Deister- und Weserzeitung ,
06.04.2005 :
Das Tagebuch des Gefreiten Brockmann zum Kriegsende in Hameln / Einziges Zeugnis aus dem militärischen Bereich in Hameln / Die Kampfbereitschaft der deutschen Soldaten war nur noch gering
Von Bernhard Gelderblom
Hameln. Das Tagebuch des Gefreiten Walter Brockmann ist bisher das einzige Zeugnis aus dem militärischen Bereich in Hameln und deswegen besonders wertvoll. Brockmann war auf der Schreibstube in der Linsingenkaserne eingesetzt und hatte deswegen einen relativ guten Überblick. Hier seine Notizen:
"Montag, 2. April
Erfassung der aus dem Zuchthaus Hameln entlassenen und der Marschkompanie zugewiesenen Häftlinge. Vom Fenster aus beobachte ich die Vereidigung der ehemaligen Häftlinge, teils noch in Sträflingskleidung.
Dienstag, 3. April
Gestern sind zahlreiche Einheiten und versprengte Soldaten in den Kasernen eingetroffen. Darunter mehrere Offiziere. Generalmajor Klockenbring ist Kampfkommandant. Eine ordnungsmäßige Erfassung der eintreffenden Soldaten ist nicht mehr möglich. Wegen Luftangriffen häufiges Aufsuchen des Luftschutzraumes im Keller der Kaserne.
Mittwoch, 4. April
Wegen Luftangriffen oft im Keller. Amerikanische Panzer nähern sich der Stadt.
Donnerstag, 5. April
Die Nacht im Keller zugebracht. Um 3.35 Uhr Sprengung der Weserbrücke. Feuer in den Wesermühlen. Der Klüt und der Stadtteil westlich der Weser sind von amerikanischen Truppen besetzt.
Während des ganzen Tages liegt die Stadt unter Artilleriebeschuss. Um 19.30 Uhr Umzug aus der Linsingenkaserne in den Keller des Hochzeitshauses. Das Rathaus und die Marktkirche sind stark beschädigt.
Freitag, 6. April
Werde gegen Mitternacht geweckt. Im Nebenraum eine Anzahl Zivilisten mit Hauptmann Vogelsang und Oberst Feind bei Cognac und Wein, der im Keller des zerstörten Ladens reichlich vorhanden ist.
Vormittag ruhig. Ein Parteifunktionär mit brauner Uniform unter dem Zivilmantel bringt einen Zivilisten, von dem er behauptet, dieser rufe zur Einstellung der Verteidigung und kampflosen Übergabe der Stadt auf; der Mann gehöre vor ein Kriegsgericht. Der Mann bleibt für kurze Zeit im Gefechtsstand, kann sich dann entfernen. In der Mittagszeit setzt starker Artilleriebeschuss ein. Beschädigungen an zahlreichen Gebäuden der Osterstraße nach dem Beschuss. An vielen Häusern sind weiße Bettlaken rausgehängt. Leutnant Reuter erklärt, dass dies nach Kriegsrecht während der Kampfhandlungen unzulässig ist und nachteilige Folgen haben kann, zeigt aber Verständnis für die Zivilbevölkerung.
Im Gefechtsstand erscheinen drei angetrunkene junge Leutnante, wahrscheinlich aus einem der Lazarette, erkundigen sich nach der Lage, möchten offenbar Krieg spielen; werden von Leutnant Reuter gewarnt und auf den Ernst der Lage hingewiesen.
Von 16.30 Uhr bis 20.00 Uhr starker Artilleriebeschuss."
Was lässt sich aus diesem Tagebuch über die Stärke und Kampfbereitschaft der deutschen Verteidigung schließen? Zuchthäusler dienten als Soldaten; neue Kompanien waren aus versprengten Soldaten zusammengestellt worden. Es waren ca. 500 Mann mit einigen Maschinengewehren und Granatwerfern vorhanden. Jeder Soldat soll etwa 20 Schuss Munition zur Verfügung gehabt haben. Gauleiter Hartmann Lauterbacher hatte weitere Truppen versprochen, die jedoch nie eintrafen.
Nicht nur die Stärke, auch die Kampfbereitschaft der deutschen Soldaten war sehr gering. So kurz vor dem Ende wollte niemand mehr das eigene Leben gefährden. Weiße Fahnen der Bevölkerung wurden vom Militär ignoriert. Einen von der Partei als Defätisten denunzierten Zivilisten ließ man laufen.
Auch eine Auflösung der militärischen Disziplin wird deutlich. Der Befehlsstand war im Keller des Hochzeitshauses. Dort war auch das Lager des Weinhändlers Eugen Peter. Es ist der Satz überliefert: "Der Wein muss weg, bevor die Amerikaner kommen."
Drei Leutnante, die offenbar "Krieg spielen" wollen, werden zur Räson gebracht. Offenbar verzichtete das Militär auf eine ernsthafte militärische Verteidigung der Stadt, um die Amerikaner nicht noch weiter zu reizen.
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