Warburger Zeitung / Neue Westfälische ,
06.04.2005 :
"Amerikanische Soldaten kamen wie Bienen durch den Wald" / Heinrich Müller erinnert sich an die letzten Tage des Krieges im April 1945 in Willebadessen
Willebadessen (sie). Wenn zu besonderen Anlässen Zeitzeugen einer betroffenen Ortschaft Zeitzeugen einer nur wenige Kilometer enfernten Gemeinde befragen, namentlich wenn beide fast gleichaltrig sind, kann das Erkennisse ergeben, wie sie in dieser Art noch nicht in vollem Umfang der Öffentlichkeit, namentlich den jüngeren Mitbürgern, bekannt geworden sind.
Der frühere Warburger NW-Lokalredakteur Ewald Stachowiak, selbst Zeitzeuge rund um das Geschehen zum Kriegsende in Bonenburg (siehe Lokalseite 2), setzte sich mit seinem seit Schul- und Sporttagen eng verbundenen "Spezi", dem Ex-Vize-Landrat und exzellenten Kenner der Heimat am Eggewald, Heinrich Müller, zusammen und ließ den "Berufswillebadessener" im besten Sinne und heutigen Bürger von Bad Driburg über dessen Kenntnisse zum Geschehen zum Kriegsende, selbst erlebt oder recherchiert, plaudern.
Bereits 1944 habe er, so Heinrich Müller, damals gerade neun Jahre alt, viele fremde Gesichter in Willebadessen gesehen. In der Schule sei es durch Neuankömmlinge immer enger geworden. Erst viel später habe er davon erfahren, dass die Bevölkerungzahlen von Willebadessen sich in kurzer Zeit enorm erhöht, die der Schülerinnen und Schüler sogar streckenweise verdoppelt hätten (von 150 auf über 300). Als Pioniere im Jahre 1944 mit dem Bau von Stollen begonnen hätten, habe er als Kind geglaubt, dass dort Wohnplatz geschaffen werden sollte. Erst später sei ihm gesagt worden, dass es sich dabei um die Anlage von Luftschutzstollen handelt, was auf zu erwartende Kampfhandlungen hinweise.
Ein weiteres Indiz für das Näherkommen der Front seien die, wie ihm schien, endlosen Kolonnen ausgehungerter und schlecht bekleideter Menschen zu sein (darunter auch Frauen und Kinder), die durch Willebadessen zogen; vorrangig ausländische Zwangsarbeiter und heimatlose Menschen, wie er nicht zuletzt durch die gedämpften Gespräche im Elternhaus mit bekam. Er wisse, so Müller, dass damals ein Kind der Durchreisenden im Treck verstorben und in Willebadessen beerdigt worden sei. Soweit er sich erinnern könne, sei daheim, bei Verwandten und Nachbarn immer wieder betont woren, dass den völlig mittellosen Menschen durch Bereitstellung von bescheidenen Speisen und Getränken ein Überleben ermöglicht werden müsse, andererseits seien die eigenen kleinen Vorräte, die ja auch geheim gehalten werden mussten, bald erschöpft gewesen. In immer kürzer werdenden Abständen habe der Rentner Sperl durch die auf dem Haus des Bürgermeisters August Kurzen angebrachte handbetriebene Sirene Alarm geben müssen, weil feindliche Flugzeuge im Anflug waren. Die Front sei in der Karwoche 1945 – auch deutlich hörbar – immer näher gerückt. Viele Menschen suchten aus Angst vor den zu erwartenden Kampfhandlungen Schutz in den erwähnten Stollen, aber auch in Keller und sogar Feldscheunen oder gar in der freien Feldflur.
Seine Familie, so Heinrich Müller, sei am 1. Ostertag angesichts des zu erwartenden Einmarsches der Amerikaner mit einem Pferde bespannten Kastenwagen, auf dem Verpflegung, einige wichtige persönliche Dinge und Futter für die Tiere verstaut waren, zu einer Bodensenke im Greinberg gefahren, um halbwegs geschützt zu sein. Gegen 16 Uhr seien die ersten amerikanischen Panzer unweit der Vitus-Kapelle gesichtet worden.
Und dann zitiert der Zeitzeuge eine Zeitzeugin: Die Schwester Oberin des damaligen Krankenhauses (danach mehrfach umstrukturierte Nutzung in der Seniorenbetreuung) habe gegen 16 Uhr "amerikanische Soldaten wie Bienen durch den Wald von Helmern kommen sehen". Die Ordensfrau habe weiter schriftlich fixiert, wie sich Panzer, Maschinengewehrabteilungen und andere Waffen am Krankenhaus positioniert hätten. Das Krankenhaus selbst sei zu der Zeit von der Waschküche im Keller bis zum Dachboden total überfüllt gewesen, ebenso der Kindergarten. An allen Ecken und Enden hätten Obdachlose und Flüchtlinge, aber auch Verletzte und Schwerverwundete gelegen. Dazwischen seien viele Kinder gesichtet worden.
Die Besetzung Willebadessens am Nachmittag des 1. Ostertages, stellt Müller aus eigener Erinnerung und Recherche fest, sei zunächst fast ohne Komplikationen verlaufen, lediglich ein deutscher Tigerpanzer sei bei dem Einmarsch des 1. Bataillons des 38. Infanterieregiments der 9. US-Panzerdivision vor dem Haus David außer Gefecht geschossen worden. Beim ehemaligen Schuhgeschäft Peters sei der erste amerikanische Panzer aufgefahren, gefolgt von einem Konvoi schweren Kamfgerätes. Bejubelt wurde der Einmarsch der Amerikaner von einer Gruppe Franzosen, die als Fremdarbeiter in Willebadessen fest gehalten wurden. Allerdings, so erinnert sich Heinrich Müller, sei es beim Einmarsch innerhalb des Stadtkerns zunächst zu keinen nennenswerten Kampfhandlungen gekommen. In der folgenden Nacht sei aber seitens der deutschen Wehrmacht und der SS versucht worden, so hat Müller später beim Staatsarchiv in Detmold und an anderen Stellen recherchiert, Willebadessen zurück zu erobern.
Dazu hat Müller auch Aufzeicnungen aus Gefechtsberichten eines Leutnants Jähn nutzen können, die unter anderem ausweisen, dass ein von den Deutschen geplanter Überraschungsangriff sich verzögerte durch organisatorische Pannen unter anderem beim Auftanken der Panzer auf der "Wifo" bei Neuenheerse und Herbram Wald, wo die Nazis vor allem in Sachen Treibstoff unterirdisch experimentierten (Reste dieser Betonbunker sind heute noch vorhanden, trotz jahrzehntelanger Demontage). Über den Ablauf der Stunden zwischen dem 1. und 3. April gibt es, so erfuhr Heinrich Müller bei einem damals Beteiligten, äußerst konträre Aufzeichnungen, selbst bei den Amerikanern; bei den Deutschen sowieso. Zu einem Zwischenfall mit vielen Toten sei es es am 3. April gekommen, als irrtümlich ein deutscher Lkw in den Ort einfuhr, weil die Besatzung glaubte, Wehrmacht und SS hätten Willebadessen zurück erobert. Das Fahrzeug wurde zerschossen; es gab Tote und Verletzte. Zu Tode gekommen ist bei den Kämpfen in Willebadessen am 2. April auch der Warburger Landrat Admiral Bachmann.
Dazu hatte Müller beim Paderborner Redakteur Berthold Zünkler ("In jenen Tagen") gelesen, dass der Landrat durch Verlegung des Amtssitzes von Warburg nach Gehrden im Hotel Risse in Willebadessen bei der dort residierenden Führung des deutschen Hauptquartiers, in Uniform erscheinend (die er vom späteren Landrat Josef von Wrede zur Verfügung gestellt bekommen hatte), forderte, den US-Truppen den Ort Willebadessen zu übergeben. Auf Veranlassung des Landrats Bachmann sollen vor Einmarsch der Amerikaner Waffen, die unter anderem in der Schule gelagert waren, entfernt worden sein.
Erwähnter Leutnant Jähn, der an den Kämpfen in und um Willebadessen beteiligt war, wurde gemeinsam mit zwei Unteroffizieren bei einer Spähfahrt durch Willebadessen von Feuerstößen amerikanischer Soldaten getötet. Beim Zünden von Brandsätzen, so Müller, gingen Häuser in Flammen auf, wobei vor allem einige Mitglieder Familien Gellhaus und Althoff schwerste Verbrennungen erlitten. Frau Althoff wurde durch einen Kopfschuss schwerstens verletzt. Ihr Mann wollte den in der Nähe wohnenden Arzt Dr. Middel zur Hilfe holen, wurde dabei aber erschossen; Friedrich Gellhaus wurde im Haus seines Bruders Wilhelm durch Gewehrkugeln getötet. Erschossen auf offener Straße wurden die Eheleute Agnes und Josef Rinkewitz, die in das Haus Wiegand flüchten wollten. Toni Figge aus der Selle kam ebenso ums Leben und wurde geheim (offene Beerdingungen waren nicht gestattet) in Atenheerse beigesetzt.
Aus eigener Ansicht berichtet Heinrich Müller über die ersten Stundennach den Kämpfen: "Am 2. April bot sich in Willebadessen ein Bild des Grauens. Auf den Straßen, in und an Häusern, an der Umflut und im Nethebereich – überall lagen gefallene Soldaten." Zur Abschreckung, so habe es geheißen, seien sie so lange liegen gelassen worden. Zwölf nicht zu intentifizierende Deusche seien in Willebadessen beigesetzt, viele andere auf Friedhöfen außerhalb Willebadessens beerdigt worden.
Die Zahl der in und um Willebadessen getöteten amerikanischen Soldaten ist nie bekannt geworden. Im Kreuzgang des Schlosses hatten die Amerikaner ein Lazarett für ihre eigenen Verwundeten eingerichtet. Zerschossene Panzer und anderes Kriegsmaterial stand und lag noch lange herum. "Möge aus der Erinnerung an diese dunklen Tage unserer Geschichte doch wirklich die Hoffnung auf eine Zukunft ohne Gewalt und Krieg erwachsen. Hoffentlich haben wir alle aus dem Geschehen gelernt", resümmiert Heinrich Müller, der im Jahre 1987 Julien André kennen lernte, der in Willebadessen als fanzösischer Gefangener fest gehalten wurde. Er sei aber "gut und fair von den Willebadessenern behandelt" worden, habe der Franzose erklärt. Von ihm erhielt Müller Fotos aus den letzten Kriegstagen.
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