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Mindener Tageblatt , 11.04.2017 :

Schüler gedenken der Opfer

Klassen der Realschule und Sekundarschule legten am Mahnmal an der Dingbreite in Lahde einen Kranz nieder / Ganz in der Nähe stand ein Arbeitslager der Nazis

Von Ulrich Westermann

Petershagen-Lahde (Wes). Die Kulturgemeinschaft Lahde erinnerte in einer Gedenkveranstaltung an das Leiden und Sterben im früheren Arbeitserziehungslager. Die Feierstunde wurde von Jungen und Mädchen der Real- und Sekundarschule gestaltet. Beteiligt waren die Klassen 9b und 8 bis 4 mit ihren Lehrerinnen Margit Schaper und Lisa Holthöfer.

Mit dem Arbeitserziehungslager hatten die Nationalsozialisten eine Einrichtung des Grauens geschaffen. Über dem Eingangstor war die Inschrift "Hier wird jeder Wille gebrochen" angebracht worden. Das menschenverachtende Leben zwischen Mauern und Stacheldrahtzäunen forderte von Mai 1943 bis April 1945 über 700 Todesopfer. Die genaue Zahl ist nicht bekannt.

Den Hauptanteil der Gefangenen stellten Russen und Polen, gefolgt von Niederländern, Franzosen und Ukrainern. Die geschundenen Insassen verhungerten, starben an Erschöpfung oder wurden erschossen. Das Lager zwischen der Bundesstraße 482 und der heutigen Dingbreite wurde 1945 von den Nationalsozialisten vor dem Heranrücken der alliierten Truppen aufgelöst. Die Wachen trieben die Häftlinge auf einem "Todesmarsch" nach Hannover.

Die Stadt Petershagen hat 1995 nur wenige Meter vom früheren Arbeitslager entfernt eine Gedenkstätte mit einem Findling angelegt. Dort richtete die Kulturgemeinschaft Lahde die Feierstunde aus. Groß war der Zuspruch. Neben den Schülerinnen und Schülern und deren Lehrkräften hatten sich auch Einwohner aus Lahde und der Nachbarschaft eingefunden.

"Wichtig ist, den Menschenrechten immer wieder Geltung zu verschaffen."

Kulturgemeinschaftsvorsitzender Karl-Heinz Schwier würdigte das Engagement der Schulklassen und wies darauf hin, dass nur noch wenige Zeitzeugen lebten, die über die Ereignisse im Lager und in der Umgebung berichten könnten. Bürgermeister Dieter Blume betonte, dass alle Kräfte eingesetzt werden müssten, um eine solche Schreckensherrschaft zu bekämpfen. Wichtig sei, den Menschenrechten immer wieder aufs Neue Geltung zu verschaffen. „Den Opfern aber werden wir mit bloßem Gedenken nicht gerecht. Ihr Schicksal muss uns Mahnung sein, nie wieder zuzulassen, was unser Land damals in den moralischen Abgrund und beinahe in die totale Vernichtung geführt hat.

Schweigen und Wegschauen im Angesicht von Gewalttaten, von Intoleranz und Menschenverachtung könnten und dürften niemals der geduldete Weg sein. "Nicht alle haben damals weggesehen. Es gab immer wieder Beispiele von Menschen, die Widerstand leisteten, ihre Menschlichkeit bewahrten und halfen. Wir müssen diese Erinnerung wach und lebendig halten, gerade auch weil Zeitzeugen immer weniger werden", bekräftigte Blume. Es bleibe die Verpflichtung, die gewonnenen Erkenntnisse und Sensibilitäten für erste Anzeichen von Ausgrenzung weiterzugeben.

Vor einigen Jahren habe die Arbeitsgemeinschaft "Alte Synagoge Petershagen" gemeinsam mit dem Künstler Gunter Demnig Stolpersteine in Petershagen, Ovenstädt und Quetzen verlegt. Dieses Projekt wecke Motivation und Engagement der Jugendlichen, sich mit der Geschichte in ihrer Stadt zu beschäftigen. "Forschendes Lernen macht Geschichte lebendig, forschendes Lernen bringt die Lernenden in Kontakt mit authentischen Zeugnissen", betonte Dieter Blume. Der Petershäger Buchautor Hermann Kleinebenne erinnerte an die ursprünglich geplante Nutzung eines Barackenlagers auf einem Ackerland in der Nähe der B 482.

Die Lebenserwartung der Häftlinge betrug in der Regel nur wenige Tage

Im Frühjahr 1943 sei stattdessen auf höheren Befehl der Ausbau zum Arbeitserziehungslager der Gestapo Hannover erfolgt. "Die Amtsverwaltung in Lahde ist von dieser Entwicklung überrollt worden. Der Lagerbetrieb war auf die physische und psychische Zerstörung der Häftlinge durch harte Arbeit unter primitivsten Bedingungen, mangelhafte Kleidung, ungeeignetes Schuhwerk, ständigen Hunger und ungenügende Krankenversorgung ausgerichtet."

Die Lebenserwartung der mindestens 23 jüdischen oder halbjüdischen Häftlinge habe in der Regel nur wenige Tage betragen. Die Mehrzahl von ihnen sei bereits am Einlieferungstag Opfer der "Sonderbehandlung" geworden. Nach Dokumentenlage habe nur der halbjüdische Häftling Walter Schwarz überlebt.

Die Todesopfer seien, berichtete Kleinebenne, auf Gräberfeldern in Petershagen, Lahde und Bierde bestattet worden. Dank richtete er an die Schülerinnen und Schüler, die einen Beitrag zur Erhaltung des Friedens, der Freiheit und der Demokratie leisteten.

Einen Text trugen Karoline Plenge und Leonie Brink aus der 9b der Realschule Lahde vor. Sie dankten der Firma Wiegmann, die 1995 den freien Platz für den Gedenkstein zur Verfügung gestellt habe. Zudem gingen sie auf Einzelheiten des Arbeitserziehungslagers mit seinen menschenunwürdigen Lebensbedingungen, die Auflösung und den "Todesmarsch" von Lahde nach Hannover ein.

Einen Kranz im Namen der Kulturgemeinschaft legten die Schüler Kim Niklas Weier und Danyal Marotz nieder.

Vor seinem Gebet dankte Pfarrer Hans-Hermann Hölscher den Jungen und Mädchen für die würdevolle Gestaltung der Feierstunde.

Bildunterschrift: An der Gestaltung der Feierstunde waren die Jungen und Mädchen der Klassen 9b und 8 bis 4 der Realschule und der Sekundarschule beteiligt.

Bildunterschrift: An den Lagerbetrieb und die Lebensumstände der Häftlinge erinnerte Buchautor Hermann Kleinebenne.


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