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Nachrichten , 23.01.2016 :

Tages-Chronologie von Samstag, 23. Januar 2016

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www.hiergeblieben.de - Zusammenfassung - Samstag, 23. Januar 2016


Am 27. Januar 2016 liest die 86-jährige Holocaust-Überlebende Dagmar Lieblová, die als 13-Jährige mit ihrer Familie nach Theresienstadt deportiert wurde, in Petershagen aus ihrem Buch "Lebenserinnerungen".

Am 11. Februar 2016 beginnt der Auschwitz-Prozess gegen den Ex-SS-Unterscharführer Reinhold Hanning aus Lage, um 10.00 Uhr, in der Industrie- und Handelskammer im Leonardo-da-Vinci-Weg 2 in Detmold.

In 2015 will die revanchistische Rintelner "Landsmannschaft der Ostpreußen, Westpreußen und Danziger" zwölf Vorträge veranstaltet haben, in 2016 soll Detlef Suhr über die Hitler-Verehrerin Agnes Miegel reden.

Am 16. Januar 2016 gründete die Neonazi-Partei "Die Rechte", eigenen Angaben zufolge, in Bielefeld den "Kreisverband Ostwestfalen-Lippe", Sascha Krolzig (28) wurde demzufolge zum Kreisvorsitzenden gewählt

Am 21. Januar 2016 fand in der Lübbecker Stadthalle eine rassistische Veranstaltung des extrem rechten Kreisverbandes Minden-Lübbecke der "Alternative für Deutschland" mit ungefähr 50 Teilnehmenden statt.

Für den 24. Januar 2016 ist in Minden eine rassistisch-nationalistische Demonstration (Leitspruch: "Gegen Gewalt von Flüchtlingen") um 14.00 Uhr (Rathaus) und 500 zu erwartenden Teilnehmenden angekündigt.

Am 20. Januar 2016 gab die extrem rechte Partei "AfD" im Rat der Stadt Minden die neue Aufstellung der Fraktion mit Jens Altvater (Vorsitzender) sowie Elke-Margret Hennecke, als seine Stellvertreterin, bekannt.

Am 15. Januar 2016 wurde Alf Domeier in der Fraktionssitzung der extrem "Alternative für Minden" (AfM) im Mindener Stadtrat als Sprecher abgewählt, die Fraktionsgemeinschaft beendet und die AfM aufgelöst.

Am 7. Januar 2016 verbreitete der extrem rechte Kreisverband Minden-Lübbecke der AfD ("Alternative für Deutschland") ein unwahres Vergewaltigungs-Gerücht über Asylsuchende in einer Mindener Notunterkunft.

Am 28. Januar 2016 referiert Frederic Clasmeier (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW) in der Universität Bielefeld über die Strukturen und die Aktivitäten der extremen Rechten in Ostwestfalen-Lippe.

Am 19. Januar 2016 haben Mitglieder des am 16. Januar 2016 gegründeten "Kreisverband Ostwestfalen-Lippe" der Partei "Die Rechte", eigenen Angaben nach, an Bielefelder Gymnasien "Schulhof-CDs" verteilt.

In der dritten Januarwoche 2016 erhielten ein Fraktionsmitglied und die Geschäftsstelle von Bündnis 90 / Die Grünen in Blomberg - anonym an "das Weltfremde Gutmenschengeschmeiß" gerichtete - Drohbriefe.

Am 23. Januar 2016 kündigte der extrem rechte Kreisverband Paderborn der "Alternative für Deutschland" eine weitere Demonstration in Paderborn ("Rote Karte für Merkel und linksextremen Meinungsterror!") an.


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Artikel-Einträge in der Datenbank:


Mindener Tageblatt, 23./24.01.2016:
"Jemand hat sich verschrieben"

Neue Westfälische, 23./24.01.2016:
Ermittler wurden in der Nachkriegszeit oft ausgebremst

Neue Westfälische, 23./24.01.2016:
"Ein Verzeihen kann es nicht geben"

Schaumburger Wochenblatt, 23.01.2016:
Starkes Programm und konstante Mitgliederzahlen / Bei zwölf Veranstaltungen insgesamt 295 Besucher

Neue Westfälische 14 - Lübbecke (Altkreis), 23./24.01.2016:
Das Land soll bleiben, wie es ist

Mindener Tageblatt, 23./24.01.2016:
Wer hat Angst vor Flüchtlingen? / Privatperson organisiert Demo in Minden

Mindener Tageblatt, 23./24.01.2016:
AfD macht als Duo weiter / Nach dem Zerwürfnis bildet die Partei im Stadtrat eine eigene Fraktion

Neue Westfälische, 23./24.01.2016:
Vortrag über die extreme Rechte in OWL

Westfalen-Blatt, 23./24.01.2016:
Vortrag zu Neonazis in OWL

Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 23./24.01.2016:
Kommentar / Neonazi-Offensive in Bielefeld / Die hasserfüllte Fratze erkennen

Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 23./24.01.2016:
Neue Neonazi-Aktivitäten in Bielefeld

Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 23./24.01.2016:
Bielefeld: Eine Neonazi-CD sorgt in den Schulen für Gesprächsstoff

Lippische Landes-Zeitung, 23./24.01.2016:
Kommentar / Hetzer gehören an den Pranger

Lippische Landes-Zeitung, 23./24.01.2016:
Grüne erhalten Drohbrief

Neue Westfälische, 23./24.01.2016:
Nach Drohbrief Staatsschutz eingeschaltet

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Mindener Tageblatt, 23./24.01.2016:

"Jemand hat sich verschrieben"

MT-Interview: Dagmar Lieblová kam als Kind nach Auschwitz, Neuengamme und Bergen-Belsen. Jetzt liest die 86-jährige Zeitzeugin in Petershagen aus ihrer auf Deutsch erscheinenden Biografie.

Minden / Petershagen (lkp). Dagmar Lieblová wurde als 13-Jährige mit ihrer Familie in das KZ Theresienstadt deportiert. Später kam sie auch nach Auschwitz-Birkenau. In Kürze erscheint ihre Geschichte "Jemand hat sich verschrieben - und so habe ich überlebt". In der kommenden Woche liest sie daraus am Mittwoch, 27. Januar, um 19 Uhr im Städtischen Gymnasium Petershagen und führt Zeitzeugen-Gespräche mit Schülern in Petershagen und Minden. Mit 86-Jährigen sprach MT-Redakteur Jürgen Langenkämper.

Frau Lieblová, Sie wurden als älteste von zwei Töchtern jüdischer Eltern in Kutná Hora, eine Autostunde östlich von Prag, geboren. Spielte Religion, jüdische Kultur eine große Rolle in ihrer Erziehung?

Die Religion und jüdische Kultur spielten in unserer Erziehung keine große Rolle. Ich habe natürlich gewusst, dass wir eine jüdische Familie sind, mein Großvater hat mich ab und zu in die Synagoge mitgenommen, der andere Großvater hat uns beim Abschied immer gesegnet. Wir wurden jedoch als Tschechinnen, beziehungsweise damals als Tschechoslowakinnen erzogen.

Wann wurden Sie sich der Gefahr bewusst, in der Sie als junge Jüdin im Mitteleuropa der damaligen Zeit schwebten?

Als am 15. März 1939 der Rest der Tschechoslowakei von Nazi-Deutschland besetzt wurde, habe ich aus dem Verhalten meines Vaters begriffen, dass etwas sehr Schlimmes passiert sein musste. Denn er hat mir weinend mitgeteilt, dass wir keine Republik mehr haben.

Wann haben Sie das erste Mal von Theresienstadt und dem KZ dort gehört?

Genau weiß ich es nicht mehr, aber es musste kurz nach dem Anfang der Deportationen im Herbst 1941 sein.

Im Vergleich zu den großen Vernichtungslagern in Polen hört sich Theresienstadt immer etwas verniedlichend an. Wie war es wirklich?

Theresienstadt war natürlich überhaupt kein Paradies. Besonders für diejenigen, die nicht nach dem Osten deportiert wurden, und die ganze Zeit dort verbringen konnten, war es das Schlimmste in ihrem Leben. Aber verglichen mit den großen Vernichtungslagern, aber auch mit kleineren Lagern, wohin wir dann geschickt wurden, war das Leben in Theresienstadt erträglich. Trotz der schlimmen hygienischen Verhältnisse, den Flöhen, Wanzen, Hunger, schweren Krankheiten. Aber dort hatten wir noch unsere Sachen, die Familien wurden zwar getrennt untergebracht, man konnte sich jedoch jeden Tag sehen, und wir (die Häftlinge aus dem Protektorat) waren in gewisser Hinsicht noch zu Hause, also in Böhmen. Für die deutschen, österreichischen, dänischen und niederländischen Juden war dies natürlich anders.

Hatten Sie eine Ahnung, was Sie erwartete, als Sie nach Auschwitz verlegt wurden?

Nein.

Wie haben Sie Auschwitz-Birkenau überlebt?

Wegen beziehungsweise dank eines Fehlers in meinem Geburtsjahr - jemand hat sich verschrieben, das ist auch der Titel meiner Biografie - geriet ich unter die arbeitsfähigen Frauen und wurde zur Sklavenarbeit nach Deutschland geschickt.

Sie wurden auch nach Deutschland deportiert. Wo waren Sie überall?

Ich war in Hamburg, in drei Außenlagern des KZ Neuengamme: Dessauer Ufer, Neugraben und Tiefstack und zum Schluss im KZ Bergen-Belsen.

Wie haben Sie Ihre Befreiung erlebt?

Schwer krank in Bergen-Belsen.

Wie lange dauerte es, bis Sie ein halbwegs normales Leben führen und an Beruf und Familie denken konnten? Bis Sie wieder lachen konnten?

Ein paar Jahre hat es wohl gedauert. Lachen konnte ich vielleicht etwas früher, obwohl es eine Zeit im Lager gab, wo ich dachte, dass ich nie im Leben wieder lachen werde.

Hat ein Mensch, der Ihnen vor dem Grauen nahe stand, die Shoa überlebt?

Nein.

Nach allem, was Ihnen Deutsche angetan haben, ist es erstaunlich, dass die deutsche Sprache, vielleicht auch Teile der deutschen Kultur Ihr Leben geprägt haben. Wie kam es dazu?

Nach dem Abitur wollte ich an der Uni Sprachen studieren, aber sich 1951 um Englisch zu bewerben, schien mir mit meiner jüdischen Herkunft ohne Chance zu sein. So habe ich zum Tschechisch Deutsch gewählt. Mit dem, was uns passiert ist, habe ich die Sprache nie verbunden.

Wann war es Ihnen möglich, in Deutschen etwas anderes zu sehen als Mörder, deren Helfershelfer und deren Nachkommen?

Ich habe, so weit ich mich erinnern kann, nie alle Deutschen für Mörder gehalten. Geschweige denn dann die Nachkommen.

Ihre Lebensgeschichte erscheint jetzt auch auf Deutsch. Was hat Sie dazu bewegt?

Ich führe seit vielen, vielen Jahren die so genannten Zeitzeugen-Gespräche auch mit Deutschen, Erwachsenen wie Jugendlichen, werde auch ziemlich oft nach Deutschland zu solchen Gesprächen oder zu anderen Anlässen eingeladen. Und da entsteht sehr oft die Frage, ob meine Lebensgeschichte aufgeschrieben wurde. Nachdem also das Buch auf Tschechisch erschienen war, hat mein Mann damals gleich mit der Übersetzung angefangen. Ohne zu wissen, ob es mal auch erscheint. Und ich bin den beiden Organisationen, sowohl der AG Alte Synagoge Petershagen, als auch der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden sehr dankbar, dass das Buch nun wirklich herausgegeben werden kann.

Bildunterschrift: Gedenken an die Opfer: In Theresienstadt und in den Vernichtungslagern, in die von dort aus jüdische Männer, Frauen und Kinder aus ganz Mitteleuropa deportiert wurden, starben mehr als 120.000 Opfer. Weniger als 17.000 lebten bei Kriegsende noch und litten weiter unter den Folgen.

Bildunterschrift: Als Kind in Theresienstadt: Dagmar Lieblová.

Theresienstadt

Mehr als 140.000 Männer, Frauen und Kinder wurden während des Zweiten Weltkriegs in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Die meisten der Internierten kamen aus Böhmen und Mähren, 73.468 Bewohner, 42.821 aus Deutschland, 15.266 aus Österreich, 4.894 aus den Niederlanden, 1.447 aus der Slowakei, 1.150 aus Ungarn und 476 aus Dänemark sowie 1.260 Kinder aus Bialystok.

In Theresienstadt starben 33.456 Menschen. Direkt in dem KZ starben 6.152 tschechische Häftlinge - ungefähr jeder Zwölfte. Die Todesrate der deutschen Juden lag wegen der anderen Altersstruktur fast sechsfach höher - bei 48,6 Prozent. 20.848 Deutsche kamen um, darunter ehemalige Bürger aus Minden und Petershagen.

88.202 Internierte wurden weiter in Vernichtungslager deportiert. Von den 60.382 tschechischen Juden kamen 57.285 um, und von den 16.098 deutschen Juden überlebten weniger als 100. 764 Internierte konnten fliehen, und 1.654 wurden schließlich befreit. 276 Personen waren verhaftet und vermutlich umgebracht worden.

Bei Kriegsende am 9. Mai 1945 hatten 16.832 Bewohner überlebt. Davon waren 10.031 tschechische und 5.973 deutsche Juden. Die Todesraten nach dem "Vorzeigelager" Theresienstadt und weiterer Deportation lagen bei beiden Gruppen bei rund 86 Prozent.

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Neue Westfälische, 23./24.01.2016:

Ermittler wurden in der Nachkriegszeit oft ausgebremst

Wechsel: Jens Rommel ist neuer Chef der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen / In diesem Jahr stehen vier Verfahren wegen Verbrechen im Vernichtungslager Auschwitz an

Von Alexander Lang

Ludwigsburg. Jens Rommel will die Aktendeckel nicht zuklappen, sondern noch einmal richtig auf Spurensuche gehen. "Die Zeit drängt", sagt der neue Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg bei Stuttgart. Denn die Mitverantwortlichen und Helfer des Hitler-Regimes sind hochbetagt und oft verhandlungsunfähig. Viele der Menschen, die in Konzentrationslagern folterten und mordeten, sind bereits gestorben, ohne für ihr Tun zur Verantwortung gezogen worden zu sein. "Mord verjährt nicht", weiß der 43-jährige Jurist. Seit Oktober ist er Chefermittler der Zentralstelle, die 1958 als Behörde der Länderjustizverwaltungen eingerichtet wurde. Auch mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg müssten nationalsozialistische Verbrechen verfolgt werden, betont der Leitende Oberstaatsanwalt, der nicht verwandt ist mit dem Wehrmachtsgeneral Erwin Rommel. Nach Abschluss der Vorermittlungen übergibt die Zentralstelle ihre Fälle an die zuständige Staatsanwaltschaft. Die Zentralkartei enthält rund 1,7 Millionen Karteikarten.

Noch gut zehn Jahre Arbeit liegen vor den Ludwigsburger Ermittlern. Vier Verfahren stehen in diesem Jahr gegen Menschen an, die im Vernichtungslager Auschwitz eingesetzt waren: in Hanau, Kiel, Detmold und Neubrandenburg. Mehr als 7.500 Vorermittlungsverfahren hat die Zentralstelle in 58 Jahren eingeleitet. 18.000 Verfahren wegen NS-Verbrechen waren bei Staatsanwaltschaften und Gerichten anhängig. Unbehelligt sei mancher Nazi-Scherge in der frühen Nachkriegszeit auch deshalb geblieben, weil staatliche Stellen die Ludwigsburger Ermittler ausgebremst hätten, sagt Rommel.

Bildunterschrift: Chefermittler: Oberstaatsanwalt Jens Rommel.

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Neue Westfälische, 23./24.01.2016:

"Ein Verzeihen kann es nicht geben"

Das OWL-Interview: Irith Michelsohn, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, über den in Kürze in Detmold beginnenden Auschwitz-Prozesses und die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen

Frau Michelsohn, am 11. Februar beginnt in Detmold einer der letzten großen Auschwitz-Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wie denken Sie darüber?

Irith Michelsohn: Ich bin dankbar, dass es diesen Prozess gibt. Diese Taten können nicht verjähren. Auch nicht in Anbetracht des hohen Alters des Angeklagten. Es sind viel zu wenige Täter zur Verantwortung gezogen worden. Das ist erschreckend.

Der in Detmold angeklagte ehemalige SS-Mann Reinhold H. aus Lage wird der Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen beschuldigt. Was würden Sie ihm sagen, wenn Sie ihm heute gegenüber stehen würden?

Michelsohn: Dann würde ich ihn fragen, wie er überhaupt nach 1945 leben konnte, ob er auch nur eine ruhige Nacht hatte. Ich kenne Menschen, die die Schoah überlebt haben, die bis zu ihrem Tod keine ruhige Nacht mehr hatten auf Grund des Grauens. Wie kann jemand, der für den Tod von Hunderttausenden Menschen mit verantwortlich ist, überhaupt eine Familie gründen? Ob der Angeklagte letztlich vielleicht noch ein Jahr im Gefängnis sitzt, ist mir nicht wichtig.

Ist es sinnvoll, dieses Verfahren gegen einen 94-Jährigen durchzuführen?

Michelsohn: 94 ist natürlich ein hohes Alter. Auch wenn der Angeklagte nur zwei Stunden pro Verhandlungstag vor Gericht stehen kann, sollte man diese Zeit nutzen.

Was heißt es für Opfer, wenn nun Tathergänge im Detail ausgebreitet werden?

Michelsohn: Manchen Opfern tut es vielleicht gut, dass sie noch mal darüber sprechen können und die Welt anklagen können, dass sie dabei zugesehen hat. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass das eine oder andere Opfer zusammenbricht unter dieser Last. Ich habe Angst davor, dass es rechte Idioten geben kann, die wieder sagen: Das stimmt alles gar nicht. Wir kennen ja die Holocaust-Leugner. Ich wünsche mir, dass keiner der Nebenkläger mit so etwas in Berührung kommen muss.

Das öffentliche Interesse am Detmolder Prozess ist groß.

Michelsohn: Dass das Interesse, auch bei den Medien, groß ist, kann ich mir vorstellen. Ob es auch bei den Bürgern und einer breiten Öffentlichkeit groß ist, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist für mich erschreckend, dass es heute eine Generation gibt, die sagt, wir müssten endlich den Nationalsozialismus abhaken. Für mich kann es kein Verzeihen geben. Aber es gibt auch keine Opfer-Generation mehr. Ein Enkel kann nichts für die Taten seines Großvaters.

Es gibt Erfahrungen mit der Nazi-Gewalt, die Ihre eigene Familie erlitten hat.

Michelsohn: Ja, es sind auch Michelsohns in Auschwitz ermordet worden. Ich bin vor etwa zehn Jahren durch elf Vernichtungs- und Konzentrationslager in Polen gefahren. Insgesamt wurden 47 Familienangehörige von mir ermordet, väterlicher- wie mütterlicherseits. Was mich an diesen Orten sehr entsetzt hat, ist, mit welcher Akribie das alles erfasst wurde. Man bekommt im Archiv von Auschwitz etwa den genauen Todeszeitpunkt ausgehändigt. Manchmal wurde auch erfasst, ob derjenige ins Gas geschickt oder erschossen wurde. Die deutsche Bürokratie bekommt an solchen Orten etwas absolut Absurdes und Erschreckendes. Das hat mich und meine Familie geprägt.

Was bedeutet das?

Michelsohn: Man wächst anders auf als ein deutscher Bürger nicht-jüdischen Glaubens. Diese Unbeschwertheit kann es nicht geben. Eine Tante von mir hat Majdanek überlebt. Sie hat oft gesagt: Ich spreche kein Wort Deutsch mehr. Israel ist einfach das Land der Opfer. Es ist gut, dass wir Juden solch einen Zufluchtsort haben.

Wer trägt für die schleppende Verfolgung der Nazi-Verbrechen die Verantwortung?

Michelsohn: Ich glaube, dass man mit Gründung der Bundesrepublik damit erst mal nichts mehr zu tun haben wollte. Da das Land - was keine Entschuldigung ist - so ausgeblutet war von Menschen die dieses Land wieder aufbauen konnten, hat man da die Scheuklappen aufgezogen. Ich finde, das ist eine große Schuld. Ich kann deshalb auch verstehen, dass viele alte Juden nicht wollen, dass ihre Kinder nach Deutschland ziehen.

Irgendwann wird es keine Prozesse zu Nazi-Verbrechen mehr geben. Wenn Sie heute dieses Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte schon beschreiben müssten, wie fiele Ihr Urteil aus?

Michelsohn: Die Aufarbeitung dieser Verbrechen erfolgte sehr dilettantisch und minimalistisch. Viel zu wenige der Täter sind zur Verantwortung gezogen worden. Das gilt nicht nur für die Vernichtung der Juden, sondern auch für die Verfolgung der Sinti und Roma, der Homosexuellen und der politisch Verfolgten.

Der Detmolder Prozess findet in einem Klima gesellschaftlicher Umbrüche und Radikalisierung in Deutschland statt.

Michelsohn: Es ist schon beängstigend, was gerade in Deutschland passiert und dass alles auf die Flüchtlinge fokussiert wird. Der Staat hat hier eine besondere Verantwortung. Das ist eine enorme gesellschaftliche Aufgabe.

Das Gespräch führte Matthias Bungeroth.

Zur Person: Irith Michelsohn

In Tel Aviv geboren und in Franken aufgewachsen.

17 Transporte mit humanitärer Hilfe für Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von 1989 bis 1999.

1999 Aufbau und Leitung des Büros Soziale Dienste Ostwestfalen für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe.

Von 1999 bis 2010 Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld, 2013 wiedergewählt.

Seit 2003 Geschäftsführerin der Union progressiver Juden in Deutschland und des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden in Nordrhein-Westfalen.

Bildunterschrift: Nachdenklich: Irith Michelsohn, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in Bielefeld.

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Schaumburger Wochenblatt, 23.01.2016:

Starkes Programm und konstante Mitgliederzahlen / Bei zwölf Veranstaltungen insgesamt 295 Besucher

Rinteln (ste). Joachim Rebuschat ist Vorsitzender der Landsmannschaft der Ostpreußen, Westpreußen und Danziger. Eine immer weniger werdende Menge Menschen, wie man meinen möchte, doch die Rintelner Landsmannschaft hält sich wacker. 32 Mitglieder hat sie und ist sehr aktiv. Bei zwölf Veranstaltungen konnten 295 Besucher gezählt werden, davon 80 Gäste.

Besonders die interessanten Vorträge hatten es den Besuchern angetan, darunter Dr. Hans-Walter Butschke aus Lemgo mit "Ohne Thesen nichts gewesen: Martin Luther" oder "Tier- und Pflanzenwelt in den Seen Ost- und Westpreußens". Auch Filmvorführungen von Joachim Berg fanden Zuspruch. Rebuschat bedankte sich bei den Referenten und hoffte, dass sich auch in diesem Jahr wieder viele bereiterklären, ihre Erfahrungen und Informationen an die Mitglieder weiter zu geben. Das Jahresprogramm 2016 sieht schon jetzt viele Vorträge vor, darunter wieder Filmvorträge von Joachim Berg, einen Vortrag von Dr. Heinz Schürmann über Danzig, Dr. Hans-Walter Butschke informiert über Lieder aus Ostpreußen und Ekkehard Schlicht über die ermländischen Städte und ihre Wappen. Auch Eckard Strohmeier vom Seniorenbeirat der Stadt Rinteln wird Gastreferent bei der Landsmannschaft sein und Detlef Suhr aus Bad Nenndorf, der über Agnes Miegel berichtet.

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Neue Westfälische 14 - Lübbecke (Altkreis), 23./24.01.2016:

Das Land soll bleiben, wie es ist

AfD Minden-Lübbecke: Referent plädiert in der Stadthalle für Beibehaltung des deutschen Wertekanons aus Judentum, Christentum, Humanismus und Aufklärung

Von Frank Hartmann

Lübbecke. "Deutschland soll bleiben, wie es ist." Dies war eine von zahlreichen Forderungen, mit denen am Donnerstagabend der frühere Professor für Sozialpsychologie und Kulturkritik an der Hochschule Merseburg, Friedhelm Tropberger, etwa 50 Zuhörer in der Stadthalle über die Position der AfD in der Flüchtlingsdiskussion informierte. Dabei betonte Tropberger, fachpolitischer Landessprecher der AfD in Nordrhein-Westfalen für den Bereich Zuwanderung und Integration: "Wir verweigern keine Hilfe, aber wir fordern eine klare Trennung von Flüchtlingen und Einwanderern."

Fast eineinhalb Stunden informierte Tropberger an Hand von Zahlen und Fakten über Hintergründe und die aktuelle Lage. "Scharfmacherei", unterstrich der AfD-Kreisvorsitzende Minden-Lübbecke, Markus Wagner, sei das nicht. Auch dem Vorwurf, die AfD habe keine Lösungen anzubieten, wolle man mit den Ausführungen des Gastredners begegnen.

Der verwies auf den von ihm mit entworfenen Leitantrag der AfD NRW zu Asyl und Migration, der hundertprozentige Zustimmung beim Landesparteitag erhalten habe. Der Antrag besteht aus 14 Forderungen wie "Zurück zu Recht und Gesetz", "Der Staat muss die nationale Identität schützen" und "Asyl-Obergrenzen sind rechtmäßig und notwendig". Würden alle Punkte umgesetzt, könne das "Asyl-Chaos" beendet werden.

Besonders arbeiteten Tropberger und Wagner sich an Bundeskanzlerin Angela Merkel ab, die "mit Billigung der USA" zur mächtigsten Frau der Welt geworden sei und immer im Interesse der Amerikaner handele. Mit ihr an der Spitze seien Straßen, Brücken, Schulen, Bundeswehr und Polizei "weggespart" worden. Zugleich habe sich Deutschland angesichts des Fachkräftemangels von einem Entwicklungsgeber- zu einem Entwicklungsnehmerland entwickelt, das ohne ausländische Fachkräfte nicht mehr auskomme. Während in Deutschland gut ausgebildete junge Türken zurück in die Türkei gingen, halte der "Zuzug bildungsferner Menschen" an. Unter anderem deshalb fordert die AfD Grenzkontrollen.

Und Abschiebungen. Tropberger sagte, in Deutschland lebten derzeit 200.000 offiziell abgelehnte Asylbewerber. Allein in NRW gebe es 65.000 von ihnen, davon geduldet würden 55.000. Als Grund vermutet er, Politiker "wollen wiedergewählt werden".

Wohlwollend registrierten die Lübbecker und Espelkamper Mitglieder des Arbeitskreises Islam, dass Tropberger auch einen deutschen "Wertekanon" forderte, der für eine erfolgreiche Integration notwendig sei. "Judentum, Christentum, Humanismus und Aufklärung haben uns geprägt", sagte der Referent und ergänzte: "Das sind wir. Der Islam gehört nicht dazu." Der Islam gehöre auch nicht zu Deutschland. "Ein schrecklicher Satz", so Tropberger, der an anderer Stelle sagte: Auch wenn sie mehr Flüchtlinge aufnehme und Deutschland dadurch entlaste, sollte die Türkei "keinesfalls aufgewertet und ihr EU-Beitritt befördert" werden.

Die Verlagerung von Asylverfahren außerhalb der EU, Registrierungsstellen in Südeuropa und Zuwanderungskontrolle nach kanadischem Vorbild rundeten die AfD-Vorschläge zur Lösung der Flüchtlingssituation ab.

Bildunterschrift: Rhetorisch geübt: Friedhelm Tropberger verpasste den Regierungsparteien in der Lübbecker Stadthalle neunzig Minuten lang eine verbale Klatsche nach der anderen. Weil kein Vertreter etablierter Parteien anwesend war, blieben alle Aussagen unwidersprochen.

Bildunterschrift: AfD-Kreisvorsitzender: Markus Wagner erhielt Applaus für seine Kritik an "verfehlter US-Außenpolitik".

Kommentar / AfD-Referat in der Stadthalle / Einsame Erklärer

Frank Hartmann

In Lübbecke zeigt die AfD sich bislang als einziger Erklärer aus dem bekannten Parteienspektrum, wenn es um die Flüchtlings- und Zuwanderersituation geht. Anders als beim ersten AfD-Vortrag in der Stadthalle vor einem halben Jahr hat der Referent nicht nur rhetorisch geschickt sämtliche Missstände aufgezeigt und sich darauf beschränkt, Forderungen aufzustellen. Friedhelm Tropberger hat den Zuhörern, die übrigens nicht durch volksverhetzende Zwischenrufe oder radikale Wortbeiträge aufgefallen sind, auch Lösungsvorschläge genannt.

Über die Vorstellung der AfD von "Nationaler Identität" und ihres Schutzes müsste angesichts der Globalisierung mit ihren internationalen Verflechtungen und Verpflichtungen auf allen Ebenen diskutiert werden. Leider halten die etablierten Parteien es bisher nicht für nötig, sich dieser Auseinandersetzung zu stellen. Auch eigene Informationsangebote fehlen.

So entsteht der Eindruck: In Berlin streiten CDU, CSU und SPD, in Lübbecke kümmert sich nur die AfD um das Thema Nummer eins. Das verstehe, wer will.

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Mindener Tageblatt, 23./24.01.2016:

Wer hat Angst vor Flüchtlingen? / Privatperson organisiert Demo in Minden

Minden (sk). In Minden soll es am morgigen Sonntag eine Kundgebung von Menschen mit Sorge durch Zuwanderung geben. Wie die Polizei bestätigt, habe eine Privatperson eine entsprechende Veranstaltung angemeldet. Die Demonstration unter dem Motto "Gegen Gewalt von Flüchtlingen" beginnt um 14 Uhr vor dem Mindener Rathaus. Nach einem Auftakt soll sich ein Aufzug vom Kleinen Domhof über den Scharn und die Bäckerstraße zum Großen Domhof und zurück auf den Kleinen Domhof bewegen. Dort soll es zum Abschluss noch eine Ansprache geben.

Laut Polizei habe der Veranstalter eine Maximalzahl von 500 Teilnehmenden genannt. Nach Kenntnisstand von Freitag sei von einem störungsfreien Verlauf auszugehen, erklärte Polizeisprecher Thomas Bensch. "Die Polizei behält die Vorbereitungen der Veranstaltung im Auge und wertet Medien sowie Soziale Netzwerke im Vorfeld aus."

Der Veranstalter hatte sich übrigens schon am Donnerstag beim MT gemeldet, um auf seine Demo aufmerksam zu machen. Er erklärte, dass diese auf Sozialen Netzwerken intern beworben werde. Zu diesem Zeitpunkt nannte er noch eine Teilnehmerzahl von 1.000 Personen.

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Mindener Tageblatt, 23./24.01.2016:

AfD macht als Duo weiter / Nach dem Zerwürfnis bildet die Partei im Stadtrat eine eigene Fraktion

Minden (sk). Nach dem Zerfall der Fraktionsgemeinschaft Alternative für Minden (AfM) hat sich die Alternative für Deutschland (AfD) im Mindener Stadtrat neu aufgestellt. Wie das MT berichtete, wurde Dr. Alf Domeier als Mitglied der Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA) der Vorsitz der AfM-Fraktion entzogen.

Vertreten ist die neue AfD-Fraktion mit dem Stadtverordneten Jens Altvater als Vorsitzendem und der Stadtverordneten Elke-Margret Hennecke als seiner Stellvertreterin. Beide gehörten bislang der AfM-Fraktionsgemeinschaft an. Gewählt wurden Klaus Hennecke zum Fraktionsgeschäftsführer sowie Erika Rudolph und Dr. Ratbod Rudolph zu sachkundigen Bürgern. Neu als sachkundiger Bürger und Pressesprecher der Fraktion kommt Burkhard Brauns.

"Vertuschung, Verharmlosung, Verschleierung und Verschweigen"

Nach der Gemeindeordnung können in Kreisen Parteien ihre Fraktionen aus mindestens zwei Personen bilden. Die Besetzung von Ausschüssen nach einer Kommunalwahl bleibt von späteren Veränderungen zunächst unberührt, so dass Domeier voraussichtlich weiterhin in den von ihm besetzen Gremien verbleiben kann. Als stimmberechtigtes Mitglied ist der ALFA-Stadtverordnete unter anderem im Betriebsausschuss und im Haupt- und Finanzausschuss vertreten.

Wie Burkhard Brauns auf MT-Anfrage erklärte, sei es zur Trennung von Domeier auf Grund von "Unterschieden in der Bewertung von Sachthemen" gekommen. In der vergangenen Woche hat Domeier angegeben, dass es auf Grund eines Eintrags auf der Facebook-Seite der AfD zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war.

Ursprünglich hatte die AfD dort ein durch nichts bewiesenes Gerücht von einer Vergewaltigung in einer Flüchtlingsunterkunft verbreitet. Dies wurde am 9. Januar durch eine Erklärung ersetzt. Darin formulierte die AfD, dass eine polizeiliche und staatsanwaltliche Bestätigung des Postings noch ausstünde - verbunden mit der Behauptung, dass man sich "in einem Klima von Vertuschung, Verharmlosung, Verschleierung und Verschweigen von Straftaten" - insbesondere der von Migranten - befinde.

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Neue Westfälische, 23./24.01.2016:

Vortrag über die extreme Rechte in OWL

Bielefeld. "Die extreme Rechte in OWL" lautet der Titel einer Vortragsveranstaltung, zu der die ver.di-Jugend NRW am Donnerstag, 28. Januar, 18 Uhr an die Universität Bielefeld (Gebäude Q, Raum Q0-101) einlädt. Referent ist Frederic Clasmeier von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus NRW.

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Westfalen-Blatt, 23./24.01.2016:

Vortrag zu Neonazis in OWL

Bielefeld (WB). Um "Die extreme Rechte in OWL" geht es am Donnerstag, 28. Januar, in einem öffentlichen Vortrag an der Bielefelder Universität. Referent Frederic Clasmeier von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus NRW wird dann beleuchten, wie Neonazis versuchen, ihre Strukturen in der Region auszubauen und verstärkt in die Öffentlichkeit zu treten. Beginn ist um 18 Uhr im Gebäude Q, Raum Q0-101.

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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 23./24.01.2016:

Kommentar / Neonazi-Offensive in Bielefeld / Die hasserfüllte Fratze erkennen

Von Jens Reichenbach

Zur aktuellen Flüchtlingssituation hat jeder eine Meinung. Ich natürlich auch. Zu präsent ist die Debatte über die Uneinigkeit Europas, die Kritik an der Politik und das Entsetzen über bürokratische Mängel im Asylverfahren. Und immer öfter ist in diesen Meinungen auch eine ablehnende Stimmung spürbar. Ablehnend gegenüber den etablierten Politikern, aber auch ablehnend gegenüber den Menschen, die aus der Not heraus nach Deutschland gekommen sind. Längst nicht alle von ihnen kommen aus Kriegsgebieten, viele haben Anpassungsschwierigkeiten und manche sind sogar kriminell.

Für Neonazis und Rechtspopulisten ist diese Ablehnung ein gefundenes Fressen. Ihr Hass auf das Fremde und ihre Angst um das deutsche Volk scheinen endlich Nährboden zu finden. Selbstbewusst stellen sie sich daher hin und verteilen Flugblätter oder Propaganda-CDs für Schüler.

"Das ist ja wohl ein starkes Stück", denke ich. "Das müssen die Bielefelder wissen - Eltern, Lehrer, Schüler, alle." Ich frage nach Hintergründen, suche Erklärungen, erfahre von der ausgeklügelten Strategie der Neonazis. Als Schaf im Wolfspelz tauchen sie im Rathaus auf und geben sich sachkundig und asylkritisch. Unter dem Pelz lacht aber die hasserfüllte Fratze einer fast vergessenen Ideologie.

Ich denke: "Das wird viele interessieren." Kollegen bestätigen das. Trotzdem ist mir bewusst, dass ich mich mit jedem Bericht auch zum Werbekomplizen der Nazis mache. So eine Öffentlichkeit haben die lange nicht mehr gehabt - geschweige denn verdient. Gerade jetzt ist es aber wichtig zu erkennen, wer unter den vielen Kritikern das Zusammenleben in unserer Demokratie erhalten will - und wer ihren Untergang wünscht.

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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 23./24.01.2016:

Neue Neonazi-Aktivitäten in Bielefeld

Rechtsextremismus: Sascha Krolzig (28) versucht, mit Flugblättern und Schulhof-CDs Mitstreiter für seine Partei zu gewinnen / Experten raten zu Aufklärung und Enttarnung seiner Strategie

Von Jens Reichenbach

Bielefeld. Die vielstimmige Kritik an der Asylpolitik in Deutschland spült derzeit auch zahlreiche Neonazis und Rechtsextreme an die Oberfläche. Auch in Bielefeld, wo Rechtsextreme lange Zeit keine Rolle gespielt haben. Sascha Krolzig, seit über zehn Jahren in der Neonazi-Szene aktiv, ist bereits 2010 für sein Jurastudium nach Bielefeld gezogen. Jetzt plötzlich versucht er, Mitstreiter für seine Partei "Die Rechte" zu finden. Zuletzt verteilte er in der Nähe des Helmholtz-Gymnasiums an Jugendliche Schulhof-CDs.

Darauf finden sich Infos zum neu gegründeten Kreisverband Ostwestfalen, rechtsextreme Propaganda, Flugblätter sowie Videos und Musiktitel rechter Rockbands und Liedermacher. Die Songs sind altbekannt von Propaganda-CDs der NPD, die bereits zwischen 2004 und 2011 erschienen sind. Neu hingegen sind Fotos mit demagogischen oder nationalpathetischen Sinnsprüchen, die sich leicht in Sozialen Netzwerken posten oder per Handy verbreiten lassen.

Die Bielefelder Schulen und ihre Schüler sind längst gewappnet. Schulamtsleiter Georg Müller hat per Mail darauf hingewiesen, dass sie sofort die Polizei alarmieren sollen, auch wenn sich die Verteiler nur auf dem Gehweg vor dem Schulgelände aufhalten. Die Direktoren und Lehrer haben ihre Schüler sensibilisiert. Der Staatsschutz ermittelt. Im Helmholtz-Gymnasium werden die Inhalte der verteilten CD bereits im Unterricht besprochen. Dort empfindet man es als eine "miese Tour", da Schüler in dem Alter noch leichter zu beeinflussen seien als Erwachsene. Dorothea Bratvogel, Leiterin des Helmholtz-Gymnasiums, weiß zwar auch von der Neugierde der Jugendlichen, setzt aber auf deren kritische Fähigkeiten: "Die Schüler werden bei uns wie auch am Helmholtz sehr früh geschult, kritisch hinzuschauen. Ich bin zuversichtlich, dass sie keiner von ihnen mit dieser CD gewinnen lässt." Deshalb rät die Pädagogin auch Eltern, sich die Inhalte mit ihren Kindern zusammen anzusehen und darüber zu sprechen: "Wir sollten die CD nicht tabuisieren, das macht sie nur interessant. Wir sollten ihre Inhalte aber demaskieren."

Karsten Wilke von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in OWL", bestätigt: "Ich sage zu Aufklärung ja. Aber man sollte die Aktion nicht zum Tabubruch schlechthin erheben. Denn für die Rechte ist der größte Erfolg bereist erreicht: Man spricht über sie."

Werden dann überhaupt noch CDs verteilt? Krolzig schreibt auf Anfrage: "Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Jahres eine Auflage im hohen dreistelligen Bereich herstellen werden." Er wolle damit Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren ansprechen und sie über seine Partei und ihre "an deutschen Interessen orientierte Politik" informieren. Außerdem kündigte er an, vor allem im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften Flugzettel in fünfstelliger Stückzahl an private Haushalte zu verteilen.

Wiebke Esdar vom "Bündnis gegen Rechts" nennt Krolzig bisher einen Einzelkämpfer in Bielefeld. Tim Sauer (24) aus Bielefeld und Stefan Koch (54) aus Löhne, die seit dem 16. Januar als seine Stellvertreter bekannt sind, seien keine echten Protagonisten. Bei Veranstaltungen trat Krolzig mit dem "reanimierten" Bielefelder Alt-Neonazi Meinhard Otto Elbing auf. "Das zeigt, dass er ein Nachwuchsproblem hat", sagt Esdar.

Aber der 28-Jährige hat aktuell viel Zeit, seitdem ihm das Oberverwaltungsgericht auf Grund seiner Vorstrafen (Volksverhetzung, Beleidigung, Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) im August das Rechtsreferendariat verwehrt hatte, und somit das zweite Staatsexamen für den 28-Jährigen unmöglich ist. Seitdem suche er Anerkennung.

Dabei komme ihm die aktuelle Schwäche der Bielefelder AfD entgegen, so Esdar. Laut Wilke nutze der Rechtsextreme deshalb gezielt öffentliche Auftritte bei städtischen Infoveranstaltungen zu Flüchtlingsunterkünften, um "als politischer Akteur" sichtbar zu werden. "Dass organisierte Neonazis wie Krolzig und Co. ins Rathaus gehen und am Mikrofon sprechen, ist Ausdruck eines gestiegenen Selbstbewusstseins."

Die Partei verfolge dabei übergreifend die Strategie, bei solchen Auftritten "auf Ängste abzuheben, die tatsächlich existieren", sagte Wilke. Krolzig präsentiere sich daher konsensfähig und scheinbar sachkundig. Dabei arbeite er mit irgendwelchen Rechenbeispielen, die sich in einer Diskussion nicht einfach aushebeln ließen. "Darin sind die eigens geschult."

Deshalb rät Wilke, sich gar nicht auf eine Diskussion einzulassen. Wer es argumentativ versuche, gerate automatisch in ihre Rechtfertigungsfalle, weil er für die Demokratie einstehe. "Es ist wichtig, dieses Vorgehen als Strategie zu entlarven. Denn diese scheinbare Sachlichkeit soll nur knallharte neonazistische Positionen verdecken." Klartext werde an anderer Stelle - etwa bei den Stammtischen - gesprochen, sagt Wilke.

Wiebke Esdar betont: "Sascha Krolzig ist seit über zehn als Neonazi aktiv. Bei ihm ist die ablehnende Haltung des Systems tief verankert." So habe er weiterhin Kontakte zu Geschichtsrevisionisten und zu nationalen Sozialisten aus Bad Nenndorfer Kreisen. Seine Partei sei antisemitisch und nicht mehr nur rechtspopulistisch. "Wir glauben daher, dass sich Menschen, die sich derzeit mit harscher Flüchtlingskritik beschäftigen, trotzdem von so einem Neonazi distanzieren werden."

Bildunterschrift: Gesprächsstoff: Neonazis haben kürzlich - wie bei dieser gestellten Szene - ihre so genannte Schulhof-CD "Eine Jugend rebelliert" nach Unterrichtsende an Jugendliche verteilt.

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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West, 23./24.01.2016:

Bielefeld: Eine Neonazi-CD sorgt in den Schulen für Gesprächsstoff

Bielefeld. Die Idee ist nicht neu und die Inhalte auch nicht. Trotzdem setzt der Bielefelder Neonazi Sascha Krolzig derzeit darauf, mit seiner Schulhof-CD (siehe Foto) bei Jugendlichen Interesse für seine rechtsextreme Politik zu wecken. Experten glauben nicht an den Erfolg der Aktion. Gesprächsstoff ist sie dennoch.

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Lippische Landes-Zeitung, 23./24.01.2016:

Kommentar / Hetzer gehören an den Pranger

Marianne Schwarzer hält es für den falschen Weg, Drohbriefe totzuschweigen.

Wir Journalisten kennen das: Wer bei umstrittenen Themen klar öffentlich Position bezieht, der handelt sich unter Umständen Kritik, mitunter anonyme Briefe ein. Das gehört zum Job. Auch hier hat sich der Ton seit der Diskussion um die Flüchtlinge verschärft, das müssen wir ertragen. Doch es gibt Grenzen, und die sind erreicht, wenn Volksverhetzung oder Gewaltandrohung im Spiel sind: Das sind Straftaten.

Der feige Briefschreiber, der die Blomberger Grünen nicht nur beschimpft, sondern auch noch droht, sie "krankenhausreif" schlagen zu wollen, ist zu Recht angezeigt worden. Damit wollten die meisten Mitglieder der Grünen-Ratsfraktion es auch bewenden lassen, unter anderem aus Angst vor Nachahmern und weil sie dem Urheber kein Forum bieten wollen. Solche Schmierereien gehören öffentlich angeprangert, auch wenn man die Autoren für Spinner hält.

Wir - und da schließe ich nicht nur uns Journalisten, sondern auch jeden Einzelnen von Ihnen, liebe Leser, ein - dürfen all die braune Hetze, die sich in soziale Netzwerke, in unsere Briefkästen und elektronischen Postfächer ergießt, nicht schlucken.

Das Blomberger Machwerk war anonym. Angst und Bange muss uns werden, wenn Menschen ihre Hetzparolen - wie im Netz bereits Fakt - auch noch mit Klarnamen verbreiten. Dazu darf niemand schweigen. Nie.

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Lippische Landes-Zeitung, 23./24.01.2016:

Grüne erhalten Drohbrief

Strafanzeige: Eine angebliche Bürgerwehr soll in der Nelkenstadt patrouillieren, um nach Köln "den Schutz der Blomberger Frauen" zu organisieren. Jetzt ermittelt der Staatsschutz

Von Marianne Schwarzer

Blomberg. In der Geschäftsstelle von Bündnis 90 / Die Grünen an der Neuen Torstraße ist ein anonymes Schreiben eingegangen, in dem die Lokalpolitiker massiv bedroht werden. Es ist gerichtet an "das Weltfremde Gutmenschengeschmeiß" und bezieht sich auf die "Massenschändung vom jungen Frauen in Köln in der Neujahrsnacht".

Angeblich hätten sich "Deutsche Blomberger" und "die hier heimischen Blomberger mit Migrationshintergrund" entschlossen, den Schutz der Blomberger Frauen selber zu organisieren, man wolle nächtens Patrouille laufen. "Aber auch die Helfershelfer der Frauenschänder werden nicht ungestraft davonkommen, für jede in Blomberg durch Asylanten geschändete Frau, wird ein Grüner Mandatsträger krankenhausreif geschlagen", heißt es dort wörtlich. Unterzeichnet ist der anscheinend am Computer getippte Brief mit "Gründgens".

Bereits kurz zuvor hatte ein Fraktionsmitglied einen Drohbrief erhalten - vom selben Autor, wie die Grünen vermuten. Anlass sei ein offener Brief auf der Homepage und im Schaufenster der Grünen-Geschäftsstelle gewesen. Nachdem eine Blomberger Postille einen Artikel mit dem Titel "Fehlender Integrationswille oder fehlendes Wissen" zur Flüchtlingsproblematik veröffentlicht hatte, hatten die Grünen dies als "tendenziöse" Berichterstattung angeprangert und den Autor zur Distanzierung von "rechtsradikalen" Inhalten aufgefordert. Darauf ging der erste Drohbrief an die Privatadresse des Ratsmitgliedes. Über Details schweigt sich der Adressat aus.

Die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Heike Niedermeier hat beide anonymen Briefe der Polizei gebracht und Strafanzeige erstattet, wie sie der LZ bestätigte. Allerdings hätte sie es am liebsten, wenn gar nicht darüber berichtet würde: "Wir wollen solchen Leuten kein Forum geben", sagte sie. Das sieht ihr Fraktionskollege Timo Broeker anders: "Man sollte offensiv damit umgehen und zeigen, was da eigentlich abgeht", sagte er gestern der LZ.

Der Ratsherr lässt sich nicht einschüchtern: "Aber ich kenne eine Menge Leute, die echt mal deutlich Stellung beziehen sollten. Wir müssen schon was dafür tun, dass die Stimmung in unserem Land gut bleibt", betonte er.

Von nächtlichen Patrouillen in der Nelkenstadt ist nach Informationen der LZ auf der Blomberger Wache nichts bekannt. Auch die Polizeibehörde in Detmold hat keine Informationen darüber, dass es im Kreis Lippe "Bürgerwehren" gibt, die patrouillieren. Die Drohbriefe wurden gestern nach Bielefeld geschickt, mit den beiden Schreiben befasst sich jetzt der Staatsschutz. Ob es weitere Schreiben gibt, die an andere Personen oder Parteien adressiert sind, wollte die Pressestelle gestern nicht bestätigen.

Bildunterschrift: Lässt sich nicht einschüchtern: Grünen-Ratsherr Timo Broeker.

Kommentar: Seite 10

Kritik an Flüchtlingspolitik kommt bei Parteien an

Umfrage: Verbale Entgleisungen in Mails und Briefen sind aber bislang die absolute Ausnahme / Die lippische CDU verzeichnet mehr Austritte von Mitgliedern

Kreis Lippe (sew). Der Ton wird kritischer, aber der Drohbrief, der an die Blomberger Grünen adressiert war, scheint die Ausnahme zu sein. Die LZ hat bei den Parteien, der Lippischen Landeskirche und beim Kreis nachgefragt.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, Werner Loke, hatte gestern von den Vorfällen in Blomberg noch gar nichts gehört. "Wir verzeichnen bislang keine Mails, in denen über Flüchtlinge gehetzt wird. Es ist sachlich kritisch", stellte er fest. Eine Nachfrage in der SPD-Geschäftsstelle in Detmold brachte das gleiche Ergebnis.

Auch Kerstin Vieregge, Kreisvorsitzende der CDU, spricht nicht von verbalen Entgleisungen. "Wir bekommen mehr Post, sollen uns dafür stark machen, dass die Kanzlerin ihre Flüchtlingspolitik ändert. Aber alles ist in moderatem Ton verfasst - kritisch eben. Und damit muss man sich auch auseinandersetzen, das gehört zur Demokratie." Sie stellt allerdings fest, dass mehr Mitglieder aus der CDU austreten.

Im Kreishaus läuft nach Angaben der Pressestelle wenig von Bürgern auf, was mit Flüchtlingspolitik zu tun hat. "In einem Brief wurde der Landrat aufgefordert, es wie sein bayerischer Amtskollege zu handhaben und die Flüchtlinge weiterzuschicken", hieß es aus der Pressestelle. Die Lippische Landeskirche, die viele Projekte für Flüchtlinge unterstützt, erlebt hingegen weiterhin viel positives Engagement. "Dass Ehrenamtliche angefeindet werden, ist bislang zum Glück nicht vorgekommen", sagte Pressesprecherin Birgit Brokmeier.

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Neue Westfälische, 23./24.01.2016:

Nach Drohbrief Staatsschutz eingeschaltet

Blomberg. Ein anonymer Briefschreiber hat einen Drohbrief an die Geschäftsstelle der Blomberger Grünen geschickt. Der Urheber wendet sich darin an das "weltfremde Gutmenschengeschmeiß". Er droht ihnen Prügel an. Die Grünen haben den Brief der Polizei gebracht, jetzt ermittelt der Staatsschutz.

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