Blick nach Rechts ,
05.01.2016 :
Tarnung: Wandervogel
Von Julian Feldmann / Andrea Röpke
Die Anführer des völkisch-nationalistischen "Sturmvogel - Deutscher Jugendbund" scheuen die Öffentlichkeit. Aus gutem Grund, sie sind angehende Lehrer. Silvester erhielt der Bund mit seinem Winterlager Hausverbot bei den Pfadfindern.
Seit Jahren wird der Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder e.V. (BdP) nicht müde, sich immer wieder öffentlich von neonazistischen und völkischen Gruppen zu distanzieren und nachhaltig Aufklärungsarbeit zu leisten. Dass sich jetzt ausgerechnet der als rechts geltende "Sturmvogel - deutscher Jugendbund" im Zentrum des BdP in Hessen einmietete, fasst nicht nur der stellvertretende Bundesvorsitzende Oliver Wunder als Provokation auf. Er sieht darin auch den Versuch, die bewusste politische Abgrenzung zu umgehen und sich als vermeintlich harmlose Gruppe zu etablieren. Zuletzt im Sommer hatten nicht nur ehemalige Aktivisten der verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) ihren Nachwuchs beim "Sturmvogel" abgeliefert beziehungsweise am Lagerleben in Brandenburg teilgenommen, sondern auch der Schweizer Holocaust-Leugner Bernhard Schaub, der inzwischen in Mecklenburg-Vorpommern lebt, war dabei.
Inzwischen scheinen die Organisatoren des "Sturmvogels" getarnt vorzugehen. Als "Wandervogel-Gruppe" mietete ein Schweizer Zimmermann, der mit seiner Familie nahe Himbergen in der Lüneburger Heide lebt, unter anderem Sippenhäuser, 10er Zimmer, die Selbstversorgerküche sowie den Saal der Pfadfinder für über 3.000 Euro in Immenhausen an. Das Lager in Hessen mit rund 65 Kindern begann am 27. Dezember und sollte nach Silvester mit 100 Gästen, darunter vielen Erwachsenen, in einem "Bunten Abend" mit Fackelzug und Feuerstoß enden. Ganz ähnlich hatte auch die "Heimattreue Deutsche Jugend" ihren Nachwuchs betreut. Nicht nur die Veranstaltungen gleichen sich, sondern es gibt eben auch personelle Überschneidungen. Daher, so Oliver Wunder, zählen die "Sturmvögel" auch zu den Gästen, die "unerwünscht" sind, da sie unter einem Deckmantel völkische Kinder- und Jugendfreizeiten durchführen.
Bekannte rechtsextreme Frauen bei der Küchenarbeit
Auf Uniformen und grüne Kluft mit dem schwarz-weiß-rotem Sturmvogel-Symbol verzichteten die Anführer nach öffentlich gewordenen Berichten ihres Sommerlagers diesmal wohlweislich. Dennoch verrieten Frisuren, altertümliches Outfit und militärisch anmutendes Auftreten die Gruppe, nachdem sie sich am Rande des Reinhardswaldes im Zentrum Pfadfinden in Immenhausen einquartiert hatten. Nach dem Besuch einer Eissporthalle im 15 Kilometer entfernten Kassel mussten sich die Kinder und Jugendlichen wie gewohnt, nach Größe geordnet, in einer Reihe aufstellen, wie antifaschistische Gruppen aus der Region bemerkten. Während der Woche soll es ein "Geländespiel" im Wald gegeben haben und am Silvestertag trugen die Jungen dann Baumstämme hinter das Anwesen.
Die Küchenarbeit des "Sturmvogel"-Lagers in Immenhausen übernahmen wieder einmal Petra Müller aus Lalendorf und Ingeborg Godenau. Müller, war ehemals in der HDJ aktiv, hatte 2006 den NPD-nahen "Ring Nationaler Frauen" mitgegründet. Ingeborg Godenau ist eine der bekanntesten rechten Frauen in Hessen, ihr Ehemann engagiert sich in der NPD. Jüngere Männer mit einem Wagen aus Nordfriesland kontrollierten die Zufahrten. Zu Silvester fuhren Erwachsene aus dem Ilm-Kreis, aus Boitze bei Uelzen oder aus Bautzen heran.
Werte und Normen der eigenen "Sippe"
Kinder und Jugendliche aus den Familien von "Artamanen", "Artgemeinschafts"-Anhängern und Siedlern aus der Lüneburger Heide haben sich dem verordneten Freizeitprogramm der Eltern zu fügen. Die meisten stammen aus so genannten Sippen, in denen bereits die Großeltern dem Nationalsozialismus anhingen. Ihnen wird früh eingetrichtert, zu einer deutschen Elite zu gehören, Demokratie, Liberalismus und moderne Gesellschaft werden abgelehnt. Häufig heiraten die jungen Leute untereinander und siedeln in Gegenden, in denen sich bereits politische Weggefährten niedergelassen haben.
Die meisten Kinder fallen in Kindergärten und Schulen auf, nicht selten vor allem wegen des auffälligen politischen Verhaltens ihrer Eltern. Sie erleben frühzeitig bewusste, selbst gewählte gesellschaftliche Ausgrenzung. Eine Jugend wie die der anderen wird ihnen verweigert. Werte und Normen bestimmen die politischen Gruppen sowie die eigene "Sippe". Gehorsam und Anpassung an die eigenen Autoritäten scheint eine der wichtigsten verordneten Tugenden. Das Erscheinungsbild der "Sturmvogel-Gruppe" erinnert an vergangene Zeiten, nie sind Mädchen ohne Rock zu sehen. Die Hierarchie innerhalb der Gruppe scheint wie eingetrichtert.
Politische und gesellschaftliche Parallelwelten
In den Lagern des "Sturmvogels" gelten Dietlind B. und Michael Z. als verlängerter Arm der Eltern. B. entstammt einer Familie von Musikern aus der Nähe von München. Ihre Schwester ist mit dem Anmelder des Winterlagers aus der Lüneburger Heide verheiratet. Die bezopfte Blondine Dietlind wird im Internet als ehrenamtliche Lehrerin für eine umstrittene Freie Schule in Salzburg ausgewiesen. Aus dem oberbayrischen Obing stammt der gelernte Landschaftsgärtner Michael Z., der in Würzburg studieren soll. Der junge Mann mit dem scharfen Scheitel möchte anscheinend Gymnasiallehrer für Deutsch und Sport werden. Kurzzeitig soll er sich im Umfeld einer rechten Burschenschaft bewegt haben, ansonsten vermeidet Z. auffälliges Verhalten, man kennt sich auch so im völkischen Milieu.
Nach dem Verbot der HDJ scheuen die "Sturmvögel" laute Töne. Ihre erwachsenen Mitglieder sind häufig mittelständische Unternehmer, Pädagogen, Heilpraktiker oder Handwerker. Sie gründen eigene politische und gesellschaftliche Parallelwelten, die sie hin und wieder zum Besuch von einschlägigen Veranstaltungen oder regionalen Anti-Asyl-Kundgebungen verlassen. So tauchten in den letzten Monaten einige rechte "Siedler" aus Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen dort auf. Ansonsten ist vornehmlichstes Ziel das gemeinsame Siedeln und die Einflussnahme politischer Kreise dank alternativer, esoterischer, umweltbezogener Themen.
Innenministerium hat keine "gewichtigen Erkenntnisse"
Diese Strategie der Tarnung gelang beim diesjährigen Winterlager des Sturmvogels in Immenhausen nicht. Als die Pfadfinder von deren Anwesenheit in ihrem Zentrum erfuhren, machten sie umgehend vom Hausrecht Gebrauch und verwiesen die Gruppe noch am Silvesterabend mit Unterstützung der Polizei vom Gelände. Den Kindern wurde wohl nicht erklärt, warum sie "unerwünscht" waren und die Silvesterfeierlichkeiten andernorts in kleinen Gruppen abhalten mussten. Ein verklärter Opferstatus scheint besser zum "Sturmvogel" zu passen, als ehrliche Offenheit.
Weniger engagiert gegenüber dem "Sturmvogel" zeigt sich dagegen das Bundesministerium des Innern in Berlin. Noch während des "Winterlagers" erhielt die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) eine kurz gefasste schriftliche Abfuhr auf 16 detaillierte Fragen zu diesem umtriebigen Jugendbund. Demnach liegen der Behörde keine "hinreichend gewichtigen Erkenntnisse für rechtsextremistische Bestrebungen" vor. Zu einer möglichen Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch Neonazis aus verbotenen Gruppen, Rassisten, völkischen Siedlern und sogar Holocaust-Leugnern äußert sich das Ministerium mit keinem Satz. "Das lässt sich nur als Frechheit bezeichnen", so Martina Renner, vor allem im Hinblick auf das aktuelle Winterlager.
Bildunterschrift: "Unerwünschte Gäste" bei den Pfadfindern: die "Sturmvogel"-Anhänger.
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Blick nach Rechts, 25.11.2015:
Unter dem Banner des "Sturmvogels"
Von Andrea Röpke
Neonazis bringen ihre Kinder zu geheimen Lagern des völkischen "Sturmvogels". Wenig ist bekannt über die Gruppe, die sich einst von der "Wiking-Jugend" abspaltete.
Der junge Bundesführer aus Bayern steht stramm. Sein Ton ist zackig, die Arme hält er angewinkelt. Auf dem grünen Uniformhemd prangt am Ärmel das "Schild" des Bundes, der schwarze Vogel auf weiß-rotem Hintergrund. Das Halstuch hat der junge Mann mit dem scharfen Scheitel verknotet. Streng kontrolliert der Anführer den Aufbau der schwarzen Kohten, die in drei Viererreihen errichtet werden. Neben ihm scharen sich seine Unterführerinnen und -führer. In Reichweite gibt es zwei hölzerne Klohäuschen und die schwarze Doppeljurte für die Treffen. Die ankommenden Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern werden mit "Heil Dir" oder "Heil Euch" begrüßt. Die dunkelhaarige Unterführerin Freke S. aus dem thüringischen Landkreis Nordhausen kontrolliert mit strengem Gesichtsausdruck die Anmeldungen auf dem Zettel ihres Klemmbrettes. Über 70 Schützlinge werden 2015 zum Sommerlager des rechtslastigen "Sturmvogel - Deutscher Jugendbund" in Brandenburg erwartet.
Ein dunkler Wagen mit einem Demminer Kennzeichen fährt vor. Der Mann, der mit seinem Sohn aussteigt, ist bekannt in der Revisionisten- und Holocaust-Leugner-Szene: Bernhard Schaub. Der Schweizer hat es nicht weit bis ins brandenburgische Grabow, er gehört zu den Neusiedlern in Mecklenburg. Schaub war ehemaliger Vorsitzender des verbotenen "Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV). Seine Wut scheint sich der "Vordenker" jüngst in einem Artikel für die rechtsextreme "Stimme des Reiches", Sonderheft Nummer 5 / 2015, von der Seele, geschrieben zu haben. Dort heißt es unter anderem: "Dass wir die willigen Sklaven der Bananenrepublik Deutschland in einem Scheineuropa sind, das de facto seit 1945 eine amerikanisch-zionistische Kolonie geworden ist." Auch echauffiert sich der ehemalige Waldorf-Lehrer über die westliche "Verhausschweinung". Wer keine ästhetischen Prinzipien habe, bemerke auch die "Entartung der Kunst" nicht und der fände auch "Popmusik "cool" und die Überfremdung "okay", den stören Döner-Buden, Cola-Dosen und schwarze Gesichter eben nicht".
In der "Heimattreuen Deutschen Jugend" aktiv
Seinen Sohn schickt der umtriebige Szene-Aktivist ins strenge, einwöchige Sommerlager des "Sturmvogels" mit Frühsport, Strammstehen und "Arbeitseinsätzen". Die Fahne der Organisation ist bereits gehisst. Ein Mann mit Brille im blauen Fischerhemd läuft herum. Er beordert ansonsten den NPD-Ordnungsdienst "Waterkant". Frank Klawitter aus Greifswald hat seine Jungs abgeliefert. In den 1990er Jahren galt er als "Führer von Greifswald" und wurde mit Wehrsportübungen in Verbindung gebracht. Bis zum Verbot der verfassungsfeindlichen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) bildete er in der "Einheit Mecklenburg und Pommern" aus.
In der HDJ waren auch die beiden Frauen aktiv, die nun die "Sturmvogel"-Lagerküche versorgen: Petra Müller aus Lalendorf und Gesine S. aus Hohen-Neuendorf in Brandenburg. Müller gehörte 2006 zu den Gründerinnen des NPD-nahen "Rings Nationaler Frauen", sie fährt seit Jahren zu den konspirativen Treffen der rassistischen "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft". Zwei ihrer jüngsten Kinder unterrichtet die gebürtige Österreicherin zuhause in Lalendorf. Auch der Nachwuchs ihrer Nachbarn war schon beim "Sturmvogel". S. beteiligte sich unter anderem 2007 am großen Pfingstlager der HDJ in Eschede, der Ehemann stammt aus der Kameradschafts-Szene, die Schwester war Bundesführerin der HDJ.
Zum Fahnenappell der Größe nach im Kreis
Mit dabei beim "Sturmvogel"-Lager in Grabow ist in diesem Sommer auch Ingeborg Godenau aus dem hessischen Sebbeterode. Ihr Ehemann ist führendes Mitglied der dortigen NPD und erschien kürzlich beim Prozess gegen die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck. Sich selbst und ihre Kinder hat die ehemalige Lehrerin seit langem in den Jugendbund eingebracht. Eines der ersten Zeltlager fand auf dem Godenau-Anwesen statt. Die älteste Tochter siedelte nach Mecklenburg, einer der Söhne führte 2010 das Winterlager in Recknitzberg nahe Bad Doberan an und vertrieb Medienvertreter mit Schlägen gegen die Kamera.
In dem kleinen Dörfchen Grabow ist das Lager gut sichtbar, doch fast niemand scheint sich daran zu stören. Am frühen Morgen werden die Kinder und Jugendlichen zusammengetrommelt und zum Fahnenappell nach der Größe in einem Kreis aufgestellt. Sie rühren sich kaum. Die weiblichen und männlichen Anführer blicken streng. Derzeitige Bundesführerin ist Dietlind B., eine junge Pädagogin aus der Nähe von München. Die Mädchen tragen alle altmodische, schwarze Röcke, grüne Uniformhemden und Zöpfe oder geflochtene Frisuren. Die Anstrengung ist den Kleineren anzusehen. Die Zeremonie mit Reden und Gesang dauert an diesem Tag annähernd eine Stunde. Manche Gesichter sehen müde aus. Hilfesuchend blicken sich die Mädchen an, doch keines wagt es wohl, aus der Reihe zu tanzen. Nach einiger Zeit lächelt kaum noch eines.
"Bunter Abend" mit Eltern und Verwandten
Als alles vorüber ist, sackt ein kleiner Junge in grünem Hemd und Ledersandalen lautlos auf den Boden. Einer der jungen Anführer hebt ihn hoch. Der Körper des Kindes hängt schlaff herunter, es scheint bewusstlos. Nach einiger Zeit steht der Junge wieder, zwei Anführer legen ihm die Arme auf die Schultern. An einem Abend in dieser Woche fährt ein Notarztwagen zum Lager. Höhepunkt des "Sommerlagers" ist ähnlich wie bei der HDJ der "Bunte Abend", zu dem auch viele Eltern und Verwandten erwartet werden.
Die meisten Angehörigen des "Sturmvogels" stammen aus "Sippen", deren ältere Mitglieder noch die soldatische Erziehung der 1994 verbotenen "Wiking-Jugend" mitbekommen haben. Die WJ erzog den Nachwuchs offen militant und im Sinne des Nationalsozialismus, der "Sturmvogel" wählte einen gemäßigteren Weg, doch die Organisation scheut den Kontakt zu Neonazis nicht. 1987, nach der Abspaltung von der "Wiking-Jugend", hatte der Antiquar Rudi Wittig zunächst die Führung des Jugendbundes übernommen. Mitglieder seiner weitläufigen Familie waren sowohl in der WJ, der HDJ als auch dem Sturmvogel aktiv. Ursprünglich sollte auf einem Gutshof nahe Wismar das "Bundeshaus" entstehen. Das Anwesen diente bereits für Treffen, doch das Vorhaben scheiterte. Selbst den Jüngeren ist Wittig noch ein Begriff, obwohl er sich kaum noch einzubringen scheint. Das Antiquariat hat er inzwischen aufgegeben. Antifa-Recherchen zufolge zeigte sich der erste "Sturmvogel"-Anführer 2015 bei einer Versammlung der extrem rechten "Identitären Bewegung". Ein weiteres Gründungsmitglied des "Sturmvogels" aus Baden-Württemberg beteiligte sich an Treffen der rassistischen "Artgemeinschaft" und referierte 2012 für den rechtsextremen Verein "Gedächtnisstätte".
Angetreten, um das "große deutsche Kulturerbe" zu bewahren
Die "Sturmvögel" bezeichneten sich in der Vergangenheit als "volkstreu eingestellte Deutsche", die die Kameradschaft von Kindern und Jugendlichen im Alter von drei bis 18 Jahren fördern und Eltern bei der Erziehung zur Seite stehen wollten. Wie bei der "Wiking-Jugend" sind Mädchen- und Jungenarbeit getrennt. Fahrten der Gruppen führen nach "Westpreußen", "Südtirol", in das Elsass oder nach "Siebenbürgen". Der Jugendbund war angetreten, um das "große deutsche Kulturerbe" zu bewahren. Zöglinge lernen Runenschrift, geben den Monaten germanische Namen. Gesungen werden in diesen Kreisen Lieder wie eines von Falko Stegmann mit Zeilen, die lauten: "Es herrscht im Land die kranke Macht, das Wachstum der Geschwüre. So grabet Euch den eigenen Schacht, der Kinder Aug ist Türe. ( … ) und schmettern die Ketten der Mächte entzwei, der Wille der Tat, der macht uns frei."
Anders als die HDJ sind die "Sturmvögel" um unauffällige Außenwirkung bemüht. Kinder und Jugendliche sollen sich nebenher beim Roten Kreuz oder in Feuerwehren engagieren, hieß es intern. Langjähriges Mitglied des "Sturmvogels" war die heutige Landesvorsitzende der NPD-Frauenorganisation in Baden-Württemberg, Edda Schmidt. Deren Tochter, die in der Nähe von Uelzen lebt, gilt als Akteurin im Hintergrund. Der Name von Irmhild S. fiel auch im Prozess 2015 um den Tod des kleinen Siedlerkindes Sighild, deren Eltern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden, weil sie das diabeteskranke, vierjährige Mädchen nicht ausreichend mit Insulin versorgt hatten. Die Mutter von Sighild war mit Irmhild S. befreundet, beide sollen Anhängerinnen des antisemitischen Begründers der "Germanischen Neuen Medizin", Ryke Geerd Hamer, sein, der in der Bundesrepublik nicht praktizieren darf. Edda Schmidts Tochter und deren Ehemann wird Einfluss in der völkischen Szene nachgesagt. Tanztreffen oder Brauchtumsfeiern fanden auf dem geräumigen Anwesen in Niedersachsen statt.
Den Jungen wird viel über Wehrmacht und SS beigebracht
Kinder rechter Familien aus Koppelow, Lalendorf, Berlin, Bansow, Bautzen, Kassel, dem Ilm-Kreis, Marburg, der Lüneburger Heide und einigen weiteren Regionen und Orten nehmen an deren geheimen Zusammenkünften wie in Grabow teil. Kleinere Lager und "Heimabende" finden regional statt in den Mädel- und Jungengruppen, die Heidelerchen, Seeschwalben, Sonnenreiter oder Wald- und Werwölfe heißen. Die Organisation ist ebenso wie bei der HDJ hierarchisch gegliedert. Nicht immer scheint es wirklich kindgerecht zuzugehen. Dann liefern Eltern den Nachwuchs erst spät in der Nacht an. Disziplin und Härte scheinen verlangt zu werden. Die Sprache ist streng reglementiert, Anglizismen sind unerwünscht, so wird ein Pullover eingedeutscht zum "Überzieher".
In der Vergangenheit soll es auch schon mal zehn Liegestützen als Strafe für ein "falsches Wort" gegeben haben. Das Strafmaß hängt demnach vom Ermessen der jeweiligen Lagerleitung ab. Kinder lernen Feindbilder kennen, die breite Gesellschaft wird in vielen "Sippen" allgemein als zu modern, tolerant und dekadent verachtet. Neben der Einwanderungspolitik findet vor allem auch das Thema Homosexualität in diesen Kreisen massive Ablehnung. Jeans, eine Erfindung des jüdischen Industriellen Levi Strauss, gilt es nicht zu tragen. Vor allem den Jungen wird viel über Wehrmacht und SS beigebracht, die "Helden" der NS-Zeit sind in diesen Familien omnipräsent.
Sommerlager auf dem Anwesen des Ortsvorstehers
Vor dem HDJ-Verbot trafen sich unter anderem Mitglieder der "Heimattreuen" und des "Sturmvogels" zum "Überbündischen Burgfest" wie 2004 auf der Wewelsburg. Das letzte bekannte größere Lager gab es im hessischen Treisbach, die rund 50 Teilnehmer kamen unter anderem aus Güstrow und Hamburg. Es wurde auf einer Wiese errichtet.
Das Sommerlager in Grabow dagegen fand auf dem Anwesen des ehrenamtlichen Ortsvorstehers von Grabow statt. Markus K. betreibt dort eine Kommune, die vor allem in esoterischen Kreisen unter den Begriffen "Familienlandsitze" und "Landfreikauf" geläufig ist. "Goldenes Grabow" nennen sie ihr Projekt und feiern Festivals, Brauchtumsfeste und Tanzveranstaltungen. Unter den Referenten, die auf einer Homepage angezeigt werden, sind völkische Rechte, aber auch scheinbar unpolitische Lebenskünstler. K. selbst besuchte 2007 das Ostertreffen des antisemitischen "Bunds für Gotterkenntnis - Ludendorffer". Für Grabow plant die Siedlergruppe laut Homepage "Landolfswiese" eine eigene "Godenschule".
Dem "Sturmvogel" gewährten der Ortsvorsteher und seine Ehefrau für eine Woche Aufenthalt. Wenige Wochen zuvor fanden im Juni dort die so genannten "Anastasia-Festspiele" mit Sommersonnenwende statt. Die esoterisch-spirituelle "Anastasia-Bewegung" stammt aus Russland. Sekten-Experten bringen sie mit dem Neuheidentum in Verbindung. Die österreichische Tageszeitung "Der Standard" ordnete ihr einen "Mix aus esoterischen und rechtsextremen Ideen" zu. Zu den Festspielen gehörten auch Wettkämpfe, zu denen die "Urgewaltigen" aufgefordert hätten. Bei Baumsteinweitwurf, Barfußlauf und Feldsteinzielwurf maßen sich die bunt gekleideten Teilnehmer. In dem kleinen Ort selbst scheint das Treiben ignoriert zu werden. Doch die uniformierten Kinder, die im August durchs Dorf zogen, können die Anwohner nicht übersehen haben.
Bildunterschrift: Zusammengebrochenes Kind beim Sturmvogel-Lager in Grabow.
nandlinger@bnr.de
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