Lippische Landes-Zeitung ,
12.03.2005 :
Der Mann ohne Nation / Der Hintergrund: Elchan Kuliew ist ein "Geduldeter" in Lemgo
Lemgo (ax). 1996 hat Elchan Kuliew einen Asylantrag auf deutschem Boden gestellt. Der wurde 1998 abgelehnt. Kuliew lebt in Lemgo. Er wird "geduldet", er muss abgeschoben werden. Aber wohin? Kuliew hat keinen Pass, keine Ersatzpapiere. Er sagt, er sei Armenier, die Ausländerbehörde glaubt ihm nicht. Ohne Pass kein Reiseziel.
Das Problem ist vielschichtig. Zur Vorgeschichte: Elchan Kuliew, geboren im Mai 1968 in Armenien, verließ das Land während der Kriegswirren zwischen Aserbaidschan und Armenien. Er zog zu seinem Bruder, der in Russland lebte. Das ist seine Version der Vergangenheit. Sein Ziel: ein Pass, erstmal eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland.
Sein Status: Nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seinen Asylantrag abgelehnt hat, ist Kuliew formell ausreisepflichtig. Wenn er nicht freiwillig ausreist, darf er abgeschoben werden. Dazu werden Menschen in ein Flugzeug gesetzt und in ihr Heimatland geflogen. Heimatland, das Land, das einen Pass ausstellt. Das Problem: Kuliew hat keinen Pass, den irgendein Land dieser Welt ausgestellt hat. Derzeit wird er geduldet. Das schon seit 1999.
Die Behörden haben versucht, die Herkunft des 36-Jährigen nachzuweisen, um handlungsfähig zu sein. Vergebens. Fahrten zu Botschaften endeten ohne Ergebnis. Der Kreis Lippe als ausführende Behörde bei Asylverfahren stellte fest: Armenien schließt aus, dass Kuliew ein Armenier ist. Gleiches gilt für Aserbaidschan. Der Mann, der derzeit in Lemgo lebt, steht in diesen Ländern in keiner Statistik, in keiner Datei eines Einwohnermeldeamtes.
Jetzt fragt sich der Kreis, ob Kuliew vielleicht Russe ist. Und forscht weiter. Thomas Wolf-Hegerbekermeier, Pressesprecher beim Kreis Lippe: "Einen Pass oder ein Passersatzpapier kann nur das Land ausstellen, das Kuliew als Staatsbürger anerkennt. Und wir können ihn nicht einfach in ein anderes Land abschieben. Dann würden wir ihn ja illegal einschleusen."
Ist Kuliew also ein Georgier? Ein Ukrainer? Elchan Kuliew selbst sagt: "Nein, nein. Ich bin in Armenien geboren, ich bin wegen des Krieges geflohen, habe nur einige Zeit in Russland gelebt." Mehr als 150.000 Menschen seien in den Kriegswirren geflohen, da sei es kein Wunder, dass die Dateien nicht mehr alle Namen vorhalten. Der Anwalt von Elchan Kuliew schreibt in seinen Briefen an die Behörden: "Kuliew kann nicht nach Russland ausreisen, weil er keinen russischen Pass hat." Außerdem verschleiere sein Mandant seine Herkunft nicht. Das wiederum werfen die Behörden dem 36-Jährigen vor.
Eine Aufenthaltsgenehmigung lehnt das Ausländeramt des Kreises Lippe weiterhin ab. Kuliew wird geduldet, auch, weil er eine Fußverletzung hat, die offiziell eine Erwerbstätigkeit nicht zulässt. Die Duldung läuft bis Juli. Und dann?
Fazit: In Lemgo lebt ein Mann, der wahrscheinlich in Armenien geboren ist, sich jetzt seit mehr als acht Jahren in Deutschland aufhält, nicht wieder nach Armenien zurück will ("Da herrscht Krieg, mein Haus ist kaputt, was soll ich da?"), keinen Pass hatte, keinen bekommen hat und sich seit 1999 - also im sechsten Jahr - über seine Herkunft mit den Behörden streitet. Macht das Sinn?
12./13.03.2005
lemgo@lz-online.de
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