Lippische Landes-Zeitung ,
12.03.2005 :
Auf der Suche nach "Hitlers Bombe" / Detmolder wirkte an heftig umstrittenem Buch mit
Detmold (da). Heiko Petermann liebt das Abenteuer. Der Autor und Regisseur aus Detmold hat sich durch zahlreiche Dokumentarfilme fürs Fernsehen einen Namen gemacht, drehte unter großen Strapazen und Risiken in Sibirien ("Das weite Land") oder Kanada ("Die Thelon-Expedition"). Nun hat er ein Thema angepackt, das sogar ihn wegen der schon eingetretenen und noch zu erwartenden heftigen Reaktionen ein wenig nervös werden lässt: "Hitlers Bombe".
So lautet der Titel eines Buches des Berliner Wirtschaftshistorikers Dr. Rainer Karlsch, das bereits im Vorfeld seines Erscheinens am kommenden Montag mächtig Staub aufgewirbelt hat. Diese Arbeit, die unter maßgeblicher Mithilfe von Petermann entstanden ist, soll, wie die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) in kalkuliert reißerischer Manier ankündigt, "sensationelle Ergebnisse" über die deutsche Kernwaffenforschung während des Zweiten Weltkrieges liefern.
Karlsch und Petermann wollen Belege dafür gefunden haben, dass 1944/45 in Thüringen und auf Rügen nukleare Bomben getestet wurden, wobei vermutlich mehrere hunderte Kriegsgefangene und Häftlinge ums Leben gekommen sein sollen. Die Autoren haben eigenen Angaben zufolge außerdem den Entwurf für ein Plutoniumbombenpatent aus dem Jahre 1941 aufgetan und im Umland Berlins den ersten funktionierenden deutschen Atomreaktor entdeckt. DVA-Fazit: "Das Deutsche Reich stand kurz davor, den Wettlauf um die erste einsatzfähige Atomwaffe zu gewinnen."
Dass das alles sehr abenteuerlich klingt und in der Tat eine deutliche Revision der bisher herrschenden Lehre bedeuten würde, gibt Petermann gern zu. Denn deutsche Kernphysiker hatten nach dem Zweiten Weltkrieg immer behauptet, frühzeitig von Bombenprojekten wie diesen Abstand genommen zu haben.
Nicht verstehen kann der 50-Jährige allerdings, dass es schon jetzt massive Kritik in den Medien gibt - obwohl außerhalb eines engen Kreises niemand dieses Buch bisher gelesen habe. Von der Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein, lässt er sich auch nicht durch Wertungen wie "totaler Schmarren" beeindrucken, die der Wissenschaftshistoriker Armin Herrmann gegenüber Spiegel online getroffen hatte.
Petermann hat ein gutes Gewissen. Der Autor, der in Heiligenkirchen eine Produktionsfirma betreibt, hat seit 2001 beinahe jede freie Minute geopfert, um in dieser Angelegenheit zu recherchieren. Er war in der Lippischen Landesbibliothek ebenso wie in russischen Archiven, sprach mit Zeitzeugen und wertete private Nachlässe aus, prüfte Aufzeichnungen von NS-Größen und Briefwechsel von beteiligen Wissenschaftlern auf versteckte Hinweise, begutachtete amerikanische und russische Spionageberichte - und arbeitete sich nicht zuletzt in Fragen der Atomphysik ein, obwohl er das Fach doch in der 11. Klasse abgewählt hatte. Diese "Spürhundearbeit" sei eben seine Stärke, sagt Petermann, und er habe sich auf ideale Weise mit Karlsch ergänzt: "Wir haben einen Arbeitsstil entwickelt, der hervorragend ist." Alle Erkenntnisse seien zudem konservativ bewertet worden, versichert der Detmolder.
Bodenproben wurden untersucht
Beide haben ein Weiteres getan, um ihre Thesen zu untermauern. Sie entnahmen in den vermuteten Testgebieten auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen und im Westen Rügens Bodenproben und ließen diese unter anderem von Physikern aus Gießen und Marburg überprüfen."Dieser Nachweis gelang", behauptet Petermann, der sämtliche Nachforschungen privat finanziert hat.
Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was auf ihn in den nächsten Wochen zukommen könnte, verspürt der TV-Journalist schon jetzt. Allein auf Grund der Vorabmeldungen in verschiedenen Medien häufen sich bei ihm Telefongespräche und anderweitige Anfragen. Gespannt ist er schon jetzt, wie die großen Zeitungen das Buch beurteilen werden, wenn es die Fachjournalisten denn erst einmal gelesen haben. Und natürlich auf die Reaktionen der Wissenschaft.
Diese sei im Übrigen im Ausland sehr viel bereiter, über neue Ansätze nachzudenken und alte Erkenntnisse zu korrigieren, meint Petermann. Er verweist unter anderem auf den amerikanischen Historiker Mark Walker, der 1990 mit "Die Uranmaschine - Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe" das bisherige Standardwerk zu diesem Thema geschrieben hatte. Walker, der das Manuskript des Karlsch-Buches wohl schon kennt, soll laut Deutscher Presseagentur geäußert haben, "die Beweisführung" sei "sehr überzeugend". Eine erste wissenschaftliche Nagelprobe wird es geben, wenn Karlsch sein Buch am Freitag nächster Woche bei einer Tagung des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien präsentieren wird.
Weitermachen will Petermann auf jeden Fall. So bereitet er einen 90-minütigen Dokumentarfilm vor, für den er allerdings noch keinen Abnehmer gefunden hat. Außerdem tauchten immer wieder neue Spuren auf, die der näheren Erforschung bedürften, sagt er. Bereut hat der Detmolder den enormen Aufwand zu keiner Sekunde: "Die Sache ist einfach hochspannend."
12./13.03.2005
detmold@lz-online.de
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