Lippische Landes-Zeitung ,
05.04.2005 :
Kaum in Worte zu fassen / Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten gibt Buch heraus
Detmold (mah). Unter dem Titel "Lebensunwert - zerstörte Leben" hat der Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten ein Buch herausgebracht. Es schildert die Lebensgeschichten der Opfer und lässt Wissenschaftler zu Wort kommen, die das Thema Zwangssterilisation und "Euthanasie" in einen historischen Kontext stellen. Es ist ein Buch, dem SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel "eine weite Verbreitung" wünscht.
Lebensgeschichten. Ursula S.: 1936 mit 16 Jahren zwangssterilisiert, weil Ärzte "epileptische Anfälle" diagnostiziert hatten. Heinrich H. : 1938 zwangssterilisiert, weil der Vater Kommunist war. Wladyslaw Plichta, Opfer medizinischer Experimente in Auschwitz. Margret Hamm vom BEZ hat Lebensgeschichten gesammelt - Lebensgeschichten, die der fürchterlichen Nazi-Ideologie zufolge nicht wert waren, überhaupt gelebt zu werden. "Es sind Schicksale, die sind eigentlich nicht in Worte zu fassen", sagt BEZ-Geschäftsführerin Margret Hamm. Ordner mit der Aufschrift "Betroffene" füllen einige Regalmeter. 600 Opfer sind Mitglied im Bund.
Margret Hamm und Marga Heß haben mit einigen von ihnen gesprochen und den Interviews Schriftform gegeben, andere Lebensgeschichten wertete Margret Hamm aus den Archiven des BEZ aus. "Es wird deutlich und erkennbar, wie die Betroffenen selektiert und stigmatisiert wurden und wie die Geschehnisse bei den Betroffenen und ihren Familien nachwirken," schreibt Herausgeberin Hamm in ihrem Vorwort. In der Tat geben die Lebensberichte erschütternd Zeugnisse von den Misshandlungen durch die Nazis, aber sie dokumentieren auch die völlig unzureichende Wiedergutmachung nach dem zweiten Weltkrieg. Die BEZ kämpft noch immer für die Rehabilitierung der Opfer und um die Annullierung des Gesetzes "zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933.
Opfer bis heute nicht gleichgestellt
In dem Buch werden die Rolle der Gesundheitsämter, die verweigerte Entschädigung, die Haltung der Kirchen, die Darstellung im Geschichtsunterricht und viele weitere Themen ausführlich wissenschaftlich aufbereitet. Unterstützung findet der BEZ in Hans-Jochen Vogel und der Vereinigung "Gegen Vergessen - für Demokratie", deren Vorsitzender Vogel ist.
"Die Forderung, diese Benachteiligung endlich zu beseitigen, sollte nachdrücklich aufgegriffen werden", schreibt er in einem Geleitwort zum Buch. Vogel würdigt auch den wissenschaftlichen Teil des Bandes. "Es wird deutlich, dass die Opfer, um die es hier geht, bis heute den anderen Verfolgten des NS-Regimes nicht gleichgestellt worden sind." Das Buch hole diese im allgemeinen Bewusstsein nicht mehr genügend präsenten Verbrechen der NS in Erinnerung. 300 000 Menschen seien dem "Euthanasie" genannten Mordprogramm zum Opfer gefallen, erinnert Vogel - massenhafte Ermordung angeblich unheilbarer Männer, Frauen und Kinder.
"Lebensunwert - zerstörte Leben". VAS Verlag Frankfurt, 254 Seiten 19.90 Euro. ISBN: 3-88864-391-0. Erhältlich im Buchhandel.
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