Lippische Landes-Zeitung ,
12.03.2005 :
"Reichstrunkenbold" in der Waldgaststätte / NSDAP-Größe Dr. Robert Ley soll gegen Kriegsende in der Leopoldstaler "Silbermühle" residiert haben
Von Ulrich Pfaff
Horn-Bad Meinberg/Leopoldstal. Dr. Robert Ley gilt als einer der fünf mächtigsten Männer des Dritten Reiches. Und ausgerechnet so jemand soll in den letzten Tagen bevor die Amerikaner in Lippe einmarschierten, in Leopoldstal untergekrochen sein? Wenn man einer privaten Quelle Glauben schenken kann, war es so. Aber war Ley nun wirklich dort oder war er es nicht? Die Suche nach Informationen gleicht der nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Der bekannte Hornsche Künstler Robert Henckel war es, der am 13. November 1945 an seinen Freund August Gotzes in Neuss schrieb und die Ereignisse gegen Kriegsende schilderte. "Da war dann der Dr. Ley. Der hatte sein Hauptquartier in der Silbermühle aufgeschlagen mit großem Gefolge und Bedeckung, die in Zelten kampierte. Der "große Mann" gab Nachricht nach Horn, die Tischler möchten kommen und sein Konferenzzimmer vertäfeln. Als der Befehl nicht ausgeführt wurde, schickte er nochmals. Aber die Tischler ließen sagen, Türen und Fenster seien notwendiger als Konferenzzimmer." Letzteres begründet dadurch, wie Henckel festhielt, dass mit Beginn des Jahres 1945 die Fliegerangriffe auch in Horn und Umgebung immer heftiger geworden seien, "acht Tage vor Schluss wurden hier Bomben geworfen und fast die ganze Stadt abgedeckt und Fenster und Türen zerstört." Henckel zitiert die Wirtin der Silbermühle, nach deren Worten Ley dort gelebt habe "wie ein Fürst in Friedenszeiten".
Zweifel an dem Wahrheitsgehalt des Briefes sieht Hans-Jürgen Liesen vom Heimatverein Horn, der sich seit Jahren mit Henckel beschäftigt, nicht. Der Künstler habe sich häufig am Lippischen Velmerstot und im Silberbachtal aufgehalten, um dort seine Natur- und Tierskizzen zu zeichnen - "er muss das also vor Ort beobachtet haben". Nicht nur Henckel scheint das Treiben in der Silbermühle aufgefallen zu sein: Noch heute gibt es in Leopoldstal Menschen, die sich im Zusammenhang mit dem Kriegsende in Lippe und Leopoldstal erinnern, den Namen Ley gehört haben.
Die Aktenlage aber gibt so gut wie nichts her. Im Staatsarchiv Detmold gibt es lediglich ein Dokument: "Es wird hiermit bescheinigt, dass das Lokal Silbermühle für die Dienststelle Obersteiger beschlagnahmt ist" - am 22. März 1945 unterschrieben vom Vertreter des Chefs der Landesregierung Lippe.
"Kein Nachweis, wo Ley sich aufhielt"
Professor Ronald Smelser
Ein Indiz, dass Ley sich mit seinem Stab in der Silbermühle einquartiert hat? Möglich. Denn seit September 1944 waren zunächst Ausgebombte aus dem Rheinland dort untergebracht, ab Januar 1945 auch Wehrmachtssoldaten - was Wilhelm Schäfer, Pächter der Waldgaststätte beklagte. Er erhielt 1946 von der Landesforstverwaltung rückwirkend ab 1. Oktober 1944 eine Ermäßigung des Pachtpreises. Die Beschlagnahme deutet darauf hin, dass in der Silbermühle neue Gäste einzogen, und zwar komplett.
Denkbar, dass Ley die Örtlichkeit noch in guter Erinnerung hatte. Regelmäßig war er in Detmold zu Gast, wenn es bei den "Erinnerungstreffen der Lipper Kämpfer" galt, am 15. Januar den Tag des Wahlsiegs in Lippe zu feiern - hier hatten die Nazis 1933 eine Wahl gewonnen, die bedeutenden Einfluss auf die Machtergreifung zwei Wochen später hatte. Eine Dienststelle Obersteiger aber ist nirgendwo bekannt. Weder im Staatsarchiv, noch im Bundesarchiv in Koblenz noch im Berlin Document Center. Auch über Leys Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt ist nichts herauszufinden. Selbst sein Biograph Ronald Smelser, Geschichtsprofessor an der Universität von Utah in Salt Lake City, ist überfragt: "Ich habe keinen Nachweis, wo Ley sich Ende März/Anfang April aufgehalten haben könnte. Von einer Dienststelle Obersteiger habe ich noch nie gehört", beschied er eine Anfrage der LZ.
Fest steht jedoch, dass Robert Ley am 15. Mai in Schleching bei Kufstein in Tirol von amerikanischen Soldaten festgenommen wurde - er trug einen blauen Schlafanzug und einen grünen Jägerhut. Eine recht ungewöhnliche Erscheinung für einen Mann, der noch kurz zuvor als einer der mächtigsten Männer im Großdeutschen Reich galt - sie dürfte allerdings eher dem Bild entsprochen haben, was die Bevölkerung von Ley hatte, sofern es nicht seine großsprecherischen offiziellen Auftritte betrifft: Im Volksmund nannte man ihn auch den "Reichstrunkenbold". Ein Spitzname, der Leys reichlichen Alkoholkonsum auf den Punkt brachte.
"Ist der Wein auch gut verpackt?"
Robert Ley
Auch Henckel hat hier eine passende Begebenheit in seinem Brief geschildert: "Indes donnerten in Paderborn die Kanonen. Als die Sache zu heiß wurde, verschwand der "große Mann". Seine letzten Worte waren: Ist der Wein auch gut verpackt?"
Ley - promovierter Chemiker, radikaler Antisemit, seit 1923 NSDAP-Mitglied, später Gauleiter im Rheinland und Mitglied des Preußischen Landtags seit 1928 - hatte sich im Parteiapparat der Nazis Schritt für Schritt mehr Einfluss erkämpft, nach dem 30. Januar 1933 auch im NS-Staat. 1934 wurde er Reichsorganisationsleiter der Partei. Ley war Hitlers Mann für die Gleichschaltung der Gewerkschaften und den Aufbau der Deutschen Arbeitsfront, Chef der Organisation "Kraft durch Freude" - kurz: Herrscher über die größte Massenorganisation im Dritten Reich. Leys Macht ging mit Beginn des Krieges infolge des für die NS-Regierung symptomatischen Kompetenzgerangels zurück, aber er gehörte bis zum bitteren Ende zu Hitlers Paladinen, nicht zuletzt, weil er seinem gottgleich verehrten "Führer" treu blieb. Am 20. April 1945, zu Hitlers Geburtstag und eine Woche vor dem Untergang in Berlin, wurde Ley noch in der Reichshauptstadt gesehen.
Nach seiner Verhaftung gehörte er zu den Nazi-Größen, denen im Herbst 1945 in Nürnberg der Prozess gemacht werden sollte. Ley jedoch entzog sich der juristischen Konsequenz seiner Taten der vorhergehenden Jahre: Am 25. Oktober strangulierte er sich in seiner Gefängniszelle - mit einem zerrissenen Handtuch, seine Unterhose in den Mund gestopft.
12./13.03.2005
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