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Lippische Landes-Zeitung , 04.02.1993 :

Vortrag "aus aktuellem Anlass" in der VHS / Flüchtlingsstatus für Sinti und Roma gefordert

Lemgo (sut). "Aus aktuellem Anlass", wie VHS-Direktor Wilhelm Schönlau betonte, stand am Montagabend der Vortrag "Sinti und Roma in Geschichte und Gegenwart" auf dem Programm der Volkshochschule. Es sei wichtig, so Schönlau in seiner Einleitung, sich zumindest intellektuell mit den Angehörigen dieser Volksgruppe auseinanderzusetzen, bevor man mit ihnen als Asylbewerber im Alltag konfrontiert werde.

Um also vorab Informationen zu geben und so Vorurteile abzubauen, berichtete Annelore Hermes von der "Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. Göttingen" über die Sinti und Roma und deren fast 1000jährige Geschichte. Zunächst war allerdings eine umfangreiche Begriffserklärung nötig. Leider herrscht auch unter Wissenschaftlern und den Betroffenen selbst keine Einigkeit hinsichtlich der Bezeichnung dieser Volksgruppe: Die gängigste Auffassung ist wohl, dass "Roma" sowohl eine Art Oberbegriff, als auch der Name eines Stammes ist, und "Sinti" der Name eines anderen Stammes. Wichtig ist dabei jedenfalls, dass "die Sinti" und "die Roma" zwar alle ursprünglich aus Nordindien und Pakistan stammen, dass sie aber im Laufe ihrer über 900jährigen Wanderungsgeschichte sehr unterschiedliche Entwicklungen durchgemacht haben, so dass auch die Probleme, die diese Volksgruppen heute haben, sehr verschieden sind. Weitgehende Einigkeit herrscht wohl nur darüber, dass, bis auf eine kleine Minderheit, sowohl Sinti als auch Roma, den Begriff "Zigeuner" als diskriminierend ablehnen. Die Fülle an Informationen aus dem fast zweistündigen Vortrag wiederzugeben ist an dieser Stelle natürlich unmöglich. Annelore Hermes berichtete von der anfänglich freundlichen Aufnahme der Sinti und Roma im Mitteleuropa des 15. Jahrhunderts, die aber bald großer Skepsis dem Fremden gegenüber wichen und sich immer weiter zum Rassenhass steigerte, der im Holocaust seinen grausamen Höhepunkt fand. Aber auch heute noch sind Angehörige dieser Gruppe von Verfolgung bedroht, wobei es wieder zu differenzieren gilt: Während die meisten Sinti seit Generationen in Mitteleuropa sesshaft und als Staatsbürger der Gastländer anerkannt sind, fliehen viele Roma jetzt aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Rumänien vor Bürgerkrieg und rassistischer Gewalt. Weniger als ein Prozent von ihnen findet derzeit Anerkennung als politische Asylanten.

Gerade für diese Flüchtlinge forderte Annelore Hermes im Namen der Gesellschaft für bedrohte Völker einen Flüchtlingsstatus, der die Roma aus Osteuropa als Angehörige einer verfolgten rassistischen Minderheit begreift und ihnen vor diesem Hintergrund Schutz gewährt.


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