Lippische Landes-Zeitung ,
01.04.2005 :
Die Not befördert die Ökumene / Der katholische Pfarrer i.R. Karl Henke legt den Bericht seines Vorgängers über das Kriegsende vor
Oerlinghausen. Zu den Geschehnissen um und nach Ostern 1945 hat der katholische Pfarrer i.R. Karl Henke noch ein Dokument aus den letzten Kriegstagen: Rektor Franz Jansen aus Köln, Henkes Vorgänger in der katholischen St.-Michael-Kirchengemeinde, verfasste damals einen Bericht, der die Tage zwischen Ostern und dem Weißen Sonntag beschreibt. Auszugsweise hat Henke diesen Bericht in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen Kirchengemeinde veröffentlicht.
" ... Am Osternsonntag konnten wir vormittags noch Gottesdienst halten, am Nachmittag war bei uns die Front. Ich holte das Allerheiligste aus der Kapelle und ging damit zur Grüte (Haus von Fam. Vogel). Wir waren im Keller zu 26 Menschen. Die Waschküche hatte man für die Schwester von Frau Üding geräumt. Die aus Kirchherten geflüchtete Frau stand kurz vor ihrer Niederkunft. Da kein Geburtshelfer vorhanden war, lief ich morgens bei Beschuss zur Krankenkasse, wo ein Notlazarett eingerichtet war. Dort traf ich den evangelischen Arzt Dr. Rieso an, der mit mir zur Grüte lief. Wir haben mehrmals im Straßengraben gelegen. Im Kohlenkeller wurde das Kind geboren, das wenige Tage später starb.
Am Abend des Ostermontag waren die Amerikaner da. Sie waren überrascht, in der Grüte einen katholischen Priester zu finden. Ich war ihnen mit einer Kerze im Hausflur entgegengegangen. Der Führer der Abteilung zog seine Stulpenhandschuhe aus und gab mir die Hand. `I`m also catholic`, sagte er.
Zwei Soldaten mussten in den Keller, in dem alle anderen geblieben waren und auch bleiben mussten, gehen, sahen das Allerheiligste und das Neugeborene. Sie kamen sehr still wieder hinaus. `I am sorry, that is the war`, meinte der eine. Wir kamen über die Detmolder- und Hauptstraße. Auf diesen Straßen lagen viele tote deutsche Soldaten. Von dem Kommandanten erbat ich als Priester die Erlaubnis, die toten deutschen Soldaten von den Straßen und aus dem Wald sammeln und auf den Friedhof bringen zu dürfen. Er weigerte sich hartnäckig: `The Germans must see, what is the war.` Erst nach meiner dritten und sehr erregten Vorstellung, dass sein Verhalten jeder Menschlichkeit Hohn spreche, wurde die Erlaubnis gegeben.
Am Montag nach dem Weißen Sonntag haben wir die gefallenen (90?) deutschen Soldaten auf dem ev. Friedhof in drei Massengräbern beerdigt.
Zuerst hielt der ev. Pfarrer Schwarz am ersten Grab Ansprache und Beerdigung, dann der kath. Priester am zweiten Grab Beerdigung und die Ansprache. Auf dem Oerlinghauser Friedhof und Umgebung waren etwa 5.000 Menschen versammelt. Das war der erste ökumenische Gottesdienst in Oerlinghausen."
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