Mindener Tageblatt ,
06.04.2005 :
Besetzung lief fast friedlich ab / Durch Einmarsch kanadischer Fallschirmjäger amerikanischer Bombardierung entronnen
Minden (mt). Ein letztes vernichtendes Bombardement ist Minden am 5. April durch den überraschenden Vorstoß kanadischer Fallschirmjäger am Vorabend erspart geblieben. Die Amerikaner, die die Stadt eigentlich hätten einnehmen sollen, deren Vormarsch aber an der Porta Westfalica ins Stocken geraten war, stornierten den Einsatz von 350 B 17-Bombern.
Von Jürgen Langenkämper
Kurz vor Mitternacht erreichten die Kanadier den Stadtkern und standen auf dem Markt. Nach Beobachtungen von Zeitzeugen, die Dr. Hans Nordsiek in seinem nicht mehr im Handel erhältlichen Buch "Die verdunkelte Stadt" zitiert, plünderten die Soldaten "nach Kriegsbrauch" auch Läden, darunter Kaisers Kaffeegeschäft. Die meisten Plünderungen in den Stunden zuvor waren eindeutig auf Einheimische zurückzuführen, wie sich Helene Hoffmann noch heute erinnert.
Das Verhalten der Offiziere beschrieb eine Zeugin, die Klavierlehrerin Käthe Müller ein paar Jahre nach dem Krieg, trotz der nach wie vor möglicherweise gefährlichen Situation in der fremden Stadt als "höflich". "Der Markt war belebt von Soldaten, die alle friedlich waren."
Vom Markt aus schwärmten die Kanadier aus, um auch die einzelnen Straßenzüge der Innenstadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Zwei Postbeamtinnen wiesen sie an, ins Fernsprechamt zu gehen und wieder ihren Dienst aufzunehmen.
Seit dem Einzug in die von der Wehrmacht auf dem linken Weserufer geräumte Stadt am Abend des 4. April 1945, dem Mittwoch nach Ostern, lieferten sich britisch-kanadische Kräfte mit den deutschen Verteidigern über den Fluss hinweg Feuergefechte, wie Hermann Kleinebenne in seinem 1998 erschienen Buch "Die Weserlinie - Kriegsende 1945" berichtet. Vor allem beidseits der gesprengten Weserbrücke beschossen sich die Gegner. Am Donnerstag, 5. April, setzten die Briten vermehrt schwere Waffen ein und verursachten Gebäudeschäden, vor allem im Bereich des so genannten Brückenkopfes. Fünf Kilometer flussabwärts gelang es der 6. britischen Luftlandebrigade am Nachmittag, bei Wietersheim einen Brückenkopf zu bilden.
Am 5. April hieß es plötzlich in Kutenhausen: "Bei Schepers steht ein Panzer", wie sich Helga Gieseking erinnert. "Im Nu war der Panzer von Kindern und Jugendlichen umringt. So ein Unfug!" Der Fahrer war nervös und versuchte, die Leute zu verscheuchen, denn an der Nordholzer Mühle war ein Panzerspähwagen von einer Panzerfaust getroffen worden.
"Bald trafen viele Kanadier, von Minden kommend, zu Fuß ein und verteilten sich in den Häusern", berichtet Helga Gieseking weiter. Manche Leute mussten ihre Häuser verlassen. "Wir konnten bleiben." Von der elterlichen Gaststube "Zahs" aus hielten die Kanadier das Funkgerät in Betrieb, wobei sie eine starke Antenne aus dem Fenster ragen ließen. "Im Laden ging das Geschäft weiter."
In einem offenen Schuppen auf dem benachbarten Bauernhof hatten die Soldaten eine Küche eingerichtet. "In einem langen Metallgestell standen mehrere rechteckige Metallbehälter mit Eintopf gefüllt. Am Ende des Gestells befand sich eine Feuerung mit einem Gebläse, die die Suppe in den Kanistern erhitzte", beschreibt die damals 14-Jährige ein Detail des Kriegsalltags.
"Weil die Brücken gesprengt waren", so Helga Gieseking weiter, "und wegen der Kriegshandlungen konnte die Milch nicht ausgeliefert werden." Viele Leute seien gekommen, um die Milch zu holen. "Bei uns wurde ein großer Topf voll Milchsuppe gekocht."
Dann wurde bekannt gegeben, dass alle Waffen abgeliefert werden müssten. "Die alten Bangebüchsen von Frauen haben all die schönen Jagdgewehre abgegeben, die dann von den Soldaten gegen die Stallecke geschlagen wurden", erzählt die Kutenhauserin. "Auch unser uraltes Luftgewehr, mit dem wir oft auf Scheiben an der Backhaustür geschossen hatten, ging diesen Weg." Später am Tag mussten die Leute im Haus bleiben, weil am Übergang über die Weser - "und die Flak aus Wietersheim schoss hierher".
Die Kanadier in Kutenhausen hatten Ruhetag. "Sie saß auf den Treppenstufen und zielten auf Blechdosen. Am nächsten Tag sollte es für die Eroberer Mindens und Kutenhausens heißen: "Abmarsch!"
Weniger beschaulich ging es für die Amerikaner zu. Für die 84. Infanteriedivision war der Weserübergang "die schwierigste aller Operationen der amerikanischen Truppen", so Nordsiek, auf ihrem Vormarsch vom Rhein zur Elbe. Zwei Kilometer südlich der ebenfalls zerstörten Brücke in Barkhausen schickte sich die US-Division an, am nächsten Tag, dem 6. April, über den Fluss zu setzen, wie Kleinebenne berichtet. Somit hielt die Sprengung der Brücken den alliierten Vormarsch an der "Weserlinie" nicht länger als ein bis zwei Tage auf - das Leben der Zivilbevölkerung im Nachkriegsdeutschland blieb noch lange beeinträchtigt.
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