WebWecker Bielefeld ,
16.03.2005 :
Dorfpunk im Kamp
Am Samstag las Rocko Schamoni im JZ Kamp aus seiner Biografie "Dorfpunks". Karl Mosh und Nikita Kruschow waren dabei.
Der rote Vorhang der Bühne des JZ Kamps bleibt zugezogen. Der Star des heutigen Abends braucht nicht viel Platz für seinen Auftritt. Ein rustikal-gemütlicher Sessel neben einer Stehlampe mit hässlichem Lampenschirm und ein kleines, rundes Tischchen mit einer schwarzen Tischdecke darauf genügen Rocko Schamoni für seine Lesung. Natürlich dürfen sein aktuelles Buch "Dorfpunks" und ein paar Flaschen Bier nicht fehlen. Bevor er loslegt, gibt er noch Anweisungen: Die Nichtrauer nach links, die Raucher nach rechts und immer wenn er ein Bier trinkt, kriegt das Publikum auch eins. "Aber bitte teilen."
Außerdem klärt er das Publikum auf: "Es handelt sich um eine Drogenlesung" und mahnt gleichzeitig zur Vorsicht: "Es sind viele Bullen im Raum. Ich habe sie eingeladen denn was ist schon eine Lesung ohne Bullen?" Es sind viele Leute gekommen um Schamonis Humor mit dem Punkrockfaktor zu lauschen. Die meisten kennen ihn wahrscheinlich nicht nur als Autor von "Dorfpunks", einer Biographie seiner Teenagerzeit im schleswig-holsteinischen Schmalenstedt, sondern auch als Musiker und Comedian beim "Studio Braun". Auch mit seinem ersten Buch "Risiko des Ruhms" hat er bewiesen das er etwas von niveauvoller Witzemacherei versteht.
Als der Punk Anfang der Achtziger aus England aufs Festland schwappte, war Rocko Schamoni gerade am Ende seiner Kindheit. Die erste Stelle, die Schamoni vorliest, handelt vom "Motor Langeweile". Am Anfang steht der Wusch, einfach "irgendeine Scheiße bauen". Später erst werden aus Hardrock- und Mofafreaks schließlich Punks. Diese erleben in ihrem Kaff und drum herum allerhand spannende Dinge. Egal ob es um die Auseinandersetzungen mit den Bauernprolls oder mit den "Bullen" geht, ob der erste Besuch in der Dorfdisco ansteht oder das erste mal nach Berlin-Kreuzberg getrampt wird: Rocko Schamoni schafft es mit seinem Gespür für lustige Anekdoten aus seiner Jugend sowie dem schriftstellerischen Können, sie noch zig Jahre später in richtige Worte zu verpacken und galant aneinander zureihen. Nebenbei gelingt es ihm durch die kritische Selbstironie und die Ehrlichkeit mit der er seine wilden Jahre zwischen zwölf und neunzehn rückblickend betrachtet, eine Ahnung davon zu vermitteln warum Teile der sogenannten "No-future"-Generation so gefühlt und gedacht haben.
Interview: Karl Mosh
WebWecker: Du bist gerade auf Tour. Wie viele Lesungen hast Du schon hinter Dir?
Schamoni: Das ist jetzt die fünfte auf dieser kurzen Tour. Ich gehe aber fast jeden Monat vier, fünf Mal lesen. Von diesem Buch habe ich jetzt circa 15 Lesungen gemacht. Es kommen aber noch einige. Bielefeld ist ein Punkt auf der langen Strecke. Ich habe aber schon diverse Male hier gespielt und freue mich auch dieses Mal wieder auf das am Anfang oft etwas phlegmatische Bielefelder Publikum, was manchmal erst spät dann aber heftig kommt.
WebWecker: Du schreibst Teile deiner Jugend nieder und damit werden Tausende von Leuten für ein paar Lesestunden gut unterhalten. Macht es dir nichts aus, die Erfahrungen und Abenteuer deiner Jugend, die dir wahrscheinlich sehr wichtig sind und dein späteres Leben scheinbar stark geprägt haben, dem gelangweilten Publikum zum kurzlebigem Amüsement anzubieten?
Schamoni: Die Leute sind ja nicht gelangweilt, sondern sie kommen, weil es sie interessiert. Vor allem geht es in dem Buch um die Beschreibung von Tristesse in der Provinz und es gibt eine Menge von Leuten die sich darin wiedererkennen und diese Tristesse auch in ihrem Leben feststellen. Ich kriege viele mails von jungen Leuten, die gerade selber irgendwo auf dem Land in einem Nest fest hängen. Die meinen, genau das was in diesem Buch steht, erleben sie jetzt, zwanzig Jahre später in ihrem Leben. Insofern habe ich gar kein Problem damit das so zu präsentieren.
WebWecker: In letzter Zeit war zu beobachten, dass Leute, gerade mal mit Mitte dreißig, anfangen Biografien zu schreiben. Das ist für eine Biografie ja schon ein bisschen jung. Hast du eine Idee wie das zu erklären ist?
Schamoni: Ich weiß auch nicht genau wo das herkommt. Es hat, glaube ich, etwas damit zu tun das diese Achtziger Jahre-Generation gerade in dem Alter angekommen ist, wo sie anfangen zu schreiben und auch schreiben können. Musikalisch und in der Mode wird das ganze gerade ja auch total recycelt. Es gibt gerade ein Interesse an dieser Zeit. Außerdem war das mit dem Buch auch gar nicht meine Idee sondern mein Verlag hat mich gefragt, weil sie die Geschichten von mir kannten und sie gut fanden. Ich finde eine Biografie zu schreiben ist nichts weltbewegendes. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass sie sich gut verkauft und die Lesungen gut besucht werden. Geschrieben habe ich es in erster Linie für meine Freunde die immer noch auf dem Land sitzen. Es gibt eine Menge von Achtziger-Biografien wie zum Beispiel "Verschwende deine Jugend" oder "Herr Lehmann". Die berichten immer von der Großstadt und von bekannten Leuten die da coole Sachen erleben. Ich dachte, man müsste mal vom Gegenteil berichten: Also von der Provinz und von der Kleinheit der Dinge. Ein Großteil der Punkrockbewegung hat in den Achtzigern auf dem Land gesessen. An einer Bushaltestelle und hat dort gewartet das man da endlich wegkommt und für die ist dieses Buch.
WebWecker: Du schreibst, du warst Roddy Dangerblood bis du neunzehn warst. Dann wurdest du Rocko Schamoni und vorher hattest du einen bürgerlichen Namen. Gab es da konkrete Wendepunkte in deinem Leben? Und warum sind Namen als Identität überhaupt so wichtig?
Schamoni: Der Name, den ich hatte und den ich nicht gut fand war quasi das Aushängeschild meiner Familie und einer Gesellschaft die ich damals total öde fand. Ich habe mir einen neuen Namen gegeben, um klar zu machen, dass ich nicht mehr in der Gesellschaft in die ich reingeboren bin, leben will. Der neue Name sollte ausdrücken, ich bin jetzt jemand anders. Ich bin jetzt von mir selbst erfunden und von mir selbst erschaffen. Das zeigt auch der idiotische Quatschbegriff "Roddy Dangerblood". Das war eine bewusste Abkehr von der Normalität und der andere Name, den ich jetzt habe, war noch mal ein Schritt weiter um mich ganz und gar von meiner alten Identität zu lösen.
WebWecker: Bist durch diesen Namenswechsel jetzt von Deiner Identität gelöst und hast damit abgeschlossen?
Schamoni: Auf eine gewisse Art und Weise ja. Dieser bürgerliche Name war ein Name mit dem mich Leute heranzitiert haben, die Macht über mich hatten. Der Name den ich jetzt habe taucht in keinem Ausweis auf und ist bei keiner Behörde geführt, ist also wenn man so will ein freier Name. Wenn ich Post von der Behörde bekomme, dann kriege ich die immer noch unter dem alten Namen und gehe dann auch mit dem alten Namen dahin. Aber eigentlich bin ich ein anderes Wesen das mit diesem bürgerlichen Namen nichts zu tun hat. Ich bin natürlich trotzdem noch verfügbar für Leute, die an mich ran wollen. Aber die meisten Menschen kennen mich unter meinem selbstgeschaffenen Pseudonym.
WebWecker: Also hat es sehr viel mit Selbstbestimmung zu tun?
Schamoni: Total, genau.
WebWecker: Die Berliner Band Mia hat probiert den Pop zu nationalisieren. Jetzt ist die ganze Diskussion um die Deutschquote im Radio entbrannt.
Schamoni: Ich glaube, dass das im Fall von Mia unreflektierter Romantizismus war. Ich denke nicht, das sie ernsthaft reaktionär sind, sondern da sehr einfach denken. Ich verstehe wenn man sagt, das man sich nicht permanent dafür schämen will das man deutsch ist. Ich benenne aber gar nicht das ich deutsch bin. Das ist mir total egal. Ich habe damit keine Probleme. Die Idee zu sagen: "Ich möchte aber betonen dürfen, das ich Deutscher bin", finde ich sehr naiv, um nicht zu sagen dumm. Mia hat Geister beschworen die sie nun mit sich rumschleppen. Das ist mir bei denen aber total egal weil mir die Band auch total egal ist. Die meisten Leute die jetzt mit dieser Debatte zu tun haben, wo es zum Beispiel um die Deutschquote im Radio geht, distanzieren sich ganz selbstverständlich davon. Ich auch obwohl ich auch davon betroffen wäre. Wenn es mehr deutsche Musik im Radio gebe, dann würde es mehr deutsche Scheiß-Musik im Radio geben. Die eigentliche Forderung müsste einer Qualitätsquote sein. Es müssten mindestens fünfzig Prozent gute Songs gespielt werden. Und wer soll das entscheiden was die gute Musik ist?
WebWecker: Du!
Schamoni: Ich habe mich auch schon angeboten. Es sollte zumindestens dreißig bis vierzig Prozent Independent Musik sein, die im Radio gespielt wird. Damit die Leute nicht immer nur Drecksfraß vorgesetzt bekommen, sondern etwas was sie anspricht und auch zum denken anregt und was sie mit ihren Hörgewohnheiten anders umgehen lässt.
WebWecker: Du hast ein Lied, in dem du singst "Du wählst CDU, darum mache ich Schluss mit dir." Stehst du immer noch zu dem was du damals gesagt hast?
Schamoni: Dieser Song ist in erster Linie nicht ein Song gegen die CDU. Mir ging’s erst mal darum, das man den Namen einer Partei nennt der total banal klingt. "Du wählst CDU und darum mach ich Schluss mit dir" klingt sehr banal und diese Verquickung hat mich Schmunzeln lassen. Wir haben das dann auch verschiedenen SPD-Landesverbänden zum Wahlkampf angeboten. Die haben aber ganz erschreckt abgelehnt. Das war denen zu strange Ich bin selber Wahlboykoteur und glaube an den etwas banalen Spruch "Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten". Es gibt zwar Parteien die ich eher favorisieren würde als andere. Letztendlich müssen wir aber gemeinsam auf die Revolution warten.
WebWecker: Du würdest also sagen es wäre kein Trennungsgrund wenn die Person CDU wählt oder sogar in der CDU engagiert ist?
Schamoni: Das wäre es auf keinen Fall. Ich glaube nicht das die Parteizugehörigkeit etwas über die Qualität eines Menschen aussagt. Wenn ich jetzt rausbekommen würde, das meine Freundin CDU-Wählerin ist, wäre ich erst mal total konsterniert und dann würde ich vielleicht selber in die CDU eintreten. Nein ich glaube, ich würde versuchen sie vom Gegenteil zu überzeugen.
WebWecker: "Wir warten auf die Revolution" hast du gesagt. Aber solange wir warten wollen wir, und vielleicht auch unsere Leser, Karriere machen. Hast du ein paar Tipps?
Schamoni: Ich halte Karriere für einen sehr fragwürdigen Begriff. Er bedeutet in irgendetwas erfolgreich zu sein. Erfog ist ein Begriff, der in dieser Gesellschaft eine wahnsinnig dominante und übergeordnete Rolle spielt. Nur jemand der erfolgreich ist, hat quasi eine Berechtigung in dieser Gesellschaft zu sein und anerkannt zu werden.
WebWecker: Und wie wird man dann Rockstar?
Schamoni: In dem man sich was ausdenkt worauf keiner bis dato gekommen ist. Man muss sich eine sonderbare eigene Idee ausdenken, wenn man denn unbedingt Rockstar sein will, ganz im Gegenteil zu den Leuten die in diese abgefuckten Carstings-Shows gehen. Er muss sich selber durchleuchten und begreifen: Was ist an mir eigentlich speziell und außergewöhnlich und wo kann ich dran feilen das es noch außergewöhnlicher wird. Der Begriff Künstler passt mir aber besser als Rockstar.
Das ganze Interview mit Rocko Schamoni ist am Dienstag, den 5. April, um 20.04 Uhr im AJZ-Radio auf der Frequenz von Radio Bielefeld zu hören.
Das Label von Rocko Schamoni findet sich unter http://www.nobistor.net
Das Buch "Dorfpunks" ist 2004 im Rowohlt-Verlag als Taschenbuch erschienen: 208 Seiten kosten 11 Euro. ISBN 3-499-23618-4.
webwecker@aulbi.de
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