Mindener Tageblatt ,
24.03.2017 :
Erinnern an Leben und Leiden im Lager
Realschüler und Sekundarschüler gestalten die Feierstunde am Gedenkstein in Lahde / Im Arbeitserziehungslager starben zwischen 1943 und 1945 mindestens 723 Menschen
Von Ulrich Westermann
Petershagen-Lahde (Wes). Die Kulturgemeinschaft Lahde richtet am Freitag, 7. April, ab 11.30 Uhr eine Feierstunde am Gedenkstein an der Dingbreite aus. Mitwirken werden Jungen und Mädchen der Klasse 9b der Realschule Lahde und der 8. Klasse der der Sekundarschule mit ihren Lehrerinnen Margit Schaper bzw. Lisa Holthöfer.
Ein Kurzvortrag hält Buchautor Hermann Kleinebenne aus Petershagen. Dazu kommt eine Andacht mit dem Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Lahde, Hans-Hermann Hölscher. Auch Petershagens Bürgermeister Dieter Blume und Angehörige weiterer Kirchengemeinden sind eingeladen worden.
In der Gedenkveranstaltung wird an das Leben und Leiden der Menschen im Arbeitserziehungslager Lahde erinnert, mit dem die nationalsozialistischen Machthaber von Mai 1943 bis April 1945 eine Einrichtung des Grauens geschaffen hatten. Das menschenunwürdige Leben zwischen Mauern und Stacheldrahtzäunen forderte mindestens 723 Todesopfer. Die genaue Zahl ist nicht bekannt.
Insassen trugen keine Kleidung, sondern waren in Zementsäcken gehüllt
Die geschundenen Insassen verhungerten, starben an Erschöpfung oder wurden erschossen. Den Hauptanteil der Gefangenen stellten Polen und Russen, gefolgt von Niederländern, Franzosen und Ukrainern. Zwei- bis dreimal in der Woche wurde der Totenwagen von Häftlingen über die Bahnhofstraße durch Lahde in Richtung Bierde gezogen. Die Männer trugen an ihrem Körper keine Kleidung, sondern nur Zementsäcke.
Bekannt wurde damals hinter "vorgehaltener Hand" ein Gespräch in einer Lahder Apotheke. Eine Einwohnerin wies auf das Unrecht hin, das im Lager geschehe. Die Apothekerin schaltete sich in das Gespräch ein und vertrat die gleiche Meinung. Ein Lagerwächter, der die Apotheke betrat, warnte die Frau: "Ein Wort noch und sie gehen mit ins Lager. Dort werden Sie ihr blaues Wunder erleben."
Die Inschrift über dem Eingangstor des Arbeitserziehungslagers hieß: "Hier wird jeder Wille gebrochen". Nach Abschluss der Bauarbeiten am Wehrmachtsmunitionslager in Liebenau wurde das dortige Arbeitserziehungslager im Jahre 1943 nach Lahde verlegt. Die Gefangenen hausten in vier Holzbaracken mit jeweils zehn Räumen. Dazu kam der berüchtigte Arrestbunker. 200 Personen mussten mit zehn Wasserhähnen auskommen. Zahnbürsten, Handtücher und Toilettenpapier gab es nicht. Zahlreichen Häftlingen hat der Arzt nach ihrem Tod eine willkürliche Krankheit zugeschrieben.
Das Lager zwischen der heutigen Dingbreite und der B 482 wurde im April 1945 vor dem Heranrücken der alliierten Truppen aufgelöst. Die Wachen trieben die Gefangenen in Richtung Hannover. Ein großer Teil von ihnen kam niemals dort an. Dieser "Todesmarsch" mit seinen Opfern gehört zu der grausamen Geschichte des Arbeitserziehungslagers.
Die Stadt Petershagen hat im Jahr 1995 nur wenige Meter davon entfernt eine Erinnerungsstätte angelegt. Im Mittelpunkt dieser Grünfläche steht ein Findling mit der Inschrift "Zum Gedenken an Leid und Tod im Arbeitserziehungslager Lahde - 1943 bis 1945".
Groß war in den vergangenen Jahren der Zuspruch an der Feierstunde. Neben den Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften hatten sich auch Einwohner aus Lahde und Umgebung eingefunden.
Es leben nur noch wenige Zeitzeugen, die über das Lager berichten können. Einer von ihnen ist Maarten Zevenbergen aus Poortugal in der Nähe von Rotterdam. Der 94-jährige Niederländer hat im Zweiten Weltkrieg als Häftling des Arbeitserziehungslagers in Lahde acht schreckliche Wochen erlebt, deren Ereignisse ihn bis heute nicht loslassen. Im Jahr 2008 war Maarten Zevenbergen mit seiner Ehefrau Jannie zum ersten Mal in Petershagen zu Gast. Bis 2016 folgten weitere Besuche. Begleitet wurden sie von zwei Einheimischen, zu denen inzwischen eine feste Freundschaft entstanden ist.
Maarten Zevenbergen hat tausende Knollen von Frühblühern gespendet
Als Seniorchef eines Gartencenters hat Maarten Zevenbergen in den vergangenen Jahren große Mengen Tulpen und Narzissen nach Petershagen geschickt. Bei diesen Spenden handelt es sich um einige tausend Knollen, die von Helmut Klaas und Ulrich Westermann in die Erde gebracht worden sind. Pflanzorte waren neben der Gedenkstätte an der Dingbreite auch der Friedhof in Lahde, die Freifläche am Mahnmal in Bierde und der jüdische Friedhof in Petershagen.
Bei seinen Besuchen in der Stadt Petershagen legte das holländische Ehepaar jedes Mal Blumengebinde an den vier Gedenkstätten nieder. Unvergessen sind die Worte von Zevenbergen in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Lageranlage: "Mir ist bekannt, dass die Kulturgemeinschaft Lahde hier einmal im Jahr eine Gedenkfeier gegen das Vergessen ausrichtet. Dafür danke ich den Verantwortlichen und allen beteiligten Schülerinnen und Schülern."
Bildunterschrift: An die Opfer des Arbeitserziehungslagers in Lahde erinnert ein Gedenkstein auf der Grünanlage an der Dingbreite. Kurz vor der Blüte stehen die Narzissen, deren Knollen der ehemalige Lagerinsasse Maarten Zevenbergen aus den Niederlanden nach Petershagen geschickt hat.
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