Lippische Landes-Zeitung ,
11.02.2003 :
Pauschal-Haft vor der Abschiebung / Heute entscheidet Sozialausschuss über restriktiven Vorschlag der Verwaltung
Detmold (der). "Das ist der Hammer", lautete gestern der erste Kommentar von Ferhat Akman aus dem Internationalen Beratungszentrum (ibz) zur Beschlussvorlage 30/2003 für die heutige Sitzung des Sozialausschusses (17 Uhr). Der "Hammer" ist der Verwaltungsvorschlag zum Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern in Detmold. Demnach soll - die Zustimmung der Politik vorausgesetzt - in Zukunft der abzuschiebende Flüchtling grundsätzlich in Absschiebehaft genommen werden, sobald der Termin der Abschiebung feststeht.
In dem Papier erklärt die Verwaltung diese Wende in der Detmolder Flüchtlingspolitik mit der "Sicherstellung der Rückführung" und der damit verbundenen "Vermeidung unnötiger Kosten". Diese entstehen durch die Stornierung bereits für die Abschiebung gebuchter Flüge, wenn die abgelehnten Asylbewerber untergetaucht sind.
Laut Beschlussvorlage ist den Betroffenen bisher der festgelegte Abschiebetermin mitgeteilt worden. Bis auf begründete Einzelfälle seien danach keine Inhaftierungen vorgenommen worden. Dadurch habe sich folgende Entwicklung ergeben. Im Jahr 2000 sollten 57 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden. Neun von ihnen wurden abgeschoben, 48 tauchten unter. Die Differenzierung geht weiter: So tauchten 32 nach dem Asylabschlussgespräch unter und 16 nach der Bekanntgabe des Abschiebetermins. Im vergangenen Jahr sollten 54 Personen, die ihrer so genannten Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachgekommen waren, abgeschobenwerden. Bei 23 wurde die Abschiebung in die Tat umgesetzt, 20 tauchten nach dem Abschlussgespräch unter und 11 nach der Kenntnis des Flugtermins.
Die Verwaltung begründet dabei die Zunahme der Abschiebungsquote und den entsprechenden Rückgang von untergetauchten Personen mit dem Einsatz restriktiver Maßnahmen. So wurde eine achtköpfige Familie, die laut Verwaltung plante, unterzutauchen, abgeschoben, ohne den Termin vorher zu kennen. Und sechs Betroffene wurden aus der Haft abgeschoben. Ohne diese Maßnahmen hätten nach Aussage der Verwaltung die Zahl der Untergetauchten im Jahr 2002 bei 45 (83,3 Prozent) gelegen.
Die angepeilte Regelung basiert also auf den Fällen, bei denen die Betroffenen erst nach Bekanntgabe des Abschiebetermins untertauchten - in den vergangenen drei Jahren etwa ein Drittel aller Untergetauchten. Die Abzuschiebenden würden in Zukunft automatisch für längstens zwei Wochen in Abschiebehaft genommen, sobald der Flugtermin feststeht. Bei Familien soll der Ehemann inhaftiert werden, um ein Untertauchen der Angehörigen zu verhindern. Voraussetzung ist in jedem Fall ein richterlicher Beschluss vom Amtsgericht Detmold, und es werde versucht, die Haftzeit so kurz wie möglich zu halten, heißt es von Seiten der Verwaltung.
Der Plan ist bereits von der Fraktion der Bündnisgrünen heftig kritisiert worden (siehe gestrige Ausgabe der LZ). Und der Detmolder Anwalt Günter Meyners, der sich schwerpunktmäßig mit Asylrecht beschäftigt, nennt das Vorhaben "eindeutig rechtswidrig". So habe das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Entscheidungen klargestellt, dass eine Verwaltung bei ihrem Vorgehen den verfassungsrechtlich garantierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten habe. Daraus ergebe sich die Pflicht, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Abschiebehaft zur Durchsetzung der Abschiebung erforderlich sei. Meyners: "Dass das Ausländeramt die Prüfung ( ... ) durch Beschlüsse ( ... ) ersetzen will, ist rechtlich unhaltbar." Und: "Derartige Besschlüsse stellen nichts anderes dar als die Aufforderung zur Freiheitsberaubung."
Auch Ferhat Akman vom ibz verurteilte gestern den rigorosen Plan der Verwaltung und erinnerte dabei an den Fall der Familie Sit: "Trotz ärztlicher Bescheinigung einer konkreten Suizidgefahr wurde Herr Sit beim türkischen Generalkonsulat zwangsvorgeführt." Statt die Rahmenbedingungen für Abschiebungen weiter zu verschärfen, ssollten Sozialausschuss und Rat sicherstellen, dass in Detmold nie wieder ein Asylsuchender gegen fachärztlichen Befund zu einer Vorführung gezwungen werde, erklärte Akman, der dem Ausländeramt vorwarf "laufende Verfahren nicht abzuwarten".
Kommentar
Flüchtlingspolitik
Abkehr vom Menschen
Von Stefan Derschum
Im vergangenen Jahr hat ssich die Stadt Detmold bei der Verwaltung des Asylbewerberfalls "Sit" ein moralisches Armutszeugnis ausgestellt, als sie vielleicht im juristischen Toleranzbereich, aber sicher im Grenzbereich der Menschlichkeit zu handeln versuchte. Jetzt geht sie einen Schritt weiter - vom Einzelfall zum System. Jeder abzuschiebende Asylbewerber soll automatisiert in Abschiebehaft genommen werden. Differenziert betrachtet, werden hierbei Menschen, deren Hilfsbedürftigkeit von offizieller Stelle nicht anerkannt worden ist, a priori in Haft genommen, also kriminalisiert: "Hopp oder Topp" in pervertierter Ausprägung. Dass alss Grund "Vermeidung unnötiger Kosten" angeführt wird, ist bezeichnend. In einem Staat, dessen öffentliche Haushalte in den Seilen hängen, werden ethische Grundsätze sehr schnell und mit leichter Handüber die Planke geschickt: Wirtschaftswachstum versus Menschlichkeit ist eben ein ungleicher Kampf, der zumeist auch ein lancierter ist. Deutschland respektive Detmold kränkelt nämlich sicher nicht an den gesetzlich fixierten Instrumenten der Mensschlichkeit. So etwas zu behaupten, käme unverantwortlicher, reaktionärer Propaganda gleich. Die Beschlusssvorlage 30/2003 für die heutige Ausschusssitzung offenbart außerdem einen weiteren erschreckenden Aspekt - die Automatisierung von Vorgängen, die Menschen betreffen. Dabei ist die entmenschlichte und scheinheilige Verwaltungsdiktion der Vorlage nur ein erwähnenswerter Punkt: "Verfahren bei der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern". Hübsch wird hier die feminine wie maskuline Form für die Betroffenen gewählt. Die von nüchternen Substantiven durchtränkten Sätze legen in ihrer Konsequenz zwar jegliche ethische Abwägung auf Eis - aber bitte schön, niemand sollte deshalb an der "political correctness" in der wunderschönen Stadt Detmold zweifeln.
Detmold@lz-online.de
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