Die Glocke ,
11.03.2005 :
Denkmal in Berlin / Dem Grauen ein Gesicht geben
Enniger/Berlin (gl). "Der ständige Umgang mit dem Mord ist nicht einfach", sagt Jürgen Lillteicher. Täglich hat der Historiker aus Enniger mit der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten zu tun - und das seit mehr als zwei Jahren. Da geht es um Gespräche mit Überlebenden und die vielen, vielen Namen derer, die ermordet worden sind. Anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung Deutschlands von der Herrschaft der Nazis soll am 10. Mai das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin eröffnet werden - direkt neben dem Brandenburger Tor. "Man hat einen zentralen Platz für ein zentrales Thema gefunden", unterstützt Jürgen Lillteicher die Entscheidung für den Standort. Für ihn geht mit der Eröffnung eine Zeit der intensiven Vorbereitung zu Ende: Gemeinsam mit drei weiteren Historikern und einer Museumspädagogin ist der 36-Jährige für den "Ort der Information" zuständig, der unter dem Stelenfeld erste Informationen zur Vernichtung der Juden in Europa liefert. Hier wird auch das Schicksal nicht-jüdischer Opfer beleuchtet. Doch: "Es ist gerechtfertigt, dieses Denkmal nur für die ermordeten Juden zu errichten", sagt der Historiker zu der Diskussion, ob ein Denkmal für alle Opfer der Nazis nicht angemessener gewesen wäre. "Die Juden waren die einzige Gruppe, die komplett vernichtet werden sollte." Die Namen der Opfer werden an die Wand projiziert. Dazu wird eine Kurzbiografie akustisch präsentiert: Das erwartet die Besucher des Informationszentrum im "Raum der Namen", für den Lillteicher unter anderem zuständig ist. "Wir arbeiten eng mit der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem zusammen, die uns Namen und biografische Angaben der Opfer zur Verfügung stellt", berichtet er. Zur Arbeit der Historiker und der Museumspädagogin gehörte es auch, ein Besucherkonzept für den "Ort der Information zu entwickeln". "Dies ist kein Museum. Es werden keine Objekte ausgestellt", erläutert der Ennigeraner. Der "Ort der Information" verstehe sich als Ergänzung zu dem vom US-amerikanischen Architekten Peter Eisenman konzipierten Stelenfeld. "Es war der politische Wille des Bundestages, dass das Denkmal im Vordergrund stehen soll." Neben dem "Raum der Namen" bietet das Zentrum Informationen zu den Orten der Judenvernichtung in ganz Europa und stellt exemplarisch Familienschicksale dar. Auch versteht sich der "Ort der Information" als Portal zur Gedenkstättenlandschaft in Deutschland und Europa. Nicole Fenneker
"Dürfen nicht bei dem Denkmal aufhören"
Oft spricht der Historiker mit Überlebenden. "Wenn uns Überlebende für unsere Arbeit loben, sind das die schönen Momente", sagt er. Einen Konflikt gab es während der Errichtung der 2711 Betonstelen um die Beteiligung der Firma Degussa an den Arbeiten - eine Tochterfirma des Konzerns war während des Kriegs am Vertrieb von Zyklon B beteiligt gewesen, das zur Ermordung der Juden eingesetzt wurde. Auch hier waren die Historiker gefragt und mussten Gutachten schreiben. Lillteicher unterstreicht: "Ein Denkmal rein von Vergangenheit kann es in Deutschland nicht geben." Schließlich gehe es nicht ohne die Beteiligung von deutschen Unternehmen. Um Aufmärsche von Neonazis auch vor dem Denkmal zu verhindern, hat die Bundesregierung ein Gesetz eingebracht, das die Länder ermächtigt, derartige Versammlungen zu verbieten. "An Orten, wo es um die Würdigung der Opfer des Nationalsozialismus geht, sollte man vermeiden, dass Springerstiefel marschieren", hat Jürgen Lillteicher eine klare Meinung zu der Diskussion um ein Versammlungsverbot vor dem Denkmal. Allerdings solle man das Versammlungsrecht nicht einfach grundsätzlich aufgeben. "Das ist ein hohes demokratisches Gut." Und er hofft, dass es auch nach der Eröffnung weitergehe mit der Stiftung, die für das Denkmal zuständig sei. Man könne sich etwa zusammenschließen mit anderen Stiftungen, die sich mit dem Nazi-Terror beschäftigten, um so einen zentralen Ansprechpartner in Deutschland zu bilden. "Wir dürfen nicht bei dem Denkmal aufhören."
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