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Neue Westfälische 01 - Bielefeld West , 23.12.2015 :

Bielefelds Westen stellt sich

Bürgerinformation zu Flüchtlingen: Weil die Alm-Sporthalle ab 4. Januar zur Notunterkunft wird, lud die Stadt die Bürger ein - und erlebte Zustimmung

Von Kurt Ehmke

Mitte. Die Alm-Sporthalle wird Flüchtlingsunterkunft - um diese Nachricht einordnen zu können, lud die Stadt gestern Abend Bürger ins Rathaus, um sich den Fragen zu stellen. 350 kamen und diskutierten - aber anders, als es Krisenstab, Politik, Medien, Verwaltung erwarten durften.

Nachdem die bekannten Zahlen und Einschätzungen zum Thema Flüchtlinge abgearbeitet waren (dritte Sporthalle, 3.250 Menschen in 2015, Zukunft offen, Turnhallen sollen Not-Lösung sein), stellte das DRK seine Planung für die Halle vor.

Planung

150 bis 200 Flüchtlinge sollen in den drei Alm-Sporthallen unterkommen. Die linke und die mittlere sollen fürs Schlafen und als Aufenthaltsbereiche dienen, die rechte für den Aufenthalt und die Essensaufnahme. Erwartet werden viele junge männliche Flüchtlinge, aber auch Familien. Sanitärbereiche gibt es im Gebäude, lediglich die Toiletten für Männer müssen in zwei Container vor das Gebäude verlagert werden. Um hier beim Klo-Gang die Privatsphäre zu wahren, muss ein Zaun aufgestellt werden - dieser soll optisch möglichst wenig als Zaun daherkommen.

Personal

Es soll eine Hausleitung geben (acht Stunden / Tag), zwei Betreuungskräfte (immer), eine Sozialarbeiterstelle (4 Stunden täglich; Montag bis Freitag) - hinzu kommen zwei Sicherheitskräfte (immer) und es soll verstärkt Streife gefahren werden - maßgeblich zum Schutze der Flüchtlinge.

Schulen

Für die drei betroffenen Schulen läuft die Sporthallenlösungssuche bereits. Zu spüren war gestern, dass die Schulen vor ein erhebliches Problem gestellt werden, doch das Thema der Schulen war ein anderes: "Wir möchten helfen, wir bieten unsere Schule als Ort für einen Runden Tisch mit Nachbarn und Anliegern an", sagt Bosse-Schulleiterin Andrea Prochnau. Eine Max-Planck-Schülerin erklärte, weil es bei ihr ja auch seit kurzem eine Internationale Klasse gebe, wolle sie sich engagieren. "Ich will auch die Menschen positiv überzeugen, die bisher Flüchtlingen eher negativ gegenüberstehen."

Klare Gegner

Ja, gab es. Mit einem Redebeitrag. "Wie viele Gebäude müssen noch beschlagnahmt werden?", fragte ein weithin bekannter Flüchtlingsgegner. "Muss man nicht irgendwann sagen: Wir wollen das nicht?!" Antwort aus dem Publikum: "Wir wollen euch Nazis nicht."

Anwohner

Sie fragten. Sie brachten sich ein. Sie boten an. Zitate: "Kann Arminia nicht bei jedem Heimspiel den Menschen in der Halle Freikarten geben? Dann hätten die eine gute Zeit und das Problem bei Fußballspielen wäre gelöst." - "Ich will ganz konkret wissen, wo ich wie helfen kann. Werden Sie konkret!" - "Warum geben nicht mehr Firmen ihre Immobilien frei?" - "Sie simplifizieren das alles schon etwas, und nur widerspruchsfrei ist das Thema Flüchtlinge in Bielefeld nicht." - "Ich freue mich auch darauf, ich werde das als Bereicherung erleben." - "Ich habe Angst um die Flüchtlinge, weil an der Halle nachts oft aggressive Betrunkene sind." - "Die Sozialarbeiterstunden sind zu niedrig angesetzt."

Kommentar / Mutmacher

Von Kurt Ehmke

Es gibt Minuten von besonderer Qualität im großen Saal des Alten Rathauses. 2004, als Pit Clausen mit 139 Stimmen Eberhard David unterlag. Auch als 2013 der Freibad-Bürgerentscheid sensationell mit 169 Stimmen für die Sanierung ausging, war das so.

Gestern kamen 90 Minuten hinzu, die gewürdigt werden müssen: Da stellen sich die Verantwortlichen - mit ernsten, staatstragenden Mienen - den Bürgern. Vom Oberbürgermeister bis zum Krisenstabschef wollen sie die Anwürfe abwehren. Sie wollen erklären, warum es einfach nicht anders geht als mit Turnhallen. Wollen sich rechtfertigen, für Verständnis werben.

Und die Bürger?

Sie bieten sich an. Wollen helfen. Sorgen sich um die Flüchtlinge, die da kommen werden. Fordern konkrete Wünsche der Stadt ein - an sie, als Bürger. Und sie brüllen "Nazis raus!", als ein Redner als solcher wahrgenommen wird. Es wird von Bereicherung gesprochen. Das rührt an. Sichtbar stolz und durchaus positiv überrascht reagiert darauf der Oberbürgermeister.

Und auch, wenn wir alle wissen, dass es weit mehr Skepsis gibt als gestern deutlich wurde, so war es doch ein Abend, der sehr viel Mut gemacht hat für die gewaltige Aufgabe der kommenden Jahr-zehnte.

kurt@nw.de

Bildunterschrift: Ernste Gesichter: Joachim Middendorf (Sportamt), Ralf Großegödinghaus (DRK) und Anja Ritschel (Dezernentin), vorne von rechts, blickten ernst drein, registrierten aber auch, dass das Publikum sehr konstruktiv mit der Belegung der Alm-Sporthalle umging.

Bildunterschrift: Tragen Verantwortung: Dezernent Udo Witthaus, Oberbürgermeister Pit Clausen und Mitte-Bezirksbürgermeister Hans-Jürgen Franz (r.).

Bildunterschrift: Heimat für 200 Flüchtlinge: Die Alm-Sporthalle ist die dritte große Halle binnen weniger Tage, die zur Not-Unterkunft wird.


bielefeld@nw.de

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