Westfalen-Blatt ,
15.03.2005 :
"Hitlers Bombe" teilentschärft / Wissenschaftler bescheinigen Autor Rainer Karlsch wichtige Erkenntnisse
Von Ulrike Leszczynski
Berlin (dpa). Die These klingt nach Zündstoff: Nazis bauten die Atomwaffe, schreibt Rainer Karlsch in "Hitlers Bombe".
Es klingt wie das Drehbuch für einen Horror-Kriegsfilm: Was wäre, wenn Hitler die Atombombe gehabt hätte? Glaubt man Historiker Karlsch, Jahrgang 1957, ist dieses Szenario kein Hirngespinst. "Deutsche Wissenschaftler waren es, denen im Herbst 1944, ein Dreivierteljahr vor den Amerikanern, die Freisetzung der Kernenergie gelang", schreibt er. Die "Mini-Atombombe", die sie für Hitler bauten, sei erfolgreich getestet worden - im März 1945 in Thüringen. 500 Häftlinge seien dabei ums Leben gekommen.
Karlsch könne seine spektakulären Thesen nicht beweisen, hieß es zunächst. Es fehlten glaubhafte Belege fiir deutsche Atomwaffentests. "Die NS-Forschung ging in Richtung einer einsatzfähigen Kernwaffe", verteidigte sich Karlsch gestern. "Atomgranate" nennt der Autor seine Entdeckung.
"Rainer Karlsch ist kein Spinner", betont Dieter Hoffmann, Forscher beim Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. "Er hat in seinem neuen Buch wichtige Mosaiksteine für die Forschung zusammengetragen. Und er ist auch der erste, der durch große Zähigkeit russische Quellen aufgeschlossen hat."
Doch bei der Hauptthese von "Hitlers Bombe" will Hoffmann nicht mitgehen. "In Deutschland wurde 1938/39 die Uranspaltung entdeckt. Dass hier in den 40er Jahren auch die erste Atombombe gezündet wurde, erscheint mir nach wie vor als unglaubwürdig."
Gerd Fußmann, Physiker an der Berliner Humboldt-Universitat, ist auch nicht völlig überzeugt. "Man weiß einfach nicht, wie die deutsche Versuchs-Bombe beschaffen war, die im März 1945 in Thüringen gezündet wurde", erläutert er. "Es gibt dazu nur Aussagen von Laien und Spekulationen auf der Grundlage historischer Dokumente."
"Neu für mich ist auch, dass es im Süden von Berlin einen Kernreaktor gegeben hat."
Max-Planck-Forscher Dieter Hoffmann
Und doch hat das neue Buch den Physiker überrascht. "Neu für mich war, dass es im Süden von Berlin einen Kernreaktor gegeben hat", ergänzt er. Bodenproben ließen darauf schließen, dass dort eine Kernspaltung stattgefunden habe: "Das zeigt, dass doch mehr spaltbares Material und Kenntnisse vorhanden waren, als bislang angenommen."
Diese Erkenntnis will auch Hoffmann dem Autor nicht absprechen. Bisher habe sich Forschung über Atomwaffen der NS-Zeit stark auf den Physiker Werner Heisenberg focussiert, berichtet Hoffmann. Karlschs Verdienst sei es, den Blick auf andere Forschergruppen zu lenken, die sich weit mehr mit Militärtechnik beschäftigten. "Die Gruppe um Kurt Diebner vom Heereswaffenamt scheint hinsichtlich der Atomwaffenentwicklung weiter gewesen zu sein, als man bisher glaubte", ergänzt Hoffmann.
Physikalisch aber gibt das, was diese NS-Atomphysiker als Waffe erdachten, weiter Rätsel auf. Denn selbst für eine "Mini-Atombombe" braucht man hochangereichertes Uran 235. "Heutige Bodenproben lassen den Schluss zu, dass es den NS-Forschern wirklich gelungen ist, 10 Prozent angereichertes Uran 235 herzustellen", sagt der Physiker Fußmann. Es seien aber 80 Prozent Anreicherung nötig für eine Atombombe, wie sie Hiroshima traf.
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