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Recherche-Nord , 26.02.2018 :

Nazi-Rock und Haverbeck in Lingen

Bildunterschriften:

Am vergangenen Wochenende fand im Emsland (Niedersachsen) ein Neonazi-Konzert mit rund hundert Anhängerinnen / Anhängern der Neonazi-Szene statt. Bei dem eigentlichen Veranstaltungsort handelte es sich um den inzwischen arg "in die Jahre gekommenen" Gasthof Brögber.

Anreisende Teilnehmerinnen / Teilnehmer wurden ab 14 Uhr über ein Industriegebiet in Meppen zum späteren Veranstaltungsort geschleust. Ursprünglich sollte das konspirativ durchgeplante Neonazi-Treffen im niedersächsischen Fürstenau (Landkreis Osnabrück) stattfinden. Doch anders als nun im Landkreis Emsland intervenierten die Behörden im Landkreis Osnabrück erfolgreich. Daraufhin wichen die Neonazis nach Lingen aus.

Von Meppen aus wurden dann ein Großteil der Teilnehmerinnen / Teilnehmer über die B 70 ins etwa 20 Kilometer entfernte Lingen geschleust.

Wartende Neonazis am Schleusungspunkt in Meppen.

Neben dem Auftritt mehrerer Liedermacher der Neonazi-Szene wurde die Veranstaltung im Vorfeld mit einem Auftritt der verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck (hier links im Bild) beworben.

Die notorische Holocaust-Leugnerin war erst vor einigen Tagen mit einem Berufungsantrag vor Gericht gescheitert. Das Oberlandesgericht Celle in Niedersachsen entschied, Haverbecks Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung nicht aufzuheben. Die 89-Jährige war dazu Ende August 2017 wegen Volksverhetzung in acht Fällen verurteilt worden.

Auf den Auftritt Ursula Haverbecks mussten die angereisten Neonazis jedoch verzichten. Auf Grund ihres anstehenden Haftantritts erhielt Frau Haverbeck eine Meldeauflage der Kreispolizeibehörde Herford bezüglich "Maßnahmen zur Verhütung von Straftaten im Zusammenhang mit einem Vortrags- und Balladenabend der rechtsextremistischen Szene im Bereich West-Niedersachsen am 24.02.2018". Aus diesem Grund wurde Frau Haverbeck, unter Androhung eines Zwangsgeldes angehalten, sich am Samstag um 18 Uhr und auch um 21 Uhr persönlich auf der Polizeiwoche Herford einzufinden. Somit musste Ursula Haverbeck den Ort des Geschehens im Gasthof Brögber wieder verlassen.

Der Organisationskreis der Veranstaltung begann ab circa 13 Uhr mit den Vorbereitungen innerhalb der Räumlichkeiten. Anwohner berichteten das "dies auch dringend notwendig" sei. Die Innenräume seien, ähnlich wie der Sanitärbereich, in einem "katastrophalen und verheerenden" Zustand. Auch seien nach Auskunft von Anwohnerinnen / Anwohner die Brandschutzvorkehrungen quasi nicht vorhanden.

Dies hinderte die Neonazis jedoch nicht die Räumlichkeiten für sich in Beschlag zu nehmen. Interessanterweise schien der Zustand des Gebäudes bei den zuständigen Behörden auf nur wenig Interesse zu stoßen. So konnte die Veranstaltung nahezu reibungslos durchgeführt werden.

Teilnehmer aus dem Kreis Steinfurt vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung.

Für die Teilnehmerinnen / Teilnehmer wurde im Vorfeld ein striktes Fotografierverbot ausgegeben. Ein als "Spende" deklariertes Eintrittsgeld wurde ebenfalls erhoben.

Als einer der Hauptorganisatoren des nun in Lingen durchgeführten Neonazi-Konzerts gilt Andre Lüken (Bildmitte) aus Lingen. Die Gruppe um Lüken trat dabei unter der Bezeichnung "Amsivaren" in Erscheinung. Bereits im September 2017 organisierte dieser Kreis eine ähnliche Veranstaltung.

Neben dem Auftritt von Ursula Haverbeck war der Auftritt der Liedermacher "F.i.e.L" (Mecklenburg-Vorpommern), "Zeitnah" (Thüringen) und der Sänger der Nazi-Rockgruppe "Nahkampf" (Bremen) angekündigt.

Am Aufbau war auch Nils Budig beteiligt. Budig zeichnet seit einiger Zeit für das, dem neonazistischen Hammerskin-Netzwerk zugerechnete Label "Wewelsburg Records" verantwortlich.

Ein Teil des Organisationskreises um Andre Lüken (links im Bild).

Auch aus Goslar reiste eine Delegation Neonazis nach Lingen. Diese nutzten die Veranstaltung um mittels eines Infostandes für den so genannten TDDZ ("Tag der Deutschen Zukunft"), einer in Goslar geplanten Neonazi-Demonstration zu werben.

Anreisende Teilnehmerinnen / Teilnehmer wurden zeitweise durch die Polizei kontrolliert. Die Polizei spricht in einer Pressemitteilung von einem "deutlich spürbaren Abschreckungseffekt", der durch die Polizeipräsenz ausgelöst wurde. Ein "Abschreckungseffekt" der nach Ansicht der Polizei Lingen dazu führte, dass deutlich weniger Teilnehmerinnen / Teilnehmer an der Veranstaltung teilnahmen. Auch seien die Personalien "sämtlicher" Teilnehmerinnen / Teilnehmer festgestellt.

Die Realität sah jedoch anders aus: Ab circa 17 Uhr zogen sich die Polizeikräfte weitestgehend zurück. Eine Personalienfeststellung fand nicht mehr statt, ein "Abschreckungseffekt", wenn es ihn den gegeben hatte, war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr sichtbar. Dies macht sich auch an dem Umstand bemerkbar, das etliche Teilnehmerinnen / Teilnehmer erst ab diesem Zeitpunkt anreisten und die Strategie der Polizeiführung dadurch unterliefen.

Neonazis der Splitterpartei "Die Rechte" während ihrer Anreise in Lingen.

Bevor diese die Veranstaltungsräume im Gasthof Brögber betreten konnten, betraten sie das Gebäude fälschlicherweise durch einen nicht gesicherten Nebeneingang aus dem sie sich jedoch schnell wieder entfernen mussten.

Rechts: Sascha Krolzig: Landesvorsitzender der Partei "Die Rechte" in Nordrhein-Westfalen. Der Neonazi war erst am vergangenen Donnerstag in Bielefeld wegen antisemitischer Beleidigungen zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Im Mai sieht sich Krolzig erneut einem Gerichtsverfahren gegenüber: Ihm wird versuchte gefährliche Körperverletzung, Volksverhetzung sowie das Verwenden von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen vorgeworfen.

Zur Reisegruppe des "Nahkampf"-Sängers aus der Region Bremen gehörte auch dessen Bruder, der langjährige Neonazi-Funktionär Henrik Ostendorf.

Der "Nahkampf"-Sänger Hannes Ostendorf während der Anreise. Ostendorf schien nur wenig an Aufmerksamkeit interessiert gewesen zu sein.

Hannes Ostendorf im neuen Outfit: diesmal mit Bart.

Auf mitgeführten Kisten, in denen Verkaufsartikel der Band "Nahkampf" transportiert wurden, prangte das Statement "Taten statt Worte". Dabei handelt es sich einerseits um ein gleichnamiges Lied der Band auf einem Sampler des in Deutschland verbotenen Netzwerkes von "Blood and Honour". "Taten statt Worte" lautete auch die erste Zeile im Bekennervideo des im November 2011 enttarnten "Nationalsozialistischen Untergrunds" - kurz NSU.

Das massive Aufgebot der Polizei, inklusive des Kriminaldienstes Lingen, welche zeitweise Personalkontrollen auf dem Parkplatz des Gasthofes durchführte, unterließ es jedoch die mitgeführten Kisten zu kontrollieren und zum Beispiel auf indiziertes Liedgut zu überprüfen.

Auch Teilnehmer aus den Niederlanden steuerten den Gasthof Brögber in Lingen an.

Das Thüringer Rechtsrock-Duo "Zeitnah" um Tommy Brandau aus Gotha.

Neonazis aus Wuppertal werden von der Polizei kontrolliert.

Gegen 17.00 Uhr verließen die eingesetzten Polizeikräfte den Parkplatz des Gasthauses. Auch die in Zivil eingesetzten Kriminalbeamten verließen kurze Zeit später das Anwesen. Nachdem ein Großteil der Polizei abgezogen war, beeilten sich die angereisten Neonazis ihre außerhalb geparkten Fahrzeuge auf den Gebäudeparkplatz zu bekommen.

Ein Kontrolle anreisender Neonazis fand nun nicht mehr statt (wie zum Beispiel bei dem Neonazi-Aktivisten Andreas Hackmann aus Bremen).

Polizeifahrzeuge positionierten sich in den Abendstunden jedoch einige hundert Meter entfernt vom Gebäudekomplex und beobachteten das Treiben der Neonazis nur aus der Ferne. Medienvertreterinnen / Medienvertretern wurde durch die Einsatzleitung nahegelegt sich nicht am Ort des Geschehens aufzuhalten, da dies zu "Provokationen" führen würde.

Letztlich konnten die Veranstaltung aus Sicht der angereisten Neonazis weitestgehend unbeschadet durchgeführt werden. Neonazi-Musik und Parolen waren dabei weithin zu hören. Da es jedoch keine Beschwerden von Anwohnerinnen / Anwohnern gab, bestand aus Sicht der Polizeiführung keine Außenwirkung. Ab 23 Uhr verließen dann die ersten Teilnehmerinnen / Teilnehmer den Veranstaltungsort.

Die Veranstalterinnen / Veranstalter um Andre Lüken dürften das Vorgehen der Polizei Lingen als Einladung wahrnehmen, auch zukünftig entsprechende Veranstaltungen in der Region durchzuführen. Erst im September 2017 wurde ein ähnlich gelagerter Vortrags- und Liederabend im Emsland durchgeführt bei dem es inhaltlich um die ideologische Verklärung des Hitler Stellvertreters Rudolf Heß ging.


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