Bielefelder Zeitung / Westfalen-Blatt ,
19.10.2016 :
Untergetaucht, um zu überleben / Jüdin Rozette Kats berichtet in Schildesche vom Schicksal ihrer Familie während der NS-Zeit
Von Susanne Steigleder
Bielefeld (WB). "Die Geschichte wurde so oft verleugnet. Deswegen ist es unheimlich wichtig, davon zu erzählen", erklärt Rozette Kats. Die Jüdin berichtete 60 Schülern der Martin-Niemöller-Gesamtschule von dem Schicksal ihrer Familie während der NS-Zeit.
Ihre Eltern und ihr Bruder waren damals ermordet worden. Rozette Kats wurde 1942 in Amsterdam als Tochter jüdischer Eltern geboren. Nach einer monatelangen Reise, quer durch die Niederlande auf der Suche nach Verstecken, gaben ihre Eltern sie in die Obhut einer nicht-jüdischen Familie als sie acht Monate alt war. "Ich betrachte das als Akt größter Liebe. Meine Eltern haben mir die Chance gegeben, zu überleben", meint Kats. Wenige Monate später wurden ihre Eltern und ihr gerade erst geborener kleiner Bruder nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.
Ihr jüdischer Name "Rozette" wurde in "Rita" umgeändert, nach der damaligen Schauspielerin Rita Hayworth. Erst 1992 legte sie ihren neuen Namen vollständig ab und ging wieder als Rozette Kats durchs Leben. "Zuvor wusste ich nie wirklich, wer ich war, obwohl meine Pflegeeltern mir schon mit sechs Jahren meine Geschichte erzählt haben", sagt Rozette Kats.
Neben dem Bruder ihrer Mutter hat sie als einziges Familienmitglied den Holocaust überlebt. Vom Schicksal ihrer Eltern und ihres Bruders hat sie nur durch Zufall erfahren.
Obwohl ihr Onkel wusste, was ihnen passiert war, schaffte er es nie, ihr davon zu erzählen. Zu groß war sein Trauma durch den Verlust seiner Familie. Ihr Neffe rettete durch Zufall eine alte Tasche mit einem Fotoalbum und Briefen von ihrer Familie. Als sie so erfuhr, dass ihre Familie in Auschwitz ermordet worden war, besuchte sie das Vernichtungslager mehrere Male. Dabei traf sie andere Überlebende des Holocausts. Zusammen gründeten sie einen Verein, durch den sich Rozette Kats ermutigt fühlte, ihre Geschichte zu erzählen.
Sie begann vor Schulklassen über das Schicksal ihrer Familie und die Probleme zu berichten, die sie durch das jahrelange Verleugnen ihrer Herkunft hatte. Begleitet und unterstützt wird sie dabei von Raphaela Kula, Fritz Bornemeyer und Jetje Manheim, einer Freundin aus Amsterdam. Kula und Bornemeyer haben Rozette Kats vor ungefähr 15 Jahren bei einem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Sobibor kennengelernt. Seitdem helfen sie ihr, ihre Geschichte zu erzählen und sind mittlerweile gut mit der 74-Jährigen befreundet.
Wie auch im vergangenen Jahr hörten die Schüler mehr als zwei Stunden lang konzentriert zu. Noch während Kats berichtete, kamen immer wieder Fragen auf. Aber auch nachdem Rozette Kats ihren Lebensweg geschildert hatte, waren nicht alle Fragen beantwortet.
Unter anderem interessierte die Schüler, ob Kats den Menschen, die für ihr Leid damals verantwortlich sind, verzeihen kann. "All diese Menschen, die damals umgebracht wurden, haben das nicht verdient. Meine Familie auch nicht. So etwas Schlimmes kann man nicht verzeihen", lautet ihre Antwort.
Bildunterschrift: Fritz Bornemeyer (vorne von links), Raphaela Kula und Jetje Manheim (rechts) hatten den Besuch von Rozette Kats (zweite von rechts) in der Martin-Niemöller-Gesamtschule organisiert. Den Schülerinnen und Schülern der Klassen 10 g und e mit Lehrerin Julia Rusch berichtete sie aus ihrem Leben.
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