www.hiergeblieben.de

WebWecker Bielefeld , 02.02.2005 :

"Marhaba"

"Merhaba" ist türkisch und heißt "Guten Tag", oder etwas lockerer: "Hallo". Im arabischen ist der Begriff ganz ähnlich: "Marhaba". Hallo zu Menschen an diversen Orten in Europa sagen zur Zeit SprecherInnen der 'Internationalen Solidaritätsbewegung' ISM. Bis Mitte Februar touren sie noch durch Deutschland, das Finale ist passend zum Ort des nächsten G-8 Gipfels der führenden Industrienationen in Schottland ausgewählt.

Von Manfred Horn

Am Freitag Abend machten Moshe Robas, Sara Abu Gazal und Julia Deeg auf Einladung des Bielefelder Friedensnetzwerks in Bielefeld Station. Morgens trugen sie ihre Ideen in einer Schule vor, abends wurde dann in der Ravensberger Spinnerei diskustiert. Beide Veranstaltungen waren spannungsgeladen: Kein Wunder, geht es doch um nichts Geringeres als die Frage des Friedens in Israel und Palästina.

Robas kommt aus Israel, Gazal lebt in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon und Julia Deeg eigentlich in Berlin. Das Ziel der drei SprecherInnen: Einen Überblick schaffen über soziale Bewegungen im Nahen Osten, Kontakte knüpfen und das Netzwerk weiter spannen. Das Publikum indes war mehr an Aussagen zur aktuellen Situation im israelisch-palästinenischen Konflikt interessiert.

Robas ist in Israel Mitglied von Green Action und Mahapach. Mahapach ist eine studentische Initiative, die mit Marginalsierten arbeitet. Außerdem ist er aktiv gegen den Mauerbau. Die israelische Regierung riegelt seit Monaten nach und nach die palästinensischen Gebiete mit einer bis zu acht Meter hohen Mauer ab. Auf 700 Kilometer Länge soll so das Einsickern von Terroristen aus dem Westjordanland verhindert werden. Robas arbeitet bei 'Anarchists against the wall' mit, die versuchen, den Mauerbau zu stoppen. Das Bauwerk ist heftig umstritten. Aus Sicht der Palästinenser handelt sich sich um eine Apardheitsmauer. Die Bewegungsfreiheit wird durch sie dauerhaft eingeschränkt, palästinensiche Bauern, die in der Nähe der Mauer kommen, gelangen nicht mehr zu ihrem Land, weil es jenseits der Mauer liegt.

Aktionen gegen den Mauerbau

Green Action, Mahapach und 'Anarchists against the wall' sind keine Massenorganisationen. Green Action beispielsweise gründete sich 1994 mit dem Ziel eines sozial-ökologischen Systemwechsels. Die inzwischen anerkannte Nichtregierungsorganisation hat sich zur Erreichung ihrer Ziele Gewaltfreiheit auf ihre Fahne geschrieben. 'Anarchists against the wall' organisiert gemeinsam mit anderen Gruppen und lokal Betroffenen Demonstrationen gegen die Mauer. Teilnehmerzahlen zwischen 30 und 100 sind die Regel.

Aber: Es gibt sie, die sozialen Bewegungen in Israel und Pälastina. Sie sind erst vor wenigen Jahren entstanden oder entstehen gerade, sie verorten sich jenseits der bekannten Konfliktlinien und Ideologien, lassen sie sich doch weder mit dem israelischen Staat noch mit den bekannten palästinenischen Organisationen wie PLO oder Hamas identifizieren. Diese kleinen Bewegungen wollen Frieden ohne Gewalt erreichen, üben sich in Basisdemokratie. Sie sind globalisierungskritisch, was die Globalisierung seitens des Kapitals angeht. Sie entdecken die Umwelt oder auch Homsexulalität und Transgender als Themen. Dies macht sie anschlußfähig an diverse soziale Bewegungen in Westeuropa, wie sie in den vergangenen 30 Jahren entstanden.

So macht die in der Nähe von Beirut in einem Flüchtlingslager lebende Gazal besonders auf die Frauenbewegung und auf Bewegungen zur geschlechtlichen Identität aufmerksam. Ein starkes Stück, ist doch der Libanon wie die anderen islamisch dominierten Gesellschaften patriarchal geprägt. Bis heute gilt: Wer sich im Libanon outet, darf mit einem Jahr Gefängnis rechnen. Und dies ist noch eine milde Strafe im Vergleich zu anderen arabischen Ländern.

Es gibt aber nicht nur die drohende Repression, sondern auch keinen öffentlichen Umgang seitens der Gesellschaften mit solchen Fragen. Sexuelle Freiheit ist immer noch ein Fremdwort im Libanon. Doch Gazal berichtet von ersten Bemühungen, die konservative Gesellschaft aufzubrechen. So gründete sich 'Helem', eine Queer-Rights-Gruppe vor gut einem Jahr. Gazal arbeitet dort mit, ist auch im 'Middle East Feminist Network'.

Arabischer Feminismus

"Dabei projiziieren wir jedoch keine europäischen Vorstellungen", sagt sie. Man sei gesellschaftlich auf einem Stand wie Europa vor 500 Jahren, da müsse man ansetzen. Zugleich definiert Gazal 'Helem' und das 'Middel East Feminist Network' als Teil der arabischen Frauenbewegung. Das arabisch ist ihr wichtig, es sei wesentlicher Teil ihrer Identität: Sie sei Teil des palästinensischen Volkes, das von Israel in den Libanon vertrieben worden ist. Dies sei eine Kollektmaßnahme gewesen, foglich auch Teil ihrer Identität. "Dies zu verleugnen, würde mich in psychologische Schwierigkeiten bringen", antwortet sie ganz persönlich.

Julia Deeg hingegen ist über ISM nach Israel und Palästina gekommen. In 2002 war sie zweimal drei Monate dort. Einmal zusammen mit ihrer Mutter. Sie geriet in die Medien, weil sie damals 33 Tage im Hauptquatier Yassir Arafats ausharren musste, als es vom israelischen Militär belagert wurde. ISM ist in Israel von George Rishmavi und Huwaida Arraf gegründet worden. Eine Organisation mit sozialistischen Wurzeln und pazifistischen Aktionsformen, die sich das Ende der israelischen Okkupation Palästinas und für einen gerechten Frieden einsetzt.

Kritiker von ISM bezweifeln dies: In Wirklichkeit unterstütze ISM den bewaffneten Kampf palästinenischer Gruppen, gar Selbstmordanschläge und strebe die Zerschlagung Israels an. Unumstritten ist, dass sich ISM 2001 gründete als Organisation von Israelis und Palästinensern. "Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen der ersten und zweiten Intifada", erläutert Deeg. Die erste Intifada zu Beginn der 1990er Jahre habe mehr soziale Organisation gekannt und sei weniger von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt gewesen. Die zweite Intifada, die gegenwärtig andauert, gehorcht indes einer militärischen Logik. "ISM ist die Antwort darauf", sagt sie, "und auf die internationale Gemeinschaft, die ihren Pflichten nicht nachkommt". Widerstandsmöglichkeiten gebe es viele.

Oft sind diese nicht einmal als solche gewollt. So ist verboten, während der Ausgangssperre ausser Haus zu gehen. Sie selbst habe während ihrer Aufenthalte als jemand, der aus dem westlichen Ausland kommt, einen besonderen Status gehabt und diesen auch genutzt. Zum Beispiel, in dem sie bei Familien wohnte, deren Haus vom Abriss durch das israelische Militär bedroht gewesen ist.

Oder in dem sie Ambulanzen begleitete. In beiden Fällen stellte die Anwesenheit von Internationalen einen gewissen Schutz dar. Ambulanzen hätten es ansonsten oft schwer, überhaupt zum Krankenhaus durchzukommen. Die 'Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs' (IPNV) berichten, dass Ambulanzen an Straßensperren aufgehalten werden, mit zum Teil stundenlangen Wartezeiten. Immer wieder kommt es zu Todesfällen, weil medizinische Hilfe nicht rechtzeitig geleistet werden kann.

Dieser zivile Widerstand hat allerdings auch schon einigen Internationalen von ISM das Leben gekostet. "Wir wollen zivilen Ungehorsam, aber gewaltfrei", fasst sie zusammen und schränkt ein "zumindest gegen Menschen". Dabei gehe es ihr nicht um Nationalität oder Religion: "Die Besatzung ist illegal. Es geht um die Wahrung der Menschenrechte." Sie selbst stelle sich gegen "jede Unterdrückung".

Mangelhafte Zivilgesellschaften

Die neuen sozialen Bewegungen, die die drei SprecherInnen an diesem Abend skizzierten, sind Ergebnis einer zunehmenden Verelendung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Die israelische Gesellschaft wird immer militarisierter. Hinzu kommen ebenfalls militärische, konservative und frauenfeindliche Strukturen in der palästinensischen Gesellschaft, die zunehmende Bedeutung von religiösen Organisationen. Sie sind aber auch Resultat einer Menge weiterer Widersprüche und Diskriminierungen. So leben in Israel zahlreiche Palästinenser, insgesamt machen sie ein Fünftel der Bevölkerung aus. Sie haben aber nicht die gleichen Rechte, sind ökonomisch deutlich schlechter gestellt.

Moshe Robas nennt ein Beispiel: So sei es israelischen Staatsangehörigen untersagt, Palästinenser zu heiraten, die außerhalb des Staatsgebietes leben. Ein Heiratsverbot, das Robas mit den Nürnberger Rassegesetzen vergleicht. Dafür erntet er heftigen Widerspruch aus dem Publikum. Es sei nicht legitim, dies mit dem Faschismus zu vergleichen. Die Singularität der Verbrechen des Nationalsozialismus sind ein besonders sensibler Punkt innerhalb der Linken in der Bundesrepublik. Erstaunlich, dass der Israeli Robas damit leichter umgeht. Für ihn ist der Vergleich durchaus legitim, habe der Holocaust doch auch mit Gesetzen begonnen. "Wenn solche Gesetze in Israel nicht von internationalem Recht gestoppt werden, kann das auch noch weitergehen", schätzt Robas ein.

Eine weitere Spaltungslinie innerhalb der israelischen Gesellschaft verlaufe zwischen arabischen Juden und Juden aus Europa, erläuert Robas. Die aus Arabien Kommenden sind zwar auch Staatsbürger, aber sie würden als Menschen zweiter Klasse behandelt und gehörten zu den armen Schichten. Genauso arm dran: die Beduinen oder die neueren jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Ein Ergebnis: In Israel gebe es inzwischen eine heftige Konkurrenz um schlecht bezahlte Arbeitsplätze.

Robas macht von sich aus eine weitere Trennlinie auf: Sie verlaufe zwischen zionistischer und nicht-zionistischer Friedensbewegung. Es seien linke Parteien wie die Arbeiterpartei gewesen, die den Mauerbau initiiert hätten. Die Arbeiterpartei, seit neustem wieder in einer Regierungskoalition mit der Likud-Partei wolle als zionistische Linke zwar Frieden, meine damit aber vor allem Segregation und Freihandel. Damit habe die antizionistische Friedensbewegung in Israel nichts am Hut. Sie sieht den Staat Israel als dringend überarbeitungsbedürftig an. So seien die Direktoren der Schulen nicht qualifizierte Pädagogen, sondern ehemalige Berufsoffiziere. Kriegsdienstverweigerung werde mit Gefängnis bestraft. "Israel ist eine durchmilitarisierte Gesellschaft", fasst Robas zusammen.

Isoliert im Flüchtlingslager

Auch Sara Abu Gazal geht aus Sicht einer Palästinenserin auf die Gewalt seitens Israels ein und auf die isolierte Situation in den Flüchtlingscamps im Libanon. Die dort lebenden Palästinenser dürfen offiziell keine Arbeit annehmen, haben keine Versammlungsfreiheit, keine Bürgerrechte. Auch innerhalb der Flüchtlingslager gibt es keine Demokratie – die Organisationen der PLO haben alles in der Hand und teilen die politische Macht unter sich auf. Sie betont auch die Distanz und Kritik an arabischen Regimes: "Bei unserer ersten Demonstration haben wir nicht Friedensparolen, sondern auch Sprüche gegen Sadaam Hussein gerufen", berichtet sie. Auch andere Diktaturen wie in Syrien würden verbal bekämpft.

Den ganzen Abend lag eine lantent aggressive Stimmung im Raum. Die Meinungen der rund 40 Besucher in der Ravensberger Spinnerei standen sich zum Teil diametral gegenüber: Für die einen ist Israel eine Demokratie, die als jüdischer Staat umgeben von aggresiven arabischen Staaten das Recht hat, sich zu wehren. Da wird der israelischen Armee "praktischer Antifaschismus" zugesprochen. Für die anderen ist die israelische Regierung und das Militär verantwortlich für Besatzung und Vertreibung. Ein Diskurs, den die deutsche Linke mit ihren zahlreichen Fraktionen schon seit 35 Jahren umtreibt. Das eigentliche Ziel, über Möglichkeiten weltweiter Vernetzung zu sprechen, konnten die drei SprecherInnen dann unter diesen Umständen nicht erreichen.

Wer mehr über die Arbeit von ISM erfahren möchte: Im Juni 2004 ist das Buch 'Peace under fire' bei Verso Books erschienen, in dem Mitglieder von ISM ihre Sicht auf den israelisch-palästinensichen Konflikt beschreiben. ISBN: 1844675017

ISM im Netz: http://www.palsolidarity.org

Die israelische Friedensgruppe 'Yesh Gvul' im Netz: http://ww.yesh-gvul.org

Das Bielefelder Friedensnetzwerk im Netz: http://www.friedens-netzwerk.de

In Gütersloh gründete sich im Juni 2004 die Stiftung 'Begegnung', Stiftung Deutsch-Palästinensisches Jugendwerk. Sie organisiert Schüleraustauschprogramme mit palästinensischen und deutschen Jugendlichen.

Kontakt: M. Kappler
Telefon: 05241 – 470851
E-Mail: stiftungbegegnung.kappler@web.de
Im Netz: www.stiftungbegegnung.de


webwecker@aulbi.de

zurück