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Mindener Tageblatt Online , 30.06.2018 :

Künstler verlegt fünf weitere Stolpersteine für NS-Opfer

Von Jasper Kock

Minden (jk). Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat am Freitagmorgen an drei Stellen im Stadtgebiet fünf weitere Stolpersteine verlegt. Damit erinnert der gleichnamige Arbeitskreis an die Verfolgung und den Tod von fünf jüdischen Mitbürgern in Minden in der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Sprecher Hans Langescheid konnte ein gutes Dutzend Leute an der ersten der drei Stationen begrüßen. Vor dem Haus Stiftsallee 6, kurz vor der Kanalbrücke, verlegte Gunter Demnig gleich drei kleine Gedenksteine für Walter, Helene und Max Simon. Dabei wurden die von dem Arbeitskreis aufgearbeitete Kurzbiografien vorgelesen. Sabine Schule legte drei Rosen aus den drei neuen Stolpersteinen nieder. Nach einer Schweigeminute und Dankesworten seitens Hans Langescheids machten sich die Teilnehmer zum nächsten Ziel am Königswall auf.

In Höhe des Hauses Nr. 18 verlegte der Künstler für Olga Sternheim den 92. Mindener Stolperstein. Auch drei Schüler der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule verfolgten mit einer inzwischen angewachsenen Schar interessierter Zuschauer die Zeremonie, die Demnig dank der guten Vorbereitung durch die Städtischen Betriebe (SBM) schnell und routiniert vollziehen konnte.

Sehr zentral liegt der 93. und bisher letzte Stolperstein in Höhe des Hauses Scharn 18 in der Umrandung des Podestes, das die ehemalige, im Krieg zerstörte Häuserzeile andeutet. Im Haus Hohnstraße 18 hatte Bertha Orthmann geb. Seelig bis zu ihrer Deportation 1944 gelebt. Neben einer neunten Klasse des Ratsgymnasiums, die die Biografie in einem sehr berührenden und bewegenden Vortrag vorstellte, kam als Überraschungsgast eine Zeitzeugin. Die 96-jährige Ilse Finkeldey berichtete, dass sie als Nachbarin neben Bertha Orthmann gewohnt habe - "bis zum bitteren Ende".

Bildunterschrift: Gedenken an NS-Opfer: Gunter Demnig verlegt einen Stolperstein am Königswall 18.


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Mindener Tageblatt, 27.06.2018:

Mahnmale für fünf Schicksale

Der Künstler Gunter Demnig verlegt am Freitag an drei Stellen weitere Stolpersteine / Der Arbeitskreis hat die Lebensgeschichten der NS-Opfer bruchstückhaft erforscht

Von Jürgen Langenkämper

Minden (mt). Erstmals seit vier Jahren verlegt der Künstler Gunter Demnig an diesem Freitag wieder Stolpersteine in Minden. Fünf werden es sein, die als kleine Mahnmale im Pflaster an die Schicksale von NS-Opfern erinnern. Die Biografien der Menschen, deren Lebenswege in den Todesmühlen der Vernichtungslager der SS endeten, hat der Arbeitskreis Stolpersteine unter der Leitung von Hans Langescheid und Sabine Schulz aufgearbeitet.

"Es gibt immer weniger Material", bedauert Langescheid, der seit Jahren die Thematik erforscht. Durch die fünf weiteren Stolpersteine wird dann an insgesamt 93 Menschen erinnert, die von den Nazis verfolgt wurden und auf grausame Weise ihr Leben verloren.

Im Haus Stiftsallee 6 lebten drei Mitglieder der jüdischen Familie Simon. Bis 1940 hatte das Gebäude Max Simon gehört. 1892 als Sohn von Louis Simon und Ottilie geb. Müller geboren, blieb er unverheiratet und war von Beruf Schlachter und Viehhändler. Ab 1933 litt er persönlich und geschäftlich unter der organisierten Ausgrenzung und Diskriminierung. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und dort so schwer misshandelt, dass er im Dezember 1938 im Mindener Krankenhaus behandelt werden musste. Ende Dezember 1938 floh er nach Belgien und nach dessen Besetzung im April 1940 weiter nach Frankreich. Am 11. April 1940 wurde ihm die Staatsbürgerschaft entzogen, einen Tag später Haus und Grundstück zwangsenteignet.

Ab August 1940 internierten die französischen Behörden den Flüchtling im Lager Cyprien in den Pyrenäen und lieferten ihn an die Deutschen aus. Von November 1940 bis Juni 1942 war Walter Simon in den südfranzösischen Lagern Gurs und Recebedou interniert. Im Juni 1942 wurde er ins Sammellager Drancy bei Paris verlegt. Von dort wurde er am 22. August 1942 mit Transport Nr. 22 nach Auschwitz verschleppt, wo er zu einem unbekannten Zeitpunkt ermordet wurde. Zum 31. Dezember 1945 wurde er amtlich für tot erklärt.

In dem Haus in der Stiftsallee wohnte auch die verwitwete Tante Helene Simon geb. Rosenbaum, 1870 in Duderstadt geboren. "Wann ihr Ehemann David Simon verstorben ist, lässt sich nicht mehr feststellen", sagt Hans Langescheid. Nach der Zwangsenteignung des Hauses wurde sie gezwungen, in die Königstraße 37 umzuziehen. Ende Juli 1942 wurde sie gemeinsam mit vielen Mindener Juden verhaftet und in ein Sammellager nach Bielefeld verschleppt. Von dort wurde sie am 31. Juli 1942 mit Transport XI/1 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Nach Auskunft des Roten Kreuzes der CSSR wurde sie am 23. September 1942 mit einem "Todestransport" weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.

Auch Max Simon, über den es fast keine Unterlagen gibt, wohnte in dem Haus. Die verwandtschaftlichen Verhältnis zum Hauseigentümer sind unklar. Fest steht nur, dass er wie Helene Simon am 31. Juli 1942 über Bielefeld nach Theresienstadt deportiert wurde. Nach Auskunft des Bundesarchivs in Koblenz ist er dort an einem unbekannten Tag gestorben.

Im Dezember 1941 bei großer Verhaftungsaktion nach Bielefeld verschleppt

Im Haus Königswall 18 lebte die Jüdin Olga Sternheim geb. Meyer. 1896 in Volmerdingsen geboren, zog sie am 26. November 1938 von Remscheid nach Minden zu. Am 16. Oktober 1939 wurde sie gezwungen, in das so genannte "Judenhaus" in der Heidestraße 21 umzuziehen. Am 11. Dezember 1941 wurde sie im Zuge der großen Verhaftungsaktion nach Bielefeld verschleppt und zwei Tage später nach Riga deportiert, wo sie bis 1944 Zwangsarbeit leisten musste. Am 1. Oktober 1944 wurde sie als "politischer Schutzhäftling" mit der Häftlingsnummer 94110 in das Konzentrationslager Stutthof eingeliefert und dort vermutlich am 23. November 1944 ermordet. Vom Amtsgericht Remscheid wurde sie zum 31. Dezember 1945 für tot erklärt.

Bertha Orthmann, 1885 als Tochter von Moritz und Helene Seelig in Minden geboren, wohnte bis 1944 im Haus Hohnstraße 18. Ihr Mann, der evangelische Schuhmacher Karl Orthmann aus Petershagen war im Ersten Weltkrieg gefallen. 1944 verlor sie den Status, als Witwe eines Nichtjuden in einer so genannten "geschützten Ehe" zu leben. Am 28. August 1944 wurde sie verhaftet und ins Polizeigefängnis Bielefeld eingeliefert. Von dort wurde sie deportiert, ob nach Warschau oder nach Theresienstadt, ist nicht mehr zu klären. Letztlich ist sie im Vernichtungslager Auschwitz verschollen und wurde zum 8. Mai 1945 amtlich für tot erklärt.

Projekt Stolpersteine

Im Oktober 2005 wurden in Minden die ersten Stolpersteine verlegt. Durch die fünf neuen Gedenktafeln steigt deren Zahl im städtischen Pflaster auf 93.

1992 hat der Kölner Künstler Gunter Demnig sein weithin beachtetes und anerkanntes Projekt gestartet. Die von ihm so genannten "Stolpersteine" erinnern an das Schicksal von Menschen, die während des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.

Rund 69.000 Stolpersteine sind inzwischen in Deutschland und 21 weiteren Ländern verlegt worden.

In Minden arbeitet seit den Anfängen der Arbeitskreis Stolpersteine der Aktionsgemeinschaft Friedenswoche die Schicksale von NS-Opfern auf. Seit dem vergangenen Jahr ist der Arbeitskreis unter dem Dach des Vereins Minden für Demokratie und Vielfalt tätig.

Die fünf neuen Stolpersteine werden am Freitag um 9 Uhr vor dem Haus Stiftsallee 6 (für Walter, Helene und Max Simon), gegen 9.30 Uhr am Königswall 18 (für Olga Sternheim) und gegen 10.15 Uhr in Höhe des Hauses Scharn 18 (für Bertha Orthmann) verlegt.

Bildunterschrift: Mahnmale im Pflaster: Hans Langescheid (von links), Sabine Schulz und Karl-Heinz Ochs haben die Verlegung von fünf weiteren Stolpersteinen für NS-Opfer vorbereitet.

Der Autor ist erreichbar unter (0571) 882168 oder Juergen.Langenkaemper@MT.de.

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Mindener Tageblatt, 31.10.2005:

Darüber stolpern heißt auch darauf stoßen

Erinnerung an Nazi-Opfer: Künstler Gunter Demnig setzt am 21. November Stolpersteine in Mindener Gehwege ein

Minden (mt). Sie waren engagierte Sozialdemokraten und Juden polnischer Herkunft: Samuel und Helene Kirschroth, die in Minden ein Schuh- und Konfektionsgeschäft betrieben, als die Nationalsozialisten sie und ihre Kinder am 28. Oktober 1938 in ein Internierungslager nach Polen deportierten. Ihre Spur im Lager verlor sich. Sie sind verschollen.

Von Hans-Jürgen Amtage

Ab dem 21. November werden "Stolpersteine" vor dem Haus Simeonstraße 8 an die jüdische Familie Samuel, Helene, Herbert und Charlotte Kirschroth erinnern. Zehn mal zehn mal zehn Zentimeter große Betonsteine mit Messingplatten versehen, in denen mit Schlagbuchstaben in nur wenigen Worten auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten aufmerksam gemacht wird: "Hier wohnte ... ". Ergänzt durch Deportations- und Ermordungsdaten in den verschiedenen Konzentrationslagern spiegeln die Stolpersteine die Schicksale der Menschen wider, die besonders unter dem Nazi-Regime leiden mussten.

Stolpersteine, das ist ein europäisches Kunstprojekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, Sinti, Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig halten will und für das sich eine Projektgruppe der Aktionsgemeinschaft Friedenswoche Minden (Friwo) stark macht (das MT berichtete). Der Kölner Künstler Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort die Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig einlässt. Seit 1993 hat er mehr als 5500 Steine in 97 Städten und Gemeinden verlegt. Denn für ihn heißt stolpern auch darauf stoßen. "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", sagt Demnig. Mit den Steinen vor den Häusern will er die Erinnerung an die Menschen lebendig halten. So auch in Minden.

"Wir sind überwältigt von dem Zuspruch, den wir nach Start unserer Stolperstein-Aktion im Kollegen- und Freundeskreis erfahren haben", sagt Sabine Schulz von der Friwo-Projektgruppe. Viele Paten und Sponsoren hätten sich bereit gefunden, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um das Projekt auch in Minden realisieren zu können, unterstreichen auch Hans Langescheid und Otto Flender, die gemeinsam mit rund einem Dutzend anderer Aktiver das Projekt vorbereitet haben. Sie gingen in zahllosen Gesprächen und Archivbesuchen in Detmold und Münster den Schicksalen der Mindener Opfer des Nationalsozialismus nach. Sie bereiteten den Kontakt mit dem Künstler vor, der nun am Montag, 21. November, in die Weserstadt kommen wird, um ab 14 Uhr die ersten acht Stolpersteine in die Gehwege einzubringen. Abends wird er über sein Projekt referieren. Weitere Stolpersteine sollen im kommenden Jahr folgen.

Weg beginnt in der Altstadt

Lange haben die Projektgruppen-Mitglieder diskutiert, welchen Personen zuerst gedacht werden solle. Sie entschieden sich schließlich für den Beginn eines Stolpersteine-Weges in der Altstadt. Für Willi Otte, der in der Brüderstraße 16 wohnte und als geistig Behinderter im Februar 1945 zum Euthanasieopfer wurde. Für Bella und Leopold Werberg, einem jüdischen Ehepaar, das in der Ritterstraße 27 wohnte, 1941 nach Riga deportiert wurde und dort 1943 umkam. Für die Jüdin Dina Heinemann, die in der Ritterstraße 11 groß wurde. Im Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, einen Monat später dort ermordet. Und für die Familie Kirschroth.


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