Lippische Landes-Zeitung ,
25.01.2005 :
Über die Scheu vor der Vergangenheit / Zsuzsanna Gahse las im Literaturbüro aus ihrem Buch "Durch und durch"
Detmold (Nv). Übertriebene poetische und epische Anwandlungen sind nicht ihre Sache. Zsuzsanna Gahse erweist sich in ihren bisher 19 Büchern als exakte Beobachterin und Beschreiberin. Als "künstlerisches Protokollieren" bezeichnet das Dr. Brigitte Labs-Ehlert vom Literaturbüro, bei der die Reisende in Sprachwelten einen Stopp einlegte.
Der Lebensweg der 1946 in Budapest geborenen Autorin ist von ständigem Unterwegs-Sein bestimmt. 1956 floh sie mit ihren Eltern nach Wien, lebte später mehr als 25 Jahre in Deutschland und hat heute ihren Wohnsitz in der schweizerischen Bodensee-Region. Ihre Texte erhielten renommierte Auszeichnungen, darunter den Bodensee-Literaturpreis für ihr jüngstes Buch "Durch und durch", ein Bericht über eines der ältesten Gewerbe der Welt.
Aus ihm hatte Zsuzsanna Gahse für ihre Lesung Passagen ausgewählt, die deutlichen Bezug auf den in dieser Woche anstehenden Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus aufweisen. In der Person des Kellners Ferdinand geht es um die Scheu vieler Menschen, über die eigene Vergangenheit und diejenige der Eltern und Großeltern zu sprechen und sich ihr damit zu stellen. Die Auseinandersetzung wird bewusst vermieden und letztendlich vergessen. "Wenn ich nichts sage, weiß ich allmählich auch nichts über einige Dinge", meint der über 40-Jährige, der Vorleben und Vorfahren neu erfindet, verändert und schönt. Unzählige seiner Phantasie entsprungenen Geschichten ergaben schließlich eine neue Realität und gleichen einer DNS-Kette, denn "irgendetwas von dem, was einer sagt, muss stimmen." Während eine Generation die eigenen Vorfahren so darstellen möchte, dass kein Schatten auf sie fällt, strebt die nächste Generation die möglicherweise auch schmerzliche Auseinandersetzung mit Taten und Untaten der Ahne bewusst an. In beiden Fällen besteht die Gefahr der Übertreibung, verbunden mit dem Verlust von Fairness. Selten verläuft eine Gratwanderung so makellos, wie das bei Wibke Bruhns auf Spurensuche in "Meines Vaters Land" der Fall ist.
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