WebWecker Bielefeld ,
16.03.2005 :
Anstieg rechtsextremer Straftaten
Wie in ganz Nordrhein-Westfalen stieg die Zahl rechtsextremer Straftaten im vergangenen Jahr auch in Ostwestfalen-Lippe. Dies zeigt die Jahresbilanz 2004 "Polizeilicher Staatsschutz", die Polizeipräsident Erwin Südfeld und der Leiter der Staatsschutzabteilung, Dirk Butenuth, am Dienstag vorstellten.
Von Mario A. Sarcletti
Die gute Nachricht der am Dienstag vorgestellten Jahresbilanz 2004 der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Bielefeld lautet, dass die Zahl politisch motivierter Straftaten gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken ist. Außerdem wurden mit gut vierzig Prozent der 235 Straftaten im vergangenen Jahr mehr aufgeklärt als 2003, als nur ein knappes Drittel der 241 Fälle gelöst werden konnten.
Bei der Vorstellung der Jahresbilanz warnte Polizeipräsident Erwin Südfeld aber vor einer vorschnellen Interpretation der "relativ niedrigen absoluten Zahlen". "Ein bis zwei Straftaten können das Bild ändern", erklärte Südfeld bei einer Pressekonferenz. Die Zahlen könnten zudem nur mit dem Vorjahr verglichen werden. Der Grund ist, dass seit 2003 ein bundeseinheitliches Bewertungssystem die Vergleichbarkeit der einzelnen Bundesländer miteinander ermöglicht. Zudem wurden davor die Fälle gezählt, in denen die Polizei Ermittlungen einleitete. Die aktuelle Bilanz gibt jedoch die so genannte Ausgangsstatistik wieder, in sie fließen die Verfahren nach der Bearbeitung durch die Polizei ein.
Erwin Südfeld kommt nach diesen Erläuterungen schnell zur schlechten Nachricht. Während die Zahl der "linken" Straftaten um ein Viertel zurückging, stieg die "politisch motivierte Kriminalität rechts" im selben Ausmaß an. Auch absolut liegen die rechten Straftäter weit vorne: 30 linken Straftaten stehen 186 rechte gegenüber, die meisten sind Propagandadelikte wie Volksverhetzung oder Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Dazu zählen auch Hakenkreuzschmierereien. "Bei einem Großteil davon können wir keine Tatverdächtigen ermitteln", räumt Dirk Butenuth, Leiter des Staatsschutzes, ein.
Mit der Zunahme rechter Straftaten um 25 Prozent liegt Ostwestfalen-Lippe im Landestrend, wie der am Montag vorgelegte Verfassungsschutzbericht NRW zeigt. Landesweit nahmen diese Delikte um 23 Prozent zu. Über Gründe für die Trendwende – in den Jahren zuvor waren rechte Straftaten rückläufig – kann Erwin Südfeld nur vorsichtig spekulieren: "Wahlerfolge, wie der der NPD in Sachsen, haben sicher motivierende Funktion", vermutet er.
Als weitere Gründe für den Anstieg nennt der Bericht eine erhöhte Sensibilisierung der Bevölkerung für Rechtsextremismus und damit einhergehend vermehrte Anzeigen, sowie das bundeseinheitliche Definitionssystem, nach dem eben auch Hakenkreuzschmierereien als politisch motiviert und nicht mehr nur als Sachbeschädigung angesehen werden. "Da wurden vor allem in den Neuen Ländern politisch motivierte Straftaten wegdefiniert", erklärt Butenuth die Intention der Innenministerkonferenz bei dem Beschluss für das neue Meldesystem 2001. Dennoch geht auch er davon aus, dass Schmierereien nur bedingt politisch motiviert sind. "Ideologisch Verfestigte machen das nicht", sagt Dirk Butenuth.
Zur Bekämpfung des Rechtextremismus setzt er vor allem auf Prävention, besonders in Schulen und anderen Jugendeinrichtungen. "Wir müssen an die Acht- bis Vierzehnjährigen ran", beschreibt er die Zielsetzung, die auch Wissenschaftler unterstützen. Die Prävention dürfe aber nicht erst dann einsetzen, wenn das Thema aufgrund herausragender Vorfälle in den Medien präsent ist, sondern müsse kontinuierlich stattfinden.
Dirk Butenuth nennt ein Beispiel: "Bei dem Schulhof-Projekt würden wir uns wünschen, dass sich die Schulen im Vorfeld damit befassen." Das Schulhof-Projekt ist der bundesweite Versuch von Rechtsextremen Jugendlichen vor Schulen eine CD mit Rechtsrock und NPD-Propaganda in die Hand zu drücken. In NRW konnte der Versuch bislang unterbunden werden. Das Scheitern zeigt nach Ansicht von Innenminister Fritz Behrens, "dass die Kooperation mit Polizei, Justiz und Schulen den Verfassungsfeinden erfolgreich Paroli bietet, auch wenn diese neue Strategien anwendet".
Für Prävention zu spät ist es bei den "Exemplarischen Einzelfällen", die der Staatsschutzbericht näher beleuchtet. Im November wurde in Bad Oeynhausen der "Europäische Darstellungsverein für Lebendige Geschichte" ausgehoben. Der Verein, der bundesweit Mitglieder hatte, stellte in Tschechien und der Slowakei in Originaluniformen und mit Waffen, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterliegen, Schlachten nach. "Der Haupttatverdächtige und dessen näheres Umfeld identifizierten sich primär mit der früheren "Leibstandarte SS Adolf Hitler" und stehen ideologisch den Ideen des Nationalsozialismus nahe", beschreibt die Jahresbilanz die Gedankenwelt der Beschuldigten.
Zum Teil ist die ostwestfälische rechtsextreme Szene auch national präsent. Dirk Butenuth berichtet von einer bundesweiten Reisetätigkeit. So nahmen NPD-Anhänger und Angehörige der Kameradschaft Weserbergland am 1. Mai an Demonstrationen in Berlin und Leipzig teil. Auch beim Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel waren ostwestfälische Rechtsextreme präsent. Der Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß war der Szene auch regionale Aktionen wert: In Minden und Bad Salzuflen tauchten entsprechende Plakate auf, an einem Brückengeländer in Rheda-Wiedenbrück prangte ein Transparent "In Gedenken an Rudolf Heß". Am Gedenkmarsch selbst nahmen etwa vierzig Ostwestfalen teil.
Mit dabei auch Ursula Haverbeck vom Collegium Humanum in Vlotho. "Mit dem Collegium gibt es sicher ein größeres Problem, seit Horst Mahler dort verstärkt zu Gast ist", erklärt der Leiter des Staatsschutzes. Gegen die Seminare dort habe seine Behörde keine rechtliche Handhabe, da es sich um private Räumlichkeiten handle. "Es tut uns auch leid, ich hätte es auch lieber, wenn es den Treffpunkt nicht gebe", sagt Dirk Butenuth, der weiß, dass sich dort Revisionisten tummeln.
So gründeten Mahler und andere im November 2003 im Collegium den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten". In der von dem ehemaligen RAF- und späteren NPD-Anwalt verfassten Gründungserklärung heißt es, "dass in allen Erdteilen Menschen redlicher Gesinnung den Holocaust im Sinne einer systematischen Vernichtung der europäischen Judenheit durch die Regierung des Deutschen Reiches bezweifeln". Das daraufhin eingeleitete Verfahren gegen Mahler wurde am 21. April 2004 eingestellt, "da zugunsten des Beschuldigten von der Staatsanwaltschaft nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Verfasser die Bestrafung der Holocaust-Leugnung nicht für berechtigt hält", so die Staatsschutzbilanz. Zudem erfülle die Äußerung von Zweifeln das Merkmal "Leugnen" nicht, zitiert die Bilanz eine juristische Quelle.
Neben politisch motivierter Kriminalität von rechts und links ist die von Ausländern der dritte Aufgabenbereich der Staatsschutzabteilung, elf Delikte zählte sie 2004. Der Staatsschutz hat dennoch in dem Bereich viel zu tun: "Islamistischer Terrorismus ist eine Schwerpunktaufgabe, wir haben jedoch aktuelle keine Strafverfahren", erklärt Dirk Butenuth, der aber keine aktuelle Gefährdung für die Region sieht. Etwa zwanzig der rund zweihundert Moscheen in der Region werden als extremistisch eingeschätzt, die Hälfte davon wird von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs betrieben. "Auch die begehen keine Straftaten, aber sie wollen zum Beispiel einen Gottesstaat errichten", beschreibt Dirk Butenuth, was an der Vereinigung extremistisch ist.
Im Bereich islamischer Extremismus wurde die Region im vergangenen Jahr durch den Fall Steven Smyrek bekannt. Der im Rahmen eines Gefangenenaustauschs aus israelischer Haft entlassene Hisbollah-Kämpfer lebte von Anfang Februar bis Juni in Detmold. "Wir haben ihn rund um die Uhr überwacht", beschreibt Erwin Südfeld die Folgen für seine Behörde. Die waren auch teuer: Mehr als eine halbe Million Euro kosteten die Maßnahmen.
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