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Neue Westfälische , 11.12.2003 :

Viele kleine Lichter im Advent / Familie Schneider aus Ex-Jugoslawien erfährt unerwartete Nachbarschaftshilfe

Von Nicole Sielermann

Hüllhorst. Für Familie Schneider aus Hüllhorst ist es einetraurige Adventszeit. Erst stellte das Gaswerk den Strom ab, dann flatterten auch noch drei Briefe mit der Ankündigung der möglichen Abschiebung von Vater Dejan (41) und den Töchtern Sandra (17) und Lora (10) ins Haus. Zurück bleiben müssen im Ernstfall Mama Rita und die kleine herzkranke Marika (3). Einziger Lichtblick: die Nachbarschaftshilfe in Hüllhorst. Geld- und Sachspenden von völlig fremden Menschen lassen Rita Schneider und ihre Familie hoffen.

Der Schritt in die Öffentlichkeit ist Rita Schneider nicht leicht gefallen. Von Haustür zu Haustür ist die 33-Jährige gezogen. Hat bei völlig fremden Menschen, aber auch bei guten Nachbarn geklingelt. "Ich habe denen alles erzählt. Unsere ganze Notlage geschildert", sagt sie.

Der Mann arbeitslos, die Tochter schwer herzkrank und die Heizung kalt - Geld ist bei der geduldeten Familie aus Ex-Jugoslawien einfach nicht genügend da. "Aber es verdient doch jeder im Leben eine zweite Chance", zeigt sich Rita Schneider kämpferisch und macht sich auf den Weg durch Hüllhorst.

Schiefe Blicke, Skepsis und auch der Vorwurf der Lügen haben bei Rita Schneider ihre Spuren hinterlassen. Mit Tränen in den Augen ist sie in der vergangenen Woche oft nach Hause zurück gekehrt. Doch die gebürtige Rumänin kämpft. Kämpft für ihre kleine Tochter: Immer und immer wieder klingelt sie in Hüllhorst - und auch in Löhne und Bad Oeynhausen - an fremden Haustüren.

Zirka 30 Menschen sind bereit, zwischen zwei und zehn Euro für die Familie zu spenden. 135 Euro hat die Hüllhorsterin so für die Gasrechnung zusammen gesammelt. Bei ausstehenden 900 Euro allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

"Wir haben zu wenig Geld. Mein Mann ist arbeitslos, ich darf nicht arbeiten, obwohl ich will, und das Sozialamt zahlt nicht mehr Geld", klagt Rita Schneider ihr Leid. Viel Geld gehe für die Pflege der herzkranken Tochter Marika drauf, die wegen eines schweren Herzfehlers bereits zweimal im Herzzentrum Bad Oeynhausen operiert wurde. Inzwischen ist die Kleine zwar wieder recht munter, aber auch immer noch anfällig.

Nachbar Neu ist ein echter Lichtblick

Ein Jahr lang hat Dejan Schneider bei der Gemeinde Hüllhorst gearbeitet. Seit einigen Monaten ist er arbeitslos und sucht verzweifelt einen Job, den er auch zu Fuß oder mit dem Bus erreichen kann.

Denn ein Fahrrad oder Auto hat die Familie nicht. Nur Nachbar Andreas Neu. Und der ist für Familie Schneider ein echter Lichtblick: Hilft im deutschen Bürokratie-Dschungel oder fährt die Familie bei Bedarf irgendwo hin. Und das völlig uneigennützig.

Auf ihrem Weg durch die Nachbarschaft in Hüllhorst landet Rita Schneider schließlich bei der Kirchengemeinde. Und die verweist ans Diakonische Werk in Lübbecke. Dort sitzt Karl-Heinz Holt, Berater für Flüchtlinge und Asylbewerber. Und hat Hilfe parat. Das Diakonische Werk übernimmt die 900 Euro Heizkosten, und Familie Schneider kann dieses Geld nach und nach abbezahlen. Für Rita Schneider und Ehemann Dejan ein "Geschenk des Himmels".

Karl-Heinz Holt kennt Familie Schneider, die seit acht Jahren in Deutschland lebt, aus früheren Beratungsgesprächen. Und hat ihr in dieser Notlage beigestanden: "Die Nebenkosten in dieser Wohnung sind einfach zu hoch", sagt er. So werde Familie Schneider nie aus diesem Kreislauf herauskommen.

"Vielleicht gibt es ja irgendwo in der Umgebung Hüllhorst eine günstige Wohnung für die Familie", hofft Holt, der den Einsatz der jungen Frau bewundernswert findet. "Frau Schneider hat sich nicht mit ihrer Lage abgefunden, sondern will aktiv etwas daran ändern", lobt er.

Nach der schnellen Hilfe durch die Diakonie sind aber noch nicht alle Sorgenfalten auf Rita Schneiders Stirn verschwunden: Die drei Briefe vom Mühlenkreis Minden-Lübbecke mit der Ankündigung der möglichen Abschiebung von Vater und den beiden ältesten Töchtern wiegen schwer in ihrer Hand. Nach der Beruhigung in der jugoslawischen Kriegs-Heimat und der Ablehnung des Asylantrages sollen Vater und Töchter - wenn es hart auf hart kommt - nach Ex-Jugoslawien voraus reisen, Mutter und Marika irgendwann später folgen.

Kinder fühlen und sprechen deutsch

Mutter Rita ringt um Fassung und wischt sich verstohlen eine Träne aus den Augenwinkeln: "Sandra und Lora sprechen doch nur deutsch, fühlen sich hier zu Hause und kennen sich dort unten kein bisschen aus." Karl-Heinz Holt beruhigt: "Damit bewegt sich die Ausländerbehörde rechtlich auf der sicheren Seite." Doch noch sei die gesamte Familie aufgrund der Krankheit der Tochter weiterhin geduldet.

Drei Monate keine Heizung - seit Montag ist die Wohnung endlich wieder warm. Auch wenn Rita Schneider nun nicht mehr von Haustür zu Haustür ziehen muss, der Weg hat sich für sie und ihre Familie gelohnt. Denn von unerwarteter Seite kommt auch weiterhin Hilfe: Nachbarin Fiebig hat nicht nur einige Euro gespendet, sondern bringt zusätzlich noch warme Winterschuhe, Socken oder etwas zu Essen.

"Sie ist so lieb. Sie hat unseren großen Kindern sogar Theaterkarten für die Aufführung in der Schule geschenkt", ist Rita Schneider gerührt über so viel adventliche Herzlichkeit aus ihrer Hüllhorster Nachbarschaft.


redaktion@nw-news.de

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