www.hiergeblieben.de

Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische , 29.01.2005 :

Erinnern darf kein Tabu sein / Dr. Antje Telgenbüschers Gedenkbuch wird am 22. März präsentiert

Von Jutta Steinmetz

Paderborn. "Es sollte kein Tabu sein, darüber zu sprechen", betont Dr. Antje Telgenbüscher in diesen Tagen, wenn sie über ihre Arbeit an ihrem Gedenkbuch spricht. Seit fünf Jahren sammelt die Paderbornerin Fotos, Dokumente und Erinnerungen, um diejenigen unvergessen zu machen, die im Bombenkrieg an der Pader ihr Leben verloren. Klar, dass sie die unerträgliche Äußerung der NPD-Abgeordneten im sächsischen Landtag vom "Bombenholocaust" stark beschäftigt.

"Die Rechten vereinnahmen die Opfer des Bombenkriegs", beklagt sie. Und deshalb ist es "wichtig, dass wir der Opfer gedenken". Das dürfe man nicht den Rechtsradikalen überlassen, betont die Paderbornerin mit Nachruck.

Sicher kämen bei der Betrachtung der Fotos Emotionen hoch. "Das ist auch Absicht", meint Antje Telgenbüscher. "Denn Erinnern ohne Emotionen, das geht überhaupt nicht." Der Verstand soll aber dabei nicht ausgeschaltet sein. "Es soll sich die Frage stellen: Wer war verantwortlich?", formuliert sie ein Anliegen ihrer Arbeit. "Dass Bomben geworfen wurden, das ist nicht vergleichbar mit der Tsunamiwelle", meint sie und hat den Menschen als Verursacher im Blick. Man müsse nach den Ursachen suchen und schlussendlich dafür sorgen, "dass so etwas nie mehr passiert".

Das Gedenken der Opfer des Bombenkriegs gehört für sie mit zur Stadtgeschichte. Und da macht Antje Telgenbüscher an der Pader große Defizite aus. "Ich fand immer, dass dieses Schreckliche mit fast 900 Opfern immer nur auf ganz anonyme Art und Weise abgehandelt wurde" berichtet sie. Klar ist da das Mahnmal am Busdorfwall. Aber das ist ihr nicht genug. Niemals habe sie früher Persönliches gehört oder Fotos gesehen – bis sie bei ihren Recherchen für das Buch "Und wie das alle so war ... Paderborner Frauen erzählen" Maria Bergmann kennen lernte, die ihre Mutter im Bombenkrieg verloren hatte. Da bekam der Bombenkrieg ein Gesicht.

Doch das Thema hat auch einiges mit der promovierten Literaturwissenschaftlerin selbst zu tun. Obschon erst 1980 an die Pader gezogen, sei sie doch hier verwurzelt. Und das nicht nur weil ihr Mann Karl ein "alter Paderborner" ist. Die Frauengespräche hätten dabei eine große Rolle gespielt. "Sie schafften das Gefühl zu Hause zu sein", meint Antje Telgenbüscher. Zunächst aber habe sie dem Thema Bombenkrieg ausweichen wollen. Doch die Frauen hätten immer wieder von ihren Erlebnissen erzählt.

Dann ist da auch noch die eigene Biographie, die Antje Telgenbüscher auch nicht ganz außen vor lassen kann. Beim großen Bombenangriff auf Dresden war sie, just erst geboren, zusammen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in der Elbmetropole. "Ich hätte selbst Opfer werden können", meint sie nachdenklich und denkt dankbar daran, dass sie in ihrer Familie kein Opfer zu beklagen hat.

Und so leistet die fleißige Forscherin seit 2000 der Bitte des Stadtarchivs, Fotos von den Bombenopfer zu sammeln, engagiert Folge. Mühsam arbeitet sie noch immer Geburten-, Sterbe- und Friedhofslisten ab, überprüft das Telefonbuch, guckt in alte Adressdateien. 140 Bilder von Menschen, die Bombenkrieg ihr Leben verloren, hat sie zusammengetragen.

Ab 22. März sind sie in einem Gedenkbuch zu sehen. Doch ein ganz normales Buch wird es nicht sein. Die Fotos, ergänzt um Daten und persönliche Erinnerungen werden auf Din A3-Blättern in einem Ringbuch präsentiert. "Das ist sehr schön", meint Antje Telgenbüscher. Denn so könne das Gedenkbuch immer weiter ergänzt werden. Dass sie gemeinsam mit Andreas Gaidt aus dem Stadtarchiv weitermacht, ist für sie sonnenklar. "Wir bleiben dran", meint sie und hofft noch auf viele Bilder, Erinnerungen und Dokumente, die nach und nach Eingang in das Gedenkbuch, aber auch, wenn gewünscht, in eine Sammlung des Stadtarchivs finden sollen.

29./30.01.2005
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

zurück