Löhner Nachrichten / Neue Westfälische ,
14.03.2005 :
Unter Trümmern begraben / Friedhelm Kuhlmann und Fritz Fischer erlebten gemeinsam und doch getrennt den Bombenangriff
Von Ulf Hanke
Löhne. Gegen Mittag legten die beiden Lehrlinge Hobel und Säge zur Seite. Für heute hatten sie genug gearbeitet. Am Nachmittag mussten sie nur noch für ein paar Stunden die Schulbank drücken. Also zogen sich Friedhelm und Fritz noch rasch kurze Hosen an, bevor sie sich auf den Fußmarsch von Löhne-Ort nach Löhne-Bahnhof machten, zu ihrer Berufsschule in die Königsstraße. Kaum waren die beiden Freunde dort angekommen, brach über ihren Köpfen die Welt zusammen. Die Falscheider Jungs Friedhelm Kuhlmann und Fritz Fischer haben den Bombenangriff auf Löhne vom 14. März 1945 im Zentrum der Zerstörung überlebt.
Die Schule der Tischlerlehrlinge stand nicht weit entfernt von der Mahnener Kirche (heute: AWO-Haus). Auf der anderen Straßenseite war die Möbelfabrik Siekmann. Inhaber Heinrich Siekmann war zugleich ihr Lehrer und Ausbilder. Das Gebäude der Möbelfabrik gibt es heute noch (Reitsport Rösler) und die beiden Tischler stehen, fast 60 Jahre nach dem Bombenangriff, davor. "Es sieht noch genauso aus wie damals", sagt Friedhelm Kuhlmann und fängt an zu erzählen:
In kurzen Hosen standen die beiden damals vor der Lehrwerkstatt. Aber sie hatten die Türklinke noch nicht in der Hand, da stürmte ihr Lehrer Siekmann aus dem Holzschuppen der Möbelfabrik und rief: "Starke Kampfverbände im Anflug auf Heinrich Siegfried fünf!" Und alle wussten: Jetzt fliegen wieder Bomber über Löhne.
Der Lehrer erkannte die Jungs und schickte einen, den Fritz, rüber ins Schulgebäude, um den Schlüssel für den Luftschutzkeller der Schule zu holen. Fritz Fischer rannte also los, rauf in den ersten Stock, nahm den Schlüssel vom Haken im Schulbüro und flitzte die Treppenstufen wieder herunter.
Doch die Bomber waren schneller. Kaum war Fritz in der Schule verschwunden, hörte Friedhelm Kuhlmann schon das tiefe Brummen. "Die kamen vom Wittel her", erinnert sich der 76-Jährige und zeigt in die Luft. Die Flugzeuge flogen tief, waren gut zu erkennen. Irgendwer rief: "Angriffszeichen!" und: "Bomben!" Kleine schwarze Punkte rieselten aus den Flugzeugen. Für den Luftschutzkeller unter der Schule war es zu spät. Also stürzte der 15-jährige Schüler mit seinem Lehrer in den Maschinenraum der Möbelfabrik. Aus dem Kellerfenster nach hinten konnte Friedhelm Kuhlmann die Bomber erkennen. Sie kamen immer näher, aus den Flugzeugen fielen Bomben wie am Schnürchen, sie fielen auf das freie Feld, auf den Garten, rasend schnell kamen die Einschläge immer dichter zur Möbelfabrik und zum Kellerfenster von Friedhelm Kuhlmann. Eine Bombe explodierte vor der Fabrik, eine auf der Straße zwischen Fabrik und Schule – und die nächste traf das Schulgebäude.
Lehrer Siekmann war der erste, der wieder halbwegs zur Besinnung kam. "Friedhelm", sagte er zu seinem Lehrling, "lauf zur Schule und schau nach Fritz!" Ja, was war mit Fritz? Aus dem Kellerfenster konnte Friedhelm Kuhlmann nur nach hinten in den Garten und aufs freie Feld schauen. Die Schule aber war auf der anderen Seite.
"Ich hatte den Schlüssel in der Hand", erzählt Fritz Fischer. Wie der geölte Blitz ist er die Treppen wieder runtergelaufen. Mit einem Fuß war er gerade aus der Tür, als es auch schon krachte. Volltreffer. Eine Bombe durchschlug den Dachstuhl der Berufsschule und explodierte. "Ich bin übers Feld gelaufen bis zum Bunker", berichtet Fritz Fischer und zeigt die Humbold-Straße hinunter. Die Treppe zum Bunker hat der 15-jährige Fritz Fischer mit einem Hechtsprung genommen, ringsherum fielen ja noch Bomben. Dabei hat er sich den Fuß verknackst.
Friedhelm Kuhlmann kam aus dem Keller, sah die fast zerstörte Schule und dachte natürlich, sein Freund Fritz läge unter den Trümmern. Die Fassade des Hauses stand noch, vielleicht hatte er sich retten können, unter Trümmern überlebt? Also lief Friedhelm durch die Tür. Und wieder krachte es. Die Fassade gab nach, die Wände der Schule stürzten ein, ein riesiger T-Träger fiel dem Tischlerlehrling direkt vor die Füße, stürzenden Steine begruben den 15-Jährigen unter sich. "Nur mein Kopf und mein linker Arm ragten noch raus", erzählt Kuhlmann.
Zwei Eisenbahner, die im Dachgeschoss wohnten und sich vor der Bombe hatten retten können, zogen ihn aus den Trümmern. Er war unverletzt. "Zu dritt sind wir übers freie Feld gelaufen, zu dem Luftschutzbunker", erzählt Friedhelm Kuhlmann und zeigt auch die Humbold-Straße hinunter.
Dort haben sie sich getroffen. Der Fritz mit dem verstauchten Fuß und der halbverschüttete Friedhelm. Die beiden Tischlerlehrlinge haben den Bombenangriff auf Löhne im Zentrum der Zerstörung überlebt. "Auf der Bülte brannte fast jedes Haus", erinnert sich Friedhelm Kuhlmann. Sie sind dann raus aus dem Bunker, nach Hause gelaufen und haben sich im heutigen Schützenhaus im Dickendorn versteckt, aus Angst, die Bomber könnten noch einmal zurück kommen.
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