Mindener Tageblatt ,
06.04.2005 :
Mit Handwagen weiter auf dem Vormarsch / 6. April 1945: Amerikaner bilden Brückenkopf bei Neesen / Deutsche Front in Auflösung / Kanadier gehen über die Weser
Minden (mt). Am 6. April 1945 ging der Vormarsch der Alliierten auf dem rechten Weserufer weiter. Die Verteidigung an der von den Nazis hoch stilisierten "Weserlinie" hatte den Zusammenbruch des "Tausendjährigen Reiches" nur um Stunden hinausgezögert.
Von Jürgen Langenkämper
Bereits am Abend des 5. April konnten die britischen Truppen einen Brückenkopf nördlich Mindens bei Wietersheim über die Weser schlagen. "In den Nachtstunden zum 6. April passieren die amerikanischen Bataillone das Wiehengebirge über die Lutternsche Egge und erreichen über Häverstädt ihre Bereitstellungsräume in Barkhausen", berichtet Hermann Kleinebenne in seinem Buch "Die Weserlinie". Ab 5 Uhr in der Früh setzten die Amerikaner südlich der Eisenbahnbrücke auf einer Breite von 300 Metern von Aulhausen auf das Neeser Ufer über. Damit wurde die Situation für die deutschen Truppen auf dem rechten Weserufer in Minden mehr als brenzlig.
Zu den in Minden stationierten Pionieren - Einheiten hatten in den Vortagen alle Weserbrücken in Minden und Porta Westfalica, darunter auch die Kanalüberführung, gesprengt - gehörte seit Juni 1944 Prof. Dr. Manfred Messerschmidt, von 1970 bis 1988 Leiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Freiburg. "Ich war einer Panzerjagdgruppe zugeteilt", erzählt der damals 18-Jährige aus Dortmund. "Wir waren mit Holzgasautos unterwegs", beschreibt er die schlechte Ausstattung der Truppe in den letzten Kriegstagen.
Bis zum Abend des 6. April stießen die Amerikaner zur damaligen Reichsstraße 65 kurz vor Röcke vor. Da befand sich die Front der Verteidiger offenbar bereits in heller Auflösung. Dr. Hans Nordsiek vermutet in seinem Buch "Die verdunkelte Stadt", "dass die restlichen deutschen Soldaten kurz vor dem Eintreffen der Amerikaner das östliche Stadtgebiet Mindens im Laufe des 6. April in Richtung Osten oder Nordosten verlassen haben". Manfred Messerschmidt hat diese Phase so in Erinnerung: "Ein uns unbekannter Leutnant befahl uns in Beerenbusch ein Zeltlaken voll zu packen." Dort herrschten chaotische Zustände, die einer Plünderung ähnelten. "Die Soldaten standen knöcheltief im Alkohol", umschreibt Messerschmidt die Lage frei nach dem Motto "Bevor es die Amis haben, wollen wir es genießen." Später kam ein neuer Leutnant und sagte: "Jungs, geht nach Hause, der Krieg ist vorbei", erzählte der renommierte Militärhistoriker unlängst in einem großen Interview zum Terror der Militärrichter gegen die eigenen Soldaten, das in der Süddeutschen Zeitung (22. März) erschienen ist.
Am nördlichen Stadtrand mussten sich auch die Kanadier wieder in Marsch setzen. "Sie räumten ihre Sachen zusammen, und weil sie keine Fahrzeuge hatten, holten sie heimlich, still und leise unseren schönen Handwagen der Marke Miele aus dem Schuppen und bepackten ihn voll mit ihren Waffen und Tornistern", berichtet Helga Gieseking aus Kutenhausen. "Auch den vom Nachbarn nahmen sie mit, obwohl ein Hakenkreuz aufgeklebt war." Später sollen die Wiesen an der Pontonbrücke voller Handwagen gestanden haben. "Denn die Soldaten durften sie nicht mit hinüber nehmen."
Die Wirtschaft "Zahs" in Kutenhausen wurde wieder aufgeräumt. "Die Soldaten hatten ein wenig Schnaps probiert und ein paar Zigarillos, Kriegsware mit Papieranteil", erinnert sich die damals 14-Jährige. "Dafür hatten sie englische Zigaretten hinterlassen. - Nun war Frieden!"
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