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Deister- und Weserzeitung , 11.08.2018 :

Entrechtet, verfolgt, ermordet

Zehn neue "Stolpersteine" für Hamelner, die den Nazis zum Opfer fielen / Zehn bewegende Geschichten

Von Philipp Killmann

Hameln. Vor vielen Häusern der Stadt finden sie sich bereits, die Pflastersteine mit der Oberfläche aus Messing. Die so genannten Stolpersteine erinnern mit ihren Inschriften an Hamelner, die von den Nazis verfolgt beziehungsweise ermordet wurden. 68 Steine sind in den vergangenen knapp fünf Jahren verlegt worden. Nun kommen an drei Plätzen zehn weitere dazu.

Verlegt werden die Stolpersteine in der Regel dort, wo die Opfer in Hameln ihre letzte frei gewählte Bleibe hatten. Für die Familie Birnbaum war das die Deisterstraße 45, wie der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom recherchiert hat. Dort betrieben die Eheleute Max und Margarete Birnbaum eine Eisenwarenhandlung. Auf den Boykott jüdischer Geschäfte folgte die Geschäftsaufgabe, auf den Versuch auszuwandern die Haft. Margarete Birnbaum nahm sich 1939 im Alter von 44 Jahren im Gerichtsgefängnis Am Zehnthof das Leben, ihr Mann wurde 1942 in das Ghetto Warschau deportiert und ermordet. Ihre Kinder konnten fliehen, Grete Birnbaum nach Palästina, Alfred Birnbaum nach England.

Weitere fünf Stolpersteine werden an der Kaiserstraße 21 verlegt. Dort lebte die Familie Blank. Albert Blank war 1910 Mitbegründer der Hamelner Teppichfabrik Otto Kuhlmann. In den 1920er Jahren florierte das Geschäft. Doch 1934 wurde das Unternehmen "arisiert", Albert Blank und sein damaliger Geschäftspartner Ernst Josephs verloren ihren Betrieb. Albert Blank zog mit seiner Frau Luise und den Töchtern Hilde und Ursula nach Berlin, Tochter Eva ging bereits in der Schweiz zur Schule. 1936 wanderte die Familie über die Niederlande nach London aus. Die Teppichwerke Otto Kuhlmann gingen an Hans Preis und Söhne für einen Spottpreis über. In den 1950er Jahren wurden aus den Teppichwerken Kuhlmann die OKA-Teppichwerke. 1949 stellten Albert Blank und Ernst Josephs Anträge auf Rückerstattung. 1951 wurden sie mit 1.750.000 D-Mark abgefunden.

Ein weiterer Stolperstein wird an der Ohsener Straße zwischen Ruthen- und Kuhbrückenstraße verlegt. Dort, an der Bückebergstraße 44 - im Dritten Reich hieß die Ohsener Straße noch Bückebergstraße - lebte Willi Nega 1936 mit seiner Familie. Wenig später wurde den Negas eine Wohnung in der Behelfssiedlung Am unteren Hamelwehr zugewiesen. Weil die Familie so groß war (die Negas hatten zehn Kinder), wurde das Hamelwehr auch als "Nega-Dorf" bezeichnet. Wie im Rahmen der Dewezet-Serie "Die Menschen vom Hamelwehr" bekannt wurde, ist Willi Nega 1938 in "Schutzhaft" genommen und im Rahmen der gegen so genannte "Asoziale" gerichteten "Aktion Arbeitsscheu Reich" deportiert worden. Er durchlief mehrere Konzentrationslager, bevor er 1940 im KZ Dachau ums Leben kam. Die Familie hat nie eine Entschädigung erhalten. Nega ist das zweite nicht-jüdische Opfer der Nazis, dem in Hameln ein Stolperstein gesetzt wird.

Verlegt werden die neuen Steine im Beisein von Angehörigen der Opfer am 27. September durch den Künstler Gunter Demnig. Schüler des Viktoria-Luise-Gymnasiums werden die mit Historiker Bernhard Gelderblom aufbereiteten Biografien der Opfer darstellen, die nach der Steinverlegung auch auf der Website des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte nachzulesen sein werden. Der Rat der Stadt hatte 2013 beschlossen, sich an dem Erinnerungsprojekt zu beteiligen. Der Hamelner Verein rekonstruiert die Geschichten der von den Nazis verfolgten und ermordeten Hamelner und organisiert die Verlegung der Stolpersteine.

Spenden: Die Kosten pro Stolperstein betragen 120 Euro. Dafür ist der Verein auf Spenden angewiesen: Sparkasse Hameln-Weserbergland, IBAN: DE 562545011000310031 55, Verwendungszweck "Stolpersteine".

Mein Standpunkt

In einer Zeit, in der Rechtspopulisten das Dritte Reich ausblenden oder gar schönreden, ist es umso wichtiger, an die Menschen zu erinnern, die den Nazi-Verbrechern zum Opfer fielen. Denn wenn die Erinnerung an diese Barbarei in Vergessenheit gerät, besteht die Gefahr, dass wir sie wiederholen.

Von Philipp Killmann, Lokalredaktion

Bildunterschrift: Diese Aufnahme, die um 1934 entstand, zeigt Eva Blank (hinten rechts) und den Lehrer Hans Weiss (hinten links) sowie Grete Birnbaum (mit Zöpfen) und Alfred Birnbaum (vorne links).

Bildunterschrift: So sehen die Stolpersteine aus, bevor sie verlegt werden.

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Deister- und Weserzeitung, 10.11.2016:

Damit sie nicht in Vergessenheit geraten

Gedenkstunde am Mahnmal für die deportierten und ermordeten Juden aus Hameln

Von Wolfhard F. Truchseß

Hameln. 78 Jahre sind vergangen, seit die Nationalsozialisten am 9. November 1938 in ganz Deutschland Synagogen niederbrannten und zahlreiche Juden aus den noch verbliebenen Jüdischen Gemeinden ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppten. Gestern gedachten am Mahnmal für die deportierten und ermordeten Juden vor der neuen Synagoge an der Bürenstraße Mitglieder der beiden Jüdischen Gemeinden, die Stadt Hameln, Vertreter mehrerer Kirchen, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und Hamelner Bürger des schrecklichen Geschehens und legten Kränze ab.

Daria Leuthier von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erinnerte an das Schicksal der Familie Friedheim, die im Juli 1942 aus Münder und Hameln in das Judenhaus in Hannover-Ahlem deportiert und danach nach Auschwitz und Theresienstadt verbracht wurde und dort zu Tode kam.

Genau 114 Namen finden sich auf einer Liste Hamelner Juden, die den Nazis zum Opfer fielen. Die beiden Schülerinnen Hanne Himler und Lena Diedrich verlasen ihre Namen, damit auch sie nicht in Vergessenheit geraten.

Nachdem Pastorin Sophia Sander den Psalm 57 verlesen hatte, sprach Rachel Dohme, die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde, auf Deutsch und Hebräisch ein Totengebet, in dem Gott die Seelen der sechs Millionen ermordeten Juden anempfohlen wurden. Gemeinsam wurde am Ende Kaddisch gesprochen.

Bildunterschrift: In einer gemeinsamem Aktion reinigten gestern junge Leute in der Innenstadt die so genannten Stolpersteine, die inzwischen an zahlreichen Stellen daran erinnern, dass hier einst Juden gewohnt hatten und legten zu ihrem Gedenken weiße Rosen ab.

Das Schweigen der Täter

In ihrem Buch "Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte" hatte Alexandra Senfft über den Umgang ihrer Familie mit dem Erbe ihres Großvaters Hanns Ludin gesprochen. Er war ab 1941 Gesandter des Dritten Reichs in der Slowakei und maßgeblich an der Deportation der slowakischen Juden beteiligt. In ihrem neuen Buch "Der lange Schatten der Täter" beschreibt die Autorin nun, dass unbearbeitete NS-Verbrechen und Traumatisierungen durch den Zweiten Weltkrieg kaum bemerkt bis heute nachwirken. Still prägen sie als vererbtes Leid das Leben vieler Menschen, beschädigen Biografien und Beziehungen, beeinflussen die Politik. Eingebettet in die aktuelle Forschung erzählt Senffts Reise durch das Erinnern, wie das Schweigen zur Last wird.

Am Montag, 14. November, ist die Publizistin Alexandra Senfft zu Gast im Hamelner Forum der VHS. Senfft arbeitete als Reporterin und Redakteurin in verschiedenen TV-Sendern und schreibt seither als Freie Journalistin und Autorin etwa für "Die Zeit", die "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine" - unter anderem über die transgenerationellen Folgen des Nationalsozialismus und der Dialog mit den Opfern und ihren Nachkommen. In ihrem neuen Buch stellt Senfft unbequeme Fragen gegen das Verdrängen: Weshalb wurden Täter in Opfer verkehrt, welche Rollen spielen Schuld und Scham - und gibt es so etwas wie Gerechtigkeit?

Termin: Alexandra Senfft im Hamelner Forum, Montag, 14. November, 19 Uhr, Lalu im Hefehof. Vorverkauf in den Hamelner Buchläden, bei der Ticketfabrik im Hefehof und der Volkshochschule.

Bildunterschrift: Alexandra Senfft stellt ihr neues Buch in Hameln vor.

11./12.08.2018

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