Lippische Landes-Zeitung ,
09.03.2005 :
Erfundene Wahrheit / Klaus Kordon liest im Leopoldinum
Detmold (stse). Betretenes Schweigen, ernstes Nachdenken - bei der Lesung aus "Julians Bruder" im Leopoldinum ging es um ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Der Berliner Schriftsteller Klaus Kordon las am Montag auf Einladung des "Bündnisses für Zivilcourage" und der Stadtbücherei Detmold aus seinem 2004 erschienen Roman.
Die Autorenlesung gehörte zu der Veranstaltungsreihe anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.
Julians Bruder - das ist Paul Scholz, und der erinnert sich an die gemeinsam verbrachte Zeit in Berlin und Buchenwald während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Eigentlich sind die beiden keine Brüder, aber sie wachsen auf und fühlen sich wie Geschwister. Bis sie in die dritte Klasse kommen ist auch alles normal, doch dann werden sie zu ungleichen Brüdern: Julian muss einen Judenstern tragen, sein Freund Paul kann sich nicht mehr um den Eintritt in die Hitlerjugend drücken. Die Freundschaft wird schwieriger, aber die beiden halten zusammen.
Als die Eltern deportiert werden, muss Julian untertauchen. In einem Lebensmittelladen spielt er den beschränkten Neffen aus Hannover, dann kommt er bei einer älteren Frau unter. Immer wieder hilft dem jungen Juden die Familie Scholz, auch als er sich in den Berliner Ruinen vor den Nazis verstecken muss und alles noch schwieriger und gefährlicher wird. Auch sein "Bruder" Paul findet in den Ruinen Unterschlupf, nachdem er desertiert. Nach Kriegsende müssen sich die Jungen zwar nicht mehr verstecken, trotzdem ist die Situation nicht einfach. Pauls Schwester Bille und seine Mutter arbeiten als Trümmerfrauen, Paul ernährt die Familie durch seine Schwarzmarktgeschäfte. Paul, Julian und Bille fühlen sich um ihre Jugend betrogen.
"Eigentlich dachte ich, ich hätte über die NS-Zeit alles geschrieben", erinnert sich Klaus Kordon. Doch von einem Berliner Juden erfährt er die Geschichte eines Juden, der nach dem Krieg in ein Internierungslager kommt. Die Zuhörer sind erschüttert, als der Schriftsteller erzählt, dass in den Lagern, die im Potsdamer Abkommen eigentlich für Nazis gedacht waren, auch Juden untergebracht waren.
"Die Helden sind erfunden, die Geschichten sind echt. Bei den Menschen im Lager habe ich allerdings viele Vorbilder gehabt", erklärt der Schriftsteller.
Sein Roman ist eine Geschichtsstunde, die unter die Haut geht. Klaus Kordon hat das Buch für Leser ab 14 Jahren geschrieben und ist sich sicher, dass Jugendliche sich in diesem Alter mit den Schrecken der Vergangenheit auseinandersetzen können.
"Mir macht es Spaß über Geschichte zu schreiben, weil sie oft aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist", erklärt der Autor, der für seine Jugendromane mit historischem Hintergrund bekannt ist und zahlreiche Preise erhalten hat, unter anderem den Deutschen Jugendliteraturpreis. Dass seine Bücher auch von Erwachsenen gelesen werden, zeigte die Veranstaltung im Leopoldinum, bei der auch viele Erwachsene zuhörten.
detmold@lz-online.de
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