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Löhner Nachrichten / Neue Westfälische , 05.02.2005 :

Die Familie starb in den Trümmern / NW-Serie Zeitzeugen: Nur Annegret Dobelmann und ihr Bruder überlebten Volltreffer auf ihr Wohnhaus

Von Nicole Sielermann

Löhne-Gohfeld. Eine Hauswand stand noch. Allerdings nur kurze Zeit. Dann fiel auch diese in sich zusammen. "Wir waren das einzige Haus in Gohfeld mit Volltreffer", sagt Annegret Dobelmann. Fünf Tote waren die traurige Bilanz. "Meine Oma, meine Mutter, meine Schwester und zwei Nachbarsfrauen", sagt die 66-Jährige. Sie selbst war damals gerade sechs Jahre alt. Doch diesen Tag hat sie niemals in ihrem Leben vergessen.

Annegret und ihr Bruder Wilfried, damals neun, spielten an diesem 14. März 1945 mit Freunden im Garten. "Mein älterer Bruder war beim Konfirmandenunterricht", erinnert sie sich. "Es war der erste schöne Tag in dem Jahr." Plötzlich sei die Nachbarin angerannt gekommen: "Sie hatte Angriffszeichen über Vlotho gesehen."

Für die Flucht vom Bahnweg Nummer 19 unter den Wasserbogen war es schon zu spät. "Sonst sind wir immer unter die Bahnunterführung am Haubach gelaufen. Dort standen Bänke." Diesmal allerdings gings in den Keller. Oma, Mutter, Schwester, Bruder, zwei Nachbarsfrauen, ein Spielkamerad und die sechsjährige Annegret verteilten sich in den Räumen: "Mein Bruder und ich waren im Kartoffelkeller."

Und dann setzt die Erinnerung aus. Nur noch Bruchstücke hat Annegret Dobelmann vor Augen: "Ich weiß nur noch, dass es ganz hell wurde und dann ganz dunkel", sagt sie leise. Bruder und Schwester riefen nach den Verwandten. Doch als niemand reagierte, rannten die beiden Geschwister zum Wasserbogen. "Dort kamen uns schon die ersten Helfer entgegen." Annegret Dobelmann schüttelt den Kopf. Erst am nächsten Tag erfuhren die Kinder, dass alle anderen den Angriff nicht überlebt hatten. Nur ihr Spielkamerad konnte schwer verletzt geborgen werden. "Es war ein Wunder, dass Wilfried und ich allein rausgekommen sind und überlebt haben."

Annegret Dobelmann und ihr Bruder haben das Erlebte halbwegs gut verarbeitet. "Kinder vergessen schneller", sagt sie. Allerdings sei ihr Bruder noch Tage danach bei jedem Alarm in Panik weggerannt. Der, den es am schwersten getroffen hat, war der Großvater. Er arbeitete beim Bauern in Sichtweite des Wohnhauses: "Opa hat gesehen, wie die Bombe unser Haus traf." Und dieses Bild wohl nie vergessen: "So etwas bleibt", weiß die 66-Jährige aus eigener Erfahrung.

Komplett wurde das Haus am Bahnweg in Gohfeld zerstört. Die beiden Nachbarhäuser wurden von Brandbomben getroffen und brannten aus. Der Rest von Annegret Dobelmanns Familie fand erst bei einer Tante, dann in einer kleinen Wohnung Unterschlupf. "Mein Vater kam 1948 zurück aus Russland", erinnert sie sich. Er hatte nur durch einen Zufall erfahren – ein anderer Mitgefangener aus Gohfeld hatte Post bekommen – was zu Hause passiert war.

"Mein Vater hungerte sich auf wenige Kilo runter, damit er eher nach Hause geschickt wurde." Zurück in Gohfeld machte er sich mit seiner Familie daran, das Haus wieder aufzubauen. "Er hat monatelang Steine abgeklopft, damit wir sie wieder benutzen konnten."

Was Annegret Dobelmann erst Jahre später erfuhr: Gohfelder Bürger hatten für die Familie Geld gesammelt. "Damit wir wieder ein Zuhause aufbauen konnten."

05./06.02.2005
lok-red.loehne@neue-westfaelische.de

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