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Die Glocke , 11.03.2005 :

Woche der Brüderlichkeit / Diskussion lebhaft und sehr kritisch

Sendenhorst (op). Eine stellenweise recht lebhafte Diskussion gab es am Mittwochabend anlässlich der "Woche der Brüderlichkeit" auf dem Podium im Haus Siekmann. Es hatten sich dazu auch recht viele interessierte Besucher eingefunden. Professor Dr. Herbert Ulonska wies in seinen einführenden Worten auf das Bild der zwei Mädchen auf dem Programmheft hin, die Hand in Hand durch das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen gehen. "Zwei Jugendliche aus dem Täter- und dem Opfervolk gehen gemeinsam einen schweren Weg", sagte Prof. Ulonska. "Aber das Leben braucht Erinnerung, wie schmerzlich sie auch sein mag.

Informationen zur Erinnerung, der politischen Entwicklung, aber auch zu den Problemen der Gegenwart gab es reichlich an diesem Abend durch das hochkarätig besetzte Podium, das sich auch nicht mit gegenseitiger Kritik zurückhielt. Pfarrer Jürgen Hülsmann, der evangelische Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Münster, moderierte den Abend und war sich sicher, dass das Thema "Steht Deutschland noch in einer besonderen Verantwortung?" für viele eine Provokation sei. Nicht immer leicht hatte es der israelische Journalist Daniel Dagan. Vor allem seine These, Israel müsse auch heute noch "Barrieren" aufbauen, um Terror abzuwehren, wurde von den anderen Gesprächspartnern nicht so ohne Weiteres übernommen. Dagan erinnerte daran, dass Deutschland wie ganz Europa bislang alle Maßnahmen Israels, sich gegen Terror zu schützen, verurteilt habe. Er bezeichnete die Beziehung zwischen Deutschland und Israel zwar als sehr gut, wies aber auch darauf hin, dass deutsche Politik in wesentlichen Punkten die Interessen Israels nicht immer genügend berücksichtige. Ein weiterhin aktuelles Problem sei es, dass Araber nicht akzeptieren wollten, dass es ein jüdisches Volk gebe. Der ehemalige ARD-Nahost-Korrespondent Dr. Friedrich Schreiber bezeichnete die Verantwortung gegenüber den Juden als sehr umfassend. Dabei gehe es nicht nur um Israel. Die Schuld, die man gegenüber den Juden in aller Welt auf sich geladen habe, sei aus dem historischen Antisemitismus entstanden, der sich in allen Ländern so ausgeweitet habe, dass die Juden schon sehr früh nach Palästina geflohen seien.

Verantwortung gegenüber Israel, aber auch Kritik erlaubt

Auch aus diesem Aspekt der Geschichte erwüchsen politische Verantwortung und Aufgaben. Zum Thema Mauer im Gaza-Streifen sagte Dr. Schreiber, dass hierbei entscheidend sei, ob sie zum Frieden führe und dass sie auch nur zu akzeptieren sei, wenn es kein anderes Mittel zum eigenen Schutz gebe. Auf keinen Fall aber dürfe eine solche Mauer über palästinensisches Gebiet führen und den Anschein erwecken, ein verkapptes Mittel zur Annexion zu sein. Der Politikwissenschaftler an der Uni Münster, Professor Dr. Rüdiger Robert, wies ebenfalls darauf hin, dass man neben der Verantwortung für Israel auch die Verantwortung gegenüber anderen Partnern, zum Beispiel den arabischen Staaten, nicht vergessen dürfe. Israel sei im Gegensatz zum Jahr 1948 heute ein politisches Schwergewicht in der arabischen Welt. DasVerhältnis zu Israel dürfe nicht ausschließlich durch die Brille der deutschen Schuld gesehen werden. Zur deutschen Verantwortung heute gehöre es auch, die Erinnerung für die Zukunft wach zu halten.

Mit sehr differenzierenden Beiträgen wusste der CDU Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz mehrfach die Diskussion wieder auf den Punkt zu bringen. Man dürfe zwar die Geschichte der Generationen in Deutschland nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer kollektiven Schuld sehen, hob Polenz hervor, aber das hier in 60 Jahren aufgebaute Vertrauen zu Israel würde auch erschüttert, "wenn wir eine kollektive Amnestie vornähmen". Es müsse auf jeden Fall möglich sein, bestimme Entwicklungen, wie eine verfehlte Siedlungspolitik in Israel zu kritisieren. Im Hinblick auf die Palästinenser sagte Polenz, müsse man auch sehen, dass es sich hier nicht nur um Täter, sondern auch um Opfer handle. Es werde jedenfalls mit einem israelischen Staat auf palästinensischem Gebiet keinen dauerhaften Frieden in der Region geben. Deshalb liege die deutsche Verantwortung unter anderem auch darin, Ministerpräsident Sharon zu unterstützen, die Siedlungen im Gaza-Streifen abzubauen. Aber auch die Palästinenser müssten sich zu ihrer Verantwortung bekennen und die Israelis nicht mit Steinen, sondern mit Blumen verabschieden.

Moderator Jürgen Hülsmann nannte die Wochen der Brüderlichkeit sehr hilfreich, sie dürften aber nicht nur reine Alibifunktion haben. Es sei auf jeden Fall zu begrüßen, dass die evangelische und die katholische Kirche sich klar zur Gemeinsamkeit mit den anderen Religionen, vor allem mit dem Judentum, bekannt hätten. Das Wichtigste aber bleibe, den Schmutz vor der eigenen Haustür zu entfernen, aus dem das Unmenschliche im Antisemitismus erst gedeihen könne.


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