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Deister- und Weserzeitung , 07.04.2005 :

Legende oder Wahrheit - gab es die Retter von Hameln? / Über Klages und Schröter nichts belegt / Die Rolle der Gruppe Krumsiek / Drei Granatwerfer auf der Uetzenburg

Hameln. Pavel Kohout hat ihm ein Denkmal gesetzt, die Stadt Hameln tat sich eher schwer damit, Dr. Richard Klages dafür zu ehren, dass er gemeinsam mit dem Anfang 1945 aus dem Konzentrationslager entlassenen Kommunisten namens Georg Schröter die Stadt vor einer lang anhaltenden Beschießung gerettet hat. Besser muss es wohl heißen, gerettet haben soll. Denn dokumentarisch belegt ist die angebliche Geschichte dieser beiden Männer, die den Amerikanern auf der Pyrmonter Straße entgegen gegangen oder gefahren sein sollen, nirgends. Selbst die Tochter von Dr. Klages, Jutta Steging, kennt nur die in Hameln erzählten Darstellungen: "Mit uns hat Papi nicht darüber gesprochen. Wir waren ja Mädchen", berichtet sie über die Zeit nach dem Krieg, wo andere Väter nicht genug über ihre Kriegserlebnisse erzählen konnten, von Schützengräben, Panzerschlachten und ihrer Tapferkeit.

Sollte die Geschichte um Klages und Schröter wahr sein, so haben beide es später in aller Bescheidenheit vermieden, sich selbst groß ins Licht zu stellen. Möglicherweise war sogar noch ein Dritter dabei: Ab und an fällt je nach Quelle auch noch der Name des kommunistischen Gewerkschafters Karl Hölscher. Aber auch dessen Mitwirkung an der vermeintlichen Rettung der Stadt ist durch nichts belegt.

Einen Hinweis, dass an der, nennen wir es Legende, etwas Wahres sein könnte, ist die von Jutta Steging berichtete Tatsache, dass die oberhalb des Felsenkellerwegs gelegene Villa Klages nur einen Tag von den Amerikanern besetzt wurde und dann unverzüglich das Schild "Out of bounds" (frei übersetzt: Zur Beschlagnahme nicht frei gegeben) erhielt, während die Amerikaner ansonsten so viele Häuser besetzten, wie sie eben für ihre Zwecke benötigten. Diese Geste der Großzügigkeit wurde vermutlich nur deshalb gewährt, weil Klages in irgendeiner Form Kontakt zu den Amerikanern aufgenommen hatte. Welchen Inhalt seine und Schröters Gespräche, so sie denn stattgefunden haben, mit den US-Offizieren hatten, wird ewig ein Geheimnis bleiben. Zweifelhaft auch, ob die Amerikaner überhaupt Anlass hatten, auf ein Angebot der beiden Männer einzugehen. Denn nach Überschreitung der Weser bei Ohr trafen sie zwar in Tündern an den südöstlichen Rändern der Stadt noch auf Widerstand, Hameln aber hatte sich trotz aller Durchhalteparolen mehr oder weniger kampflos ergeben.

Daran könnten durchaus auch noch andere Männer Verdienst haben, von denen bislang nur als einer "Abordnung von Bürgern" die Rede war, die versucht haben soll, die Führung der Stadt zur Aufgabe zu überreden. Es scheint sich um eine Gruppe von Männern gehandelt zu haben, die sich Anfang April 1945 im Wohnhaus des damaligen Leiters des Garten- und Friedhofsamtes, Albert Krumsiek, auf dem Friedhof Wehl einquartiert hatte. Dazu gehörten nach Aussage von Krumsieks ältestem Sohn Hans der Metzgermeister und spätere CDU-Bundestagsabgeordnete Fritz Mensing, der Leiter einer örtlichen Bank, dessen Name nicht mehr in Erinnerung ist, und eher zufällig die Familie des Hamelner Buchhändlers Gustav Matthias, die sich am Wehl wegen der drohenden Kampfhandlungen in Sicherheit bringen wollte und von Krumsiek aufgenommen wurde. Die beiden Brüder Peter und Claus Matthias sind sich allerdings sicher, dass ihr Vater nicht zu der Bürger-Delegation gehörte, denn er habe sich nicht am Wehl aufgehalten, sondern als "Schreibstubenbulle" in der Scharnhorstkaserne eigenmächtig Soldaten aus dem Dienst entlassen.

So könnte die Delegation wohl aus Krumsiek, Mensing - einem Mann, der in seinem Geschäft nie mit "Heil Hitler" grüßte -, dem Bank-Chef und möglicherweise noch dem Hamelner Senator Karl Borcherding bestanden haben, der Verbindung zu diesen Männern hatte. Krumsieks Sohn Hans berichtet, die Gruppe habe Kontakt zu dem Oberleutnant oder, wie von anderer Quelle genannt, Hauptmann AlfredMeyer des in Hameln stationierten Ersatzbataillons 348 aufgenommen, der die Verteidigung Hamelns organisieren sollte. Dem Wunsch der Gruppe, Hameln kampflos zuübergeben, habe Meyer aber nicht entsprochen, weil er in diesem Fall um sein Leben habe fürchten müssen. Um der Naziführung seinen Verteidigungswillen zu beweisen, habe Meyer dann den Befehl zur Brückensprengung gegeben, ansonsten aber keine Anstalten gemacht, den Kampf mit den übermächtigenAmerikanern aufzunehmen. So lautete nach Angaben von Hans Krumsiek zumindest die Darstellung seines Vaters.

Nach Informationen aus der Familie des späteren Bundeswehr-Brigadegenerals Alfred Meyer hatte Gauleiter Hartmann Lauterbacher den Hauptmann, obwohl schwer durch Granatsplitter am Kopf und einem Bein verletzt, als dienstranghöchsten Offizier des 348er Bataillons in Hameln im Lazarett unter Androhung der Todesstrafe aufgefordert, die Verteidigung der Stadt zu gewährleisten. Meyer, so berichtet die Familie, habe daraufhin durch die Stadt ziehende versprengte Soldaten und ein paar Volkssturmmänner gesammelt und unter sein Kommando genommen. Drei Granatwerfer, die ihm zur Verfügung standen, habe er auf der Uetzenburg oberhalb des Friedhofs Wehl platziert, seinen Männern aber den Befehl erteilt: "Es wird auf keinen Fall geschossen! Sonst machen die Amis uns alle platt!"

Sich nicht zu verteidigen, sei zwar gegen seine militärische Überzeugung gewesen, aber er habe damals wohl begriffen, dass es keine andere Lösung mehr gab. Von einem direkten Kontakt zu Krumsiek und Mensing hat die Familie keine Kenntnis. Mittelbar könnte Meyer aber durchaus von den Forderungen der Gruppe gewusst haben, denn der Offizier war der Schwiegersohn von Sena tor Borcherding. Als Alfred Meyer sich 1958 bei der Bundeswehr bewarb, bürgte Mensing für ihn mit den Worten: "Sie haben sich 1945 um Hameln verdient gemacht!"

Die Brückensprengungen habe Hauptmann Meyer nicht durchführen lassen, berichtet seine Familie. Ihre Zerstörung wurde auf Befehl der Nazi-Führung in Hannover durch einen Soldaten namens Königshofer, einen Österreicher, durchgeführt. Königshofer soll die Sprengung der Straßenbrücke gemeinsam mit mehreren anderen Soldaten mit 250-Kilo-Bomben vorgenommen haben. Dynamit habe nicht zur Verfügung gestanden, meint ein Zeitzeuge, der nicht genannt sein will.

Dass Meyer zu diesem Zeitpunkt der dienstranghöchste Offizier in Hameln gewesen sei, widerspricht allerdings dem Militärtagebuch des Gefreiten Walter Brockmann aus Bramsche, der damals in der Linsingenkaserne stationiert war. Er notierte in seinem Tagebuch die Anwesenheit eines Generalmajors Klockenbring, eines Obersts Feind und der Hauptmänner Börner, Vogelsang und Glätzer, die aber, aus Detmold kommend, alle erst Anfang April in Hameln eingetroffen waren und aus versprengten Soldaten eine Marschkompanie bilden sollten. Mit der von Lauterbacher befohlenen Verteidigung hatte die Kompanie offenbar nichts zu tun. Lauterbacher selbst verschwand am 3. April im offenen Wagen von der "Weserfront" in Richtung "Harz-Festung".

Wer Hameln damals vor noch schwerwiegenderen Zerstörungen bewahrt hat, muss angesichts der Informationslage offen bleiben. Am ehesten lässt sich das Fazit ziehen, dass wohl mehrere Persönlichkeiten sowohl durch aktives Handeln als auch durch passiven Widerstand dazu beitrugen, dass Hameln nur zwei Tage unter Beschuss war. Diese Namen sollten dabei in Erinnerung bleiben: Richard Klages, Georg Schröter, Karl Hölscher, Albert Krumsiek, Fritz Mensing, Karl Borcherding und Alfred Meyer.

Lesen Sie morgen: Eine Bilanz der Zerstörungen.


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