in einem demokratischen Gemeinwesen, in einer Stadt, die freundschaftliche Beziehungen zu ihren Partnerstädten in England, Frankreich und Polen unterhält." Gerade diese Städtepartnerschaften seien "die schönsten Symbole für die Überwindung der Feindbilder des Weltkrieges."
Rund 1.800 Kriegstote wurden auf dem Friedhof Wehl beigesetzt. Offizielle Gedenkveranstaltungen für diese Menschen sind heute in Hameln nicht vorgesehen. Nach Worten von Superintendent Philipp Meyer ist kein Stadtvertreter an die Kirche herangetreten, um etwa einen zentralen Gottesdienst abzuhalten, wie er kürzlich in Paderborn stattfand; an dem ökumenischen Treffen im Dom der am 27. März '45 im Bombenhagel zerstörten Westfalen-Stadt nahmen auch britische Geistliche und Militärvertreter teil. Hamelns Verwaltung verweist auf drei Termine, an denen an das vor Ort Geschehene erinnert wird:
Der Historiker Bernhard Gelderblom machte vorgestern Abend im Rahmen des " Hamelner Forums " deutlich, wie die Menschen die Zeit um die "Stunde Null" erlebten. 220 Hamelner verfolgten mit großem Interesse den Dia-Vortrag im Weserbergland-Zentrum. Im Publikum befanden sich viele Zeitzeugen, die bewegt waren von Gelderbloms Collage aus fundierten Informationen und persönlichen Schicksalen.
Eine Exkursion zu den Kriegsgräberstätten auf dem Friedhof Wehl bietet Gelderblom am Freitag, 29. April, an (15.30 bis 17.45 Uhr). Die Teilnahme an dieser Veranstaltung der Volkshochschule kostet 5 Euro.
Das Stadtarchiv stellt eine Ausstellung "Untergang und Neubeginn - 60 Jahre Kriegsende in Hameln" zusammen. Sie läuft vom 7. Mai bis 18. Juni im dritten Stock der Stadtbücherei. Beschrieben wird dabei auch, wie sich die Nazi-Ideologie in Hamelns Bevölkerung verbreitete.
Noch nicht terminiert ist das Aufstellen von Gedenktafeln am früheren Zuchthaus (heute Hotel "Stadt Hameln") und auf dem Friedhof. Auch hier hatte Gelderblom den Anstoß gegeben. Beide Vorhaben wurden gestern vom Verwaltungsausschuss einstimmig gebilligt. Dabei änderte das Ratsgremium eine Vorlage des Oberbürgermeisters, der die Tafel für die Zuchthaus-Opfer an der Mauer der Weserpromenade anbringen wollte - mit Blickrichtung Klüt. Arnecke hatte den "nachvollziehbaren" Bedenken von Hotelbesitzer Dieter Güse folgen wollen, der "um größtmögliche Rücksichtnahme auf seine Gäste" gebeten hatte. Güse befürchtet eine Geschäftsschädigung. Er ist deshalb auch nicht bereit, sich ideell oder materiell an dem Gedenkprojekt zu beteiligen, bestätigte er gegenüber der Dewezet. Die Tafel wird nun auf öffentlichem Grün direkt am Hotel aufgestellt - sofern am 11. Mai auch der Rat zustimmt. Die schlimme Situation der politischen Gefangenen in Hameln während der Nazi-Zeit hatte Gelderblom im vorigen Jahr zum Thema einer stark besuchten Ausstellung im Amtsgericht gemacht. Der Stadtrat war sich danach einig, ein öffentliches Zeichen der Erinnerung am Ort des schrecklichen Geschehens zu setzen.
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